Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und also sehr wenig. Genug, der tiefere Beamtenstand ist arm, und trotzdem,
daß die amtliche Zwangsbettelei oder sogenannte Lapomereiterei wol eben so viel
gewährt, als das fixe Gehalt, doch nicht im Stande, Sohne so weit aus dem
Hanse zu schicken. Die Regierung hat zwar auf diesen Umstand Rücksicht genom¬
men, und gewährt den Söhnen der Beamten an den Russischen Gymnasien und
Universitäten Freistellen und Stipendien, diese aber sind nicht so inhaltreich, daß
nicht immer noch bedeutende Kosten zu decken blieben.

Die Zahl derjenigen eingeborenen Polen, welche die höhern Studien
absolviren, ist unter solche" Verhältnissen sehr gering. Ich hörte sie mit hun¬
dert, auch mit hundertundfunfzig bezeichnen. Theologen sind darunter gar nicht,
weil diese einen vou dem Gymnasialwesen abgesonderten Studienweg zurückzulegen
haben; Juristen und Cameralisten wenige, weil nur höchstens die Söhne der
Beamten Lust haben, sich am Russischen Gerichts- und Verwaltuugswesen zu bethei¬
ligen; die Mediciner machen etwa den dritten Theil, die Philologen die übrige
Mehrzahl aus. So kann man die höhere wissenschaftliche Bildung, von welcher
die Bildung der unteren Volksklassen fast ganz abhängt, als den Polen fast voll¬
kommen abgeschnitten betrachten. Die Gymnasien, welche in Polen noch bestehen,
sind, ihrer oberen Klassen und mancher wichtigen Zweige der Wissenschaft beraubt, uicht
mehr als Realschulen. Die alten Sprachen werden noch getrieben, jedoch in beschränk¬
ter Weise und nach der Lehrmethode der neuen Sprache. Man ist bestrebt, sprechen
zu lehren, nicht die Schätze der alten classischen Literatur und Geschichte auszu¬
schließen. Im Sprechen der alten Sprachen bringt man es aber in der That
zu einer ansehnlichen Geläufigkeit. Oft hört man noch sehr jugendliche Schüler
Griechisch und Lateinisch wie ihre Muttersprache schwatzen.

Jede Gouvernementsstadt besitzt ihr Gymnasium. Warschau hat deren beinahe
so viele, als es Polizeicirkel besitzt, doch ist das Lyceum als das eigentliche, die
andern Anstalten, welche Obwodschastsschuleu genannt werden, als Filiale zu be¬
trachten. Das Lyceum befindet sich im Mittelpunkte der Stadt ans der sogenannten
Krakauer Vorstadt. Seine Gebäude sind sehr elegant. Sie bilden ein großes
Quadrat. Einst enthielten sie die Universität, und mochten bei der ziemlichen Reich¬
haltigkeit der verschiedenen wissenschaftlichen Sammlungen nicht zu geräumig sein.
Jetzt, nachdem der größte Theil dieser Schätze nach Petersburg geführt worden,
stehe" sie zur Hälfte leer. Eine kleine Bibliothek und die zoologische Sammlung,
die man gleich im ersten Gebäude rechts findet, sind nur Ueberreste des ehemals
vorhanden Gewesenen; doch sind dieselben immer noch recht schätzenswert!) und ver¬
diene" wegen guter Classification und sorgfältiger Pflege einen Lobspruch. Leider
ist dies Alles, was die Stadt uoch an wissenschaftlichen Schätzen besitzt.

In einem der Seitengebäude befindet sich das Procuratonmn der gesammten
Polnischen Schulen. Es befand sich seit der Revolution stets in der Hand eines
Russischen Generals.


und also sehr wenig. Genug, der tiefere Beamtenstand ist arm, und trotzdem,
daß die amtliche Zwangsbettelei oder sogenannte Lapomereiterei wol eben so viel
gewährt, als das fixe Gehalt, doch nicht im Stande, Sohne so weit aus dem
Hanse zu schicken. Die Regierung hat zwar auf diesen Umstand Rücksicht genom¬
men, und gewährt den Söhnen der Beamten an den Russischen Gymnasien und
Universitäten Freistellen und Stipendien, diese aber sind nicht so inhaltreich, daß
nicht immer noch bedeutende Kosten zu decken blieben.

