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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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von Bildung haben und sich mit mehr Ernst ihrem Beruf widmen, als unsre
Theatersänger. Das Leben einer bedeutenden Frau wird eher durch bloße Ge¬
sangs-Leistungen ausgefüllt, als das eiues bedeutenden Mannes. Roger macht
eine seltene Ausnahme. In der Art und Weise seines Gesangs und Spiels, das
ebenfalls ausgezeichnet ist, erinnert er an die Rachel, aber freilich mit einer ge¬
wissen Beschränkung. Denn die Rachel zog Rollen in ihre leidenschaftliche Dar¬
stellung hinein, die auch eine andere Auffassungsweise möglich machten; Roger
hat sich uns nur in Rollen gezeigt, die eine leidenschaftliche Darstellung unbedingt
fordern. Die herkömmlichen Regeln des schönen Gesangs werden durch ihn in
einem weit höhern Grade umgestoßen, als etwa bei der Viardot-Garcia, und doch
kann man ihn darum nicht tadeln, deun mit Allein, was er macht, und mit der
Art, wie er es macht, giebt er vollständig die Situation wieder; ja er thut mehr,
er giebt uns in der Art und Weise des Tons, den er durch die ganze Oper
festhält, die Grundstimmung des darzustellenden Charakters. Neben ihm er¬
scheinen viele unsrer guten Deutschen Säuger mit ihrem correcten Gesang, mit
ihrer monotonen Tonbildung, als reine Maschinen. Aber, um den Unsrigen nicht
Unrecht zu thun, füge ich hinzu: so stellt es sich in einer Meyerbeer'scheu Oper,
die sich von Anfang bis Ende in ekstatischen Stimmungen bewegt, die von Hanse
aus auf seltsamen, außergewöhnlichen Charakteren beruht. Für Mozart, ja selbst
für Gluck wurde Roger's Methode ganz unanwendbar sein. Seine Technik kann
von einem gewissen Standpunkt ans als eine fast unerreichte gelten. Ich habe
noch nie 'cinco Sänger gehört, der eine gleiche Mannichfaltigkeit des Toncolvrits
besäße, wie er. Die meisten Sänger beherrschen in dieser Hinsicht nur ein kleines
Gebiet, und bringen das dramatische Leben durch andere Kunstgriffe, durch das
Tragen, Abstoßen der Töne u. tgi. hervor. Das Jnteressanteste an Roger war
mir, daß er diese Mittel in weit geringerem Grade anwendet, als seine übrigen
Kunstgenossen, und meistens durch die bloße Färbung des Tones wirkt. Schon
darin hat er eine ergiebige Hilfsquelle, daß er eine ganze Quarte der Ton-
leiter mit Falsett und Bruststimme zu singen im Stande ist. Außerdem aber
stehen ihm alle Tonfärbungen von der dunkelsten bis zur hellsten zu Gebot;
die tiefsten Schatten und die glänzendsten Lichter stellt er neben einander. Er
ist des zartesten, rührendsten Ausdruckes sähig. Wenn er im letzten Act des
Propheten seine Mutter bittet, ihn nicht zu verrathen, so liegt darin eine Innig¬
keit, die kindliche Einfachheit, die im tiefsten Herzensgrunde Johann'S schlummert,
tritt darin so rein und klar hervor, daß man glauben möchte, ein unschuldiges
Kind richte an seine Mutter eine Bitte. Und dann wieder weiß er durch die
Macht und den Klang des Tons die erschütterndsten Wirkungen hervorzu¬
bringen, so in der Erzählung des Traumes im Propheten, die überhaupt von
Anfang bis Ende ein Meisterstück ist. Zuerst drückt sein Spiel und seine Mimik
ans, wie er die Erinnerung des Traumes in sich zurückruft; dann beginnt er mit


von Bildung haben und sich mit mehr Ernst ihrem Beruf widmen, als unsre
Theatersänger. Das Leben einer bedeutenden Frau wird eher durch bloße Ge¬
sangs-Leistungen ausgefüllt, als das eiues bedeutenden Mannes. Roger macht
eine seltene Ausnahme. In der Art und Weise seines Gesangs und Spiels, das
ebenfalls ausgezeichnet ist, erinnert er an die Rachel, aber freilich mit einer ge¬
wissen Beschränkung. Denn die Rachel zog Rollen in ihre leidenschaftliche Dar¬
stellung hinein, die auch eine andere Auffassungsweise möglich machten; Roger
hat sich uns nur in Rollen gezeigt, die eine leidenschaftliche Darstellung unbedingt
fordern. Die herkömmlichen Regeln des schönen Gesangs werden durch ihn in
einem weit höhern Grade umgestoßen, als etwa bei der Viardot-Garcia, und doch
kann man ihn darum nicht tadeln, deun mit Allein, was er macht, und mit der
Art, wie er es macht, giebt er vollständig die Situation wieder; ja er thut mehr,
er giebt uns in der Art und Weise des Tons, den er durch die ganze Oper
festhält, die Grundstimmung des darzustellenden Charakters. Neben ihm er¬
scheinen viele unsrer guten Deutschen Säuger mit ihrem correcten Gesang, mit
ihrer monotonen Tonbildung, als reine Maschinen. Aber, um den Unsrigen nicht
Unrecht zu thun, füge ich hinzu: so stellt es sich in einer Meyerbeer'scheu Oper,
die sich von Anfang bis Ende in ekstatischen Stimmungen bewegt, die von Hanse
aus auf seltsamen, außergewöhnlichen Charakteren beruht. Für Mozart, ja selbst
für Gluck wurde Roger's Methode ganz unanwendbar sein. Seine Technik kann
von einem gewissen Standpunkt ans als eine fast unerreichte gelten. Ich habe
noch nie 'cinco Sänger gehört, der eine gleiche Mannichfaltigkeit des Toncolvrits
besäße, wie er. Die meisten Sänger beherrschen in dieser Hinsicht nur ein kleines
Gebiet, und bringen das dramatische Leben durch andere Kunstgriffe, durch das
Tragen, Abstoßen der Töne u. tgi. hervor. Das Jnteressanteste an Roger war
mir, daß er diese Mittel in weit geringerem Grade anwendet, als seine übrigen
Kunstgenossen, und meistens durch die bloße Färbung des Tones wirkt. Schon
darin hat er eine ergiebige Hilfsquelle, daß er eine ganze Quarte der Ton-
leiter mit Falsett und Bruststimme zu singen im Stande ist. Außerdem aber
stehen ihm alle Tonfärbungen von der dunkelsten bis zur hellsten zu Gebot;
die tiefsten Schatten und die glänzendsten Lichter stellt er neben einander. Er
ist des zartesten, rührendsten Ausdruckes sähig. Wenn er im letzten Act des
Propheten seine Mutter bittet, ihn nicht zu verrathen, so liegt darin eine Innig¬
keit, die kindliche Einfachheit, die im tiefsten Herzensgrunde Johann'S schlummert,
tritt darin so rein und klar hervor, daß man glauben möchte, ein unschuldiges
Kind richte an seine Mutter eine Bitte. Und dann wieder weiß er durch die
Macht und den Klang des Tons die erschütterndsten Wirkungen hervorzu¬
bringen, so in der Erzählung des Traumes im Propheten, die überhaupt von
Anfang bis Ende ein Meisterstück ist. Zuerst drückt sein Spiel und seine Mimik
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/108>, abgerufen am 02.07.2024.