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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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häßlich auch das Wort Menschen- oder Kindcrkauf klingen möge, so muß mau
doch bekennen, daß derselbe so ganz verdammlich nicht ist. Die Erziehung, welche
die Kinder in den meisten arme" Familien genießen, ist eine entsetzliche, und gewiß
der in der Russischen Militairanstalt nicht vorzuziehen. Vorzugsweise siud es
alte Soldaten, die dnrch die Revolution ihre Löhnung eingebüßt haben, Vaga¬
bunden und ähnliche Leute, welche sich die Maßregel zu Nutzen machen.

Mit all diesen Maßregeln steht die Vertheiluug der Polnischen Recruten in
die im Innern Rußlands stehenden Regimenter in Einklang. Wenn gleich sich
mit ihr ein viel directerer polirischer Zweck verbindet, so wird doch auf den,
durch die russisicirtcu ausgedienter Militairs die Russificirnng des Polnischen
Volkes zu befördern, kein geringer Werth gelegt, wie deutlich genug daraus hervor¬
geht, daß deu in Nußland ausgedienter Polen die Rückkehr in ihr Vaterland
nicht blos sehr erleichtert, sondern sogar zur Pflicht gemacht wird. Die Negie¬
rung begünstigt die zurückgekehrten auf jede Weise, sorgt für ihr Unterkommen
in kleinen städtischen Gemeinden, und läßt vielen derselben noch auf eine gewisse
Zeit nach der Entlassung eine Geldunterstützung zu Theil werden, damit sie sich
nicht auf das in Polen sehr beliebte Bettel" legen, wodurch sie natürlich der
Verachtung anheimfallen würde", und ihr Einfluß verloren ginge. Meist pachten
sie Schenkhänscr, wozu ihnen die Mittel mittelbar von der Regierung vorge¬
schossen oder geschenkt werden. Es gehört zu einer solchen Pachtung eben kein
großes Capital. Das Inventarium besteht aus einigen Banken, Tischen von
patriarchalischer Bauart, Töpfen und Messern; eine Erstandssumme einzusetzen
ist nicht Sitte, und der Pacht, der sich oftmals auf kaum 10 bis 12 Thaler
beläuft, wird halbjährlich postnumerando bezahlt. Ein Leierkasten wegen der
Tanzverguüguugeu ist freilich ein unentbehrliches Stück, und ob zu Anschaffung
dessen von Seiten des Staates gesorgt wird, weiß ich nicht.

Der Zwang zu dem Besuchen der Russischen Gymnasien und Universitäten
ist endlich das letzte Glied in der Kette der ans die Rnsstfieiruug Polens abzie¬
lende" Mittel. Es konnte das wirkungsvollste sein, wenn es nicht darum das
wirkuugslosestc wäre, weil zu wenige Polen geneigt sind, in das Garn zu gehen.
Der Beamtenstand wäre der einzige Theil des Volkes, der die Maßregel zu un¬
terstütze", oder sich ihr z" ""tcrwerfcu geneigt sein möchte. Allein mit Ausnahme
der obersten Schicht, die Russischer Herkunft ist nud ihre Söhne ohnehin die
Russische" Anstalten frcqnentiren läßt, ist er sehr arm. Die Gehalte sind unerhört
niedrig. Wäre das Leben in Polen nicht sehr einfach, "ud das durchgängig statt¬
habende BestechuugSweseu nicht so ergiebig, so würden die Leute nicht im Stande
sein, sich und ihre Familien zu erhalte". Sechs bis siehe" hundert Thaler heißen
schon eine glänzende Einnahme, und Obwodschaftscouunissairc erfreuen sich keiner
stärkern. Ich habe eine" Polizeipräsidenten gekannt, dessen Gehalt 400 Thaler
betrug. Adjuncten, Controleurs und Actuarieu habe" verhältnißmäßig weniger,


häßlich auch das Wort Menschen- oder Kindcrkauf klingen möge, so muß mau
doch bekennen, daß derselbe so ganz verdammlich nicht ist. Die Erziehung, welche
die Kinder in den meisten arme» Familien genießen, ist eine entsetzliche, und gewiß
der in der Russischen Militairanstalt nicht vorzuziehen. Vorzugsweise siud es
alte Soldaten, die dnrch die Revolution ihre Löhnung eingebüßt haben, Vaga¬
bunden und ähnliche Leute, welche sich die Maßregel zu Nutzen machen.

Mit all diesen Maßregeln steht die Vertheiluug der Polnischen Recruten in
die im Innern Rußlands stehenden Regimenter in Einklang. Wenn gleich sich
mit ihr ein viel directerer polirischer Zweck verbindet, so wird doch auf den,
durch die russisicirtcu ausgedienter Militairs die Russificirnng des Polnischen
Volkes zu befördern, kein geringer Werth gelegt, wie deutlich genug daraus hervor¬
geht, daß deu in Nußland ausgedienter Polen die Rückkehr in ihr Vaterland
nicht blos sehr erleichtert, sondern sogar zur Pflicht gemacht wird. Die Negie¬
rung begünstigt die zurückgekehrten auf jede Weise, sorgt für ihr Unterkommen
in kleinen städtischen Gemeinden, und läßt vielen derselben noch auf eine gewisse
Zeit nach der Entlassung eine Geldunterstützung zu Theil werden, damit sie sich
nicht auf das in Polen sehr beliebte Bettel» legen, wodurch sie natürlich der
Verachtung anheimfallen würde», und ihr Einfluß verloren ginge. Meist pachten
sie Schenkhänscr, wozu ihnen die Mittel mittelbar von der Regierung vorge¬
schossen oder geschenkt werden. Es gehört zu einer solchen Pachtung eben kein
großes Capital. Das Inventarium besteht aus einigen Banken, Tischen von
patriarchalischer Bauart, Töpfen und Messern; eine Erstandssumme einzusetzen
ist nicht Sitte, und der Pacht, der sich oftmals auf kaum 10 bis 12 Thaler
beläuft, wird halbjährlich postnumerando bezahlt. Ein Leierkasten wegen der
Tanzverguüguugeu ist freilich ein unentbehrliches Stück, und ob zu Anschaffung
dessen von Seiten des Staates gesorgt wird, weiß ich nicht.

Der Zwang zu dem Besuchen der Russischen Gymnasien und Universitäten
ist endlich das letzte Glied in der Kette der ans die Rnsstfieiruug Polens abzie¬
lende« Mittel. Es konnte das wirkungsvollste sein, wenn es nicht darum das
wirkuugslosestc wäre, weil zu wenige Polen geneigt sind, in das Garn zu gehen.
Der Beamtenstand wäre der einzige Theil des Volkes, der die Maßregel zu un¬
terstütze«, oder sich ihr z« ««tcrwerfcu geneigt sein möchte. Allein mit Ausnahme
der obersten Schicht, die Russischer Herkunft ist nud ihre Söhne ohnehin die
Russische« Anstalten frcqnentiren läßt, ist er sehr arm. Die Gehalte sind unerhört
niedrig. Wäre das Leben in Polen nicht sehr einfach, «ud das durchgängig statt¬
habende BestechuugSweseu nicht so ergiebig, so würden die Leute nicht im Stande
sein, sich und ihre Familien zu erhalte». Sechs bis siehe» hundert Thaler heißen
schon eine glänzende Einnahme, und Obwodschaftscouunissairc erfreuen sich keiner
stärkern. Ich habe eine« Polizeipräsidenten gekannt, dessen Gehalt 400 Thaler
betrug. Adjuncten, Controleurs und Actuarieu habe« verhältnißmäßig weniger,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/103>, abgerufen am 02.07.2024.