Die Zahl derjenigen eingeborenen Polen, welche die höhern Studien
absolviren, ist unter solche» Verhältnissen sehr gering. Ich hörte sie mit hun¬
dert, auch mit hundertundfunfzig bezeichnen. Theologen sind darunter gar nicht,
weil diese einen vou dem Gymnasialwesen abgesonderten Studienweg zurückzulegen
haben; Juristen und Cameralisten wenige, weil nur höchstens die Söhne der
Beamten Lust haben, sich am Russischen Gerichts- und Verwaltuugswesen zu bethei¬
ligen; die Mediciner machen etwa den dritten Theil, die Philologen die übrige
Mehrzahl aus. So kann man die höhere wissenschaftliche Bildung, von welcher
die Bildung der unteren Volksklassen fast ganz abhängt, als den Polen fast voll¬
kommen abgeschnitten betrachten. Die Gymnasien, welche in Polen noch bestehen,
sind, ihrer oberen Klassen und mancher wichtigen Zweige der Wissenschaft beraubt, uicht
mehr als Realschulen. Die alten Sprachen werden noch getrieben, jedoch in beschränk¬
ter Weise und nach der Lehrmethode der neuen Sprache. Man ist bestrebt, sprechen
zu lehren, nicht die Schätze der alten classischen Literatur und Geschichte auszu¬
schließen. Im Sprechen der alten Sprachen bringt man es aber in der That
zu einer ansehnlichen Geläufigkeit. Oft hört man noch sehr jugendliche Schüler
Griechisch und Lateinisch wie ihre Muttersprache schwatzen.

Jede Gouvernementsstadt besitzt ihr Gymnasium. Warschau hat deren beinahe
so viele, als es Polizeicirkel besitzt, doch ist das Lyceum als das eigentliche, die
andern Anstalten, welche Obwodschastsschuleu genannt werden, als Filiale zu be¬
trachten. Das Lyceum befindet sich im Mittelpunkte der Stadt ans der sogenannten
Krakauer Vorstadt. Seine Gebäude sind sehr elegant. Sie bilden ein großes
Quadrat. Einst enthielten sie die Universität, und mochten bei der ziemlichen Reich¬
haltigkeit der verschiedenen wissenschaftlichen Sammlungen nicht zu geräumig sein.
Jetzt, nachdem der größte Theil dieser Schätze nach Petersburg geführt worden,
stehe» sie zur Hälfte leer. Eine kleine Bibliothek und die zoologische Sammlung,
die man gleich im ersten Gebäude rechts findet, sind nur Ueberreste des ehemals
vorhanden Gewesenen; doch sind dieselben immer noch recht schätzenswert!) und ver¬
diene» wegen guter Classification und sorgfältiger Pflege einen Lobspruch. Leider
ist dies Alles, was die Stadt uoch an wissenschaftlichen Schätzen besitzt.

