Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.Schon das Textbuch zum Doctor und Apotheker ist theils durch den Stoff und Schließlich noch einige Worte über das von der Akademie der Künste ver¬ Schon das Textbuch zum Doctor und Apotheker ist theils durch den Stoff und Schließlich noch einige Worte über das von der Akademie der Künste ver¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280197"/> <p xml:id="ID_276" prev="#ID_275"> Schon das Textbuch zum Doctor und Apotheker ist theils durch den Stoff und<lb/> die Charaktere interessant, theils verräth die rasch fortschreitende Handlung eine<lb/> bühnenknndige Hand. Müßige Arien n. tgi. kommen nur in geringem Maße<lb/> vor; die meisten Musikstücke sind mit der Handlung eng verknüpft; das große<lb/> Finale des ersten Acts ist reich an deu mannichfaltigsten Situationen. Der Styl<lb/> der Musik erinnert vorzugsweise an Haydn. Wir fühlen uns gleich Anfangs<lb/> durch den Ton des Ganzen in das einfache Stillleben des vorigen Jahrhunderts,<lb/> in den gemüthlichen Geist des Deutschen Bürgerstandes versetzt; die komischen<lb/> oder naiven Situationen drückt Diedersdorf mit den einfachsten Mitteln, aber<lb/> schlagend ans, so z. B. das Schnarchen des einschlafenden Invaliden durch<lb/> einen einzigen Ton des Contre-Basses, der aber elektrisch auf die Lachmuskeln<lb/> wirkt, u. tgi. In richtiger Benutzung der gegebenen Mittel für dramatischen<lb/> Ausdruck und in dem raschen, lebendigen Fortschreiten der Handlung, so daß<lb/> Nichts zu gedehnt ausgeführt wird, und doch auch wieder die nothwendige Breite<lb/> da ist, kann Diedersdorf als Muster gelten. Seine Einfachheit freilich ist ein<lb/> für uns verlorenes Gut; mit so geringer Modulation, so bescheidener Jnstrumen¬<lb/> tation u. tgi. kauu unsre Zeit nicht mehr ausreichen; aber dennoch könnte sie<lb/> auch in diesen Beziehungen von den alten Meistern ein gewisses Maß lernen. —<lb/> Der Doctor und Apotheker ist bis jetzt sechs Mal aufgeführt worden; möge dieser<lb/> Erfolg auch die andern Deutschen Bühnen bestimmen, die längst vergessene Oper<lb/> wieder ius Leben zu rufen. — „Der Seher von Khorassan", eine Oper von<lb/> Sobolewski, dem tüchtigen Musikdirector der Gesellschaft, entsprach nicht den Er¬<lb/> wartungen. Der Text ist ein seltenes Gewebe von Unverständigkeiten; die<lb/> Musik verräth zwar im Einzelnen Talent, obschon mehr ein reproducirendes, als<lb/> ein prodncircudes Talent; aber bei dem gänzlichen Mangel ernster Durcharbeitung<lb/> »ut kunstvoller Organisation muß man das Werk als ein unreifes Product be¬<lb/> zeichnen. Das Talent, das SobolewSky wirklich besitzt, wird er für die Kunst<lb/> nnr verwerthen können, wenn er in der Wahl seiner Texte sorgfältiger, und in<lb/> der Wahl seiner Melodien, in der Anordnung des Ganzen strenger gegen sich<lb/> selbst ist. Dein Publicum darf man nicht mit abgerissenen Einfällen, man muß<lb/> ihm mit abgerundeten Leistungen gegenübertreten; und man verzeiht weit eher<lb/> einen ursprünglichen Mangel an Originalität und Tiefe, als Formlosigkeit und<lb/> Unfertigkeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_277" next="#ID_278"> Schließlich noch einige Worte über das von der Akademie der Künste ver¬<lb/> anstaltete Rauch-Fest. Zwei von Kopisch gedichtete, und an sich ziemlich unmusi¬<lb/> kalische Cantaten waren zu dieser Feier von Meyerbeer und Dorn in Musik<lb/> gesetzt. Meyerbeer's Composition hat die etwas verzerrte Haltung, die allen<lb/> Schöpfungen dieses Mannes eigenthümlich ist; indeß ist sie ein wohlabgernndctes<lb/> Ganzes und zeigt mehr Fleiß und Sorgfalt in der Durchführung, als sich von<lb/> Gelegenheits-Arbeiten erwarten läßt. Dorn's Cantate verschafft dem Laien eine</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0110]