In einem der Seitengebäude befindet sich das Procuratonmn der gesammten
Polnischen Schulen. Es befand sich seit der Revolution stets in der Hand eines
Russischen Generals.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0104" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280191"/>
          <p xml:id="ID_260" prev="#ID_259"> und also sehr wenig. Genug, der tiefere Beamtenstand ist arm, und trotzdem,<lb/>
daß die amtliche Zwangsbettelei oder sogenannte Lapomereiterei wol eben so viel<lb/>
gewährt, als das fixe Gehalt, doch nicht im Stande, Sohne so weit aus dem<lb/>
Hanse zu schicken. Die Regierung hat zwar auf diesen Umstand Rücksicht genom¬<lb/>
men, und gewährt den Söhnen der Beamten an den Russischen Gymnasien und<lb/>
Universitäten Freistellen und Stipendien, diese aber sind nicht so inhaltreich, daß<lb/>
nicht immer noch bedeutende Kosten zu decken blieben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_261"> Die Zahl derjenigen eingeborenen Polen, welche die höhern Studien<lb/>
absolviren, ist unter solche» Verhältnissen sehr gering. Ich hörte sie mit hun¬<lb/>
dert, auch mit hundertundfunfzig bezeichnen. Theologen sind darunter gar nicht,<lb/>
weil diese einen vou dem Gymnasialwesen abgesonderten Studienweg zurückzulegen<lb/>
haben; Juristen und Cameralisten wenige, weil nur höchstens die Söhne der<lb/>
Beamten Lust haben, sich am Russischen Gerichts- und Verwaltuugswesen zu bethei¬<lb/>
ligen; die Mediciner machen etwa den dritten Theil, die Philologen die übrige<lb/>
Mehrzahl aus. So kann man die höhere wissenschaftliche Bildung, von welcher<lb/>
die Bildung der unteren Volksklassen fast ganz abhängt, als den Polen fast voll¬<lb/>
kommen abgeschnitten betrachten. Die Gymnasien, welche in Polen noch bestehen,<lb/>
sind, ihrer oberen Klassen und mancher wichtigen Zweige der Wissenschaft beraubt, uicht<lb/>
mehr als Realschulen. Die alten Sprachen werden noch getrieben, jedoch in beschränk¬<lb/>
ter Weise und nach der Lehrmethode der neuen Sprache. Man ist bestrebt, sprechen<lb/>
zu lehren, nicht die Schätze der alten classischen Literatur und Geschichte auszu¬<lb/>
schließen. Im Sprechen der alten Sprachen bringt man es aber in der That<lb/>
zu einer ansehnlichen Geläufigkeit. Oft hört man noch sehr jugendliche Schüler<lb/>
Griechisch und Lateinisch wie ihre Muttersprache schwatzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_262"> Jede Gouvernementsstadt besitzt ihr Gymnasium. Warschau hat deren beinahe<lb/>
so viele, als es Polizeicirkel besitzt, doch ist das Lyceum als das eigentliche, die<lb/>
andern Anstalten, welche Obwodschastsschuleu genannt werden, als Filiale zu be¬<lb/>
trachten. Das Lyceum befindet sich im Mittelpunkte der Stadt ans der sogenannten<lb/>
Krakauer Vorstadt. Seine Gebäude sind sehr elegant. Sie bilden ein großes<lb/>
Quadrat. Einst enthielten sie die Universität, und mochten bei der ziemlichen Reich¬<lb/>
haltigkeit der verschiedenen wissenschaftlichen Sammlungen nicht zu geräumig sein.<lb/>
Jetzt, nachdem der größte Theil dieser Schätze nach Petersburg geführt worden,<lb/>
stehe» sie zur Hälfte leer. Eine kleine Bibliothek und die zoologische Sammlung,<lb/>
die man gleich im ersten Gebäude rechts findet, sind nur Ueberreste des ehemals<lb/>
vorhanden Gewesenen; doch sind dieselben immer noch recht schätzenswert!) und ver¬<lb/>
diene» wegen guter Classification und sorgfältiger Pflege einen Lobspruch. Leider<lb/>
ist dies Alles, was die Stadt uoch an wissenschaftlichen Schätzen besitzt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_263"> In einem der Seitengebäude befindet sich das Procuratonmn der gesammten<lb/>
Polnischen Schulen. Es befand sich seit der Revolution stets in der Hand eines<lb/>
Russischen Generals.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0104] und also sehr wenig. Genug, der tiefere Beamtenstand ist arm, und trotzdem, daß die amtliche Zwangsbettelei oder sogenannte Lapomereiterei wol eben so viel gewährt, als das fixe Gehalt, doch nicht im Stande, Sohne so weit aus dem Hanse zu schicken. Die Regierung hat zwar auf diesen Umstand Rücksicht genom¬ men, und gewährt den Söhnen der Beamten an den Russischen Gymnasien und Universitäten Freistellen und Stipendien, diese aber sind nicht so inhaltreich, daß nicht immer noch bedeutende Kosten zu decken blieben. Die Zahl derjenigen eingeborenen Polen, welche die höhern Studien absolviren, ist unter solche» Verhältnissen sehr gering. Ich hörte sie mit hun¬ dert, auch mit hundertundfunfzig bezeichnen. Theologen sind darunter gar nicht, weil diese einen vou dem Gymnasialwesen abgesonderten Studienweg zurückzulegen haben; Juristen und Cameralisten wenige, weil nur höchstens die Söhne der Beamten Lust haben, sich am Russischen Gerichts- und Verwaltuugswesen zu bethei¬ ligen; die Mediciner machen etwa den dritten Theil, die Philologen die übrige Mehrzahl aus. So kann man die höhere wissenschaftliche Bildung, von welcher die Bildung der unteren Volksklassen fast ganz abhängt, als den Polen fast voll¬ kommen abgeschnitten betrachten. Die Gymnasien, welche in Polen noch bestehen, sind, ihrer oberen Klassen und mancher wichtigen Zweige der Wissenschaft beraubt, uicht mehr als Realschulen. Die alten Sprachen werden noch getrieben, jedoch in beschränk¬ ter Weise und nach der Lehrmethode der neuen Sprache. Man ist bestrebt, sprechen zu lehren, nicht die Schätze der alten classischen Literatur und Geschichte auszu¬ schließen. Im Sprechen der alten Sprachen bringt man es aber in der That zu einer ansehnlichen Geläufigkeit. Oft hört man noch sehr jugendliche Schüler Griechisch und Lateinisch wie ihre Muttersprache schwatzen. Jede Gouvernementsstadt besitzt ihr Gymnasium. Warschau hat deren beinahe so viele, als es Polizeicirkel besitzt, doch ist das Lyceum als das eigentliche, die andern Anstalten, welche Obwodschastsschuleu genannt werden, als Filiale zu be¬ trachten. Das Lyceum befindet sich im Mittelpunkte der Stadt ans der sogenannten Krakauer Vorstadt. Seine Gebäude sind sehr elegant. Sie bilden ein großes Quadrat. Einst enthielten sie die Universität, und mochten bei der ziemlichen Reich¬ haltigkeit der verschiedenen wissenschaftlichen Sammlungen nicht zu geräumig sein. Jetzt, nachdem der größte Theil dieser Schätze nach Petersburg geführt worden, stehe» sie zur Hälfte leer. Eine kleine Bibliothek und die zoologische Sammlung, die man gleich im ersten Gebäude rechts findet, sind nur Ueberreste des ehemals vorhanden Gewesenen; doch sind dieselben immer noch recht schätzenswert!) und ver¬ diene» wegen guter Classification und sorgfältiger Pflege einen Lobspruch. Leider ist dies Alles, was die Stadt uoch an wissenschaftlichen Schätzen besitzt. In einem der Seitengebäude befindet sich das Procuratonmn der gesammten Polnischen Schulen. Es befand sich seit der Revolution stets in der Hand eines Russischen Generals.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/104
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/104>, abgerufen am 24.07.2024.