Schon das Textbuch zum Doctor und Apotheker ist theils durch den Stoff und
die Charaktere interessant, theils verräth die rasch fortschreitende Handlung eine
bühnenknndige Hand. Müßige Arien n. tgi. kommen nur in geringem Maße
vor; die meisten Musikstücke sind mit der Handlung eng verknüpft; das große
Finale des ersten Acts ist reich an deu mannichfaltigsten Situationen. Der Styl
der Musik erinnert vorzugsweise an Haydn. Wir fühlen uns gleich Anfangs
durch den Ton des Ganzen in das einfache Stillleben des vorigen Jahrhunderts,
in den gemüthlichen Geist des Deutschen Bürgerstandes versetzt; die komischen
oder naiven Situationen drückt Diedersdorf mit den einfachsten Mitteln, aber
schlagend ans, so z. B. das Schnarchen des einschlafenden Invaliden durch
einen einzigen Ton des Contre-Basses, der aber elektrisch auf die Lachmuskeln
wirkt, u. tgi. In richtiger Benutzung der gegebenen Mittel für dramatischen
Ausdruck und in dem raschen, lebendigen Fortschreiten der Handlung, so daß
Nichts zu gedehnt ausgeführt wird, und doch auch wieder die nothwendige Breite
da ist, kann Diedersdorf als Muster gelten. Seine Einfachheit freilich ist ein
für uns verlorenes Gut; mit so geringer Modulation, so bescheidener Jnstrumen¬
tation u. tgi. kauu unsre Zeit nicht mehr ausreichen; aber dennoch könnte sie
auch in diesen Beziehungen von den alten Meistern ein gewisses Maß lernen. —
Der Doctor und Apotheker ist bis jetzt sechs Mal aufgeführt worden; möge dieser
Erfolg auch die andern Deutschen Bühnen bestimmen, die längst vergessene Oper
wieder ius Leben zu rufen. — „Der Seher von Khorassan", eine Oper von
Sobolewski, dem tüchtigen Musikdirector der Gesellschaft, entsprach nicht den Er¬
wartungen. Der Text ist ein seltenes Gewebe von Unverständigkeiten; die
Musik verräth zwar im Einzelnen Talent, obschon mehr ein reproducirendes, als
ein prodncircudes Talent; aber bei dem gänzlichen Mangel ernster Durcharbeitung
»ut kunstvoller Organisation muß man das Werk als ein unreifes Product be¬
zeichnen. Das Talent, das SobolewSky wirklich besitzt, wird er für die Kunst
nnr verwerthen können, wenn er in der Wahl seiner Texte sorgfältiger, und in
der Wahl seiner Melodien, in der Anordnung des Ganzen strenger gegen sich
selbst ist. Dein Publicum darf man nicht mit abgerissenen Einfällen, man muß
ihm mit abgerundeten Leistungen gegenübertreten; und man verzeiht weit eher
einen ursprünglichen Mangel an Originalität und Tiefe, als Formlosigkeit und
Unfertigkeit.
Schließlich noch einige Worte über das von der Akademie der Künste ver¬
anstaltete Rauch-Fest. Zwei von Kopisch gedichtete, und an sich ziemlich unmusi¬
kalische Cantaten waren zu dieser Feier von Meyerbeer und Dorn in Musik
gesetzt. Meyerbeer's Composition hat die etwas verzerrte Haltung, die allen
Schöpfungen dieses Mannes eigenthümlich ist; indeß ist sie ein wohlabgernndctes
Ganzes und zeigt mehr Fleiß und Sorgfalt in der Durchführung, als sich von
Gelegenheits-Arbeiten erwarten läßt. Dorn's Cantate verschafft dem Laien eine
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