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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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in vielfacher und enger Wechselwirkung stand, den Kammern zur Prüfung vor¬
lagen ?

Eben so wenig befriedigte der Inhalt dieses Wahlgesetzes selber die conserva-
tive Partei. Ein Zurückgehen von dein schrankenlosen allgemeinen Wahlrecht hatten
die Meisten erwartet, auch wohl gewünscht; ein höheres Alter der Stimmfähigkeit
für alle Wahlen, ein mäßiger Census für die zur ersten Kammer, und bei der
zweiten Kammer eine Zurückführung des activen Wahlrechtes auf das Gemeinde¬
bürgerrecht - damit wäre gewiß die ganze Rechte einverstanden gewesen, dafür
konnten selbst Die stimmen, welche bei dem provisorischen Wahlgesetze, von dessen
"breitester Grundlage" man dadurch allerdings einen Schritt zurückging, als Mit¬
glieder der damaligen Kammern, wie des damaligen Kabinets näher betheiligt
waren. Sind doch alle Wahlgesetze, die nicht principiell auf einer aristokratischen
Grundlage ruhen, eigentlich bloße Experimente, deren Vorzüge oder Nachtheile
nnr die Erfahrung herausstellen kann, und hat doch die Erfahrung dieser letzten
zwei Jahre laut genug gegen das ganz unbeschränkte Stimmrecht gesprochen;
wie sollten nicht auch jene Mäuner, als umsichtige Politiker, denen das wahre
Wohl des Vaterlandes höher steht, als eine flüchtige Popularität, dieser Stimme
der Erfahrung Gehör schenken? Gerüchte, zum Theil aus angebliche vertrauliche
Mittheilungen "ans bester Quelle" gestützt, hatten zum Voraus das neue Wahl¬
gesetz als innerhalb der soeben bezeichneten Schranken sich bewegend angekündigt,
und allgemein freute man sich, daß die conservative Partei in dieser wichtigen
Frage unbedenklich mit der Regierung werde gehen können. Welche unerquickliche
Ueberraschung war es daher, als das wirkliche Erscheinen des Gesetzentwurfs jene
Hoffnung gründlich zerstörte und wesentliche Differenzen zwischen den politischen
Grundsätzen der Mehrheit dieser Partei und der Regierungsvorlage hervortreten
ließ. Kaum zwei, drei Mitglieder der äußersten Rechten in beiden Kammern wa¬
ren damit zufrieden, daß für die erste Kammer 25 Thaler directer Steuer als
activer und passiver Wahlcensus aufgestellt, daß für die Wahlen zur Volkskammer
das indirecte Wahlverfahreu statt des nun schon zweimal in Anwendung gebrachten
directen wieder eingeführt werden sollte.

Unter solchen Eindrücken begannen die wirklichen Berathungen der Kammern.
Zwei brennende Fragen traten sogleich in den Vordergrund: die Amnestie und
der Belagerungszustand. Die Rechte erblickte in einer Amnestie -- nicht für
alle, aber doch für einen großen Theil der in die Mainntersuchungen Verfloch¬
tenen -- eine politische und sittliche Nothwendigkeit, ein Gebot nicht der Huma¬
nität allein, sondern auch der höhern Gerechtigkeit; sie hielt es daher sür ihre
Pflicht und gerade ihrer Stellung als conservative Partei für angemessen, diese
Maßregel selbst zu beantragen, sie von ihrem Standpunkte aus und in ihrem Sinne
zu beantragen, nicht der Linken die Initiative eines solchen Antrags und die Be¬
stimmung seiner Grenzen zu überlassen. So ward denn der Antrag auf eine


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in vielfacher und enger Wechselwirkung stand, den Kammern zur Prüfung vor¬
lagen ?

Eben so wenig befriedigte der Inhalt dieses Wahlgesetzes selber die conserva-
tive Partei. Ein Zurückgehen von dein schrankenlosen allgemeinen Wahlrecht hatten
die Meisten erwartet, auch wohl gewünscht; ein höheres Alter der Stimmfähigkeit
für alle Wahlen, ein mäßiger Census für die zur ersten Kammer, und bei der
zweiten Kammer eine Zurückführung des activen Wahlrechtes auf das Gemeinde¬
bürgerrecht - damit wäre gewiß die ganze Rechte einverstanden gewesen, dafür
konnten selbst Die stimmen, welche bei dem provisorischen Wahlgesetze, von dessen
„breitester Grundlage" man dadurch allerdings einen Schritt zurückging, als Mit¬
glieder der damaligen Kammern, wie des damaligen Kabinets näher betheiligt
waren. Sind doch alle Wahlgesetze, die nicht principiell auf einer aristokratischen
Grundlage ruhen, eigentlich bloße Experimente, deren Vorzüge oder Nachtheile
nnr die Erfahrung herausstellen kann, und hat doch die Erfahrung dieser letzten
zwei Jahre laut genug gegen das ganz unbeschränkte Stimmrecht gesprochen;
wie sollten nicht auch jene Mäuner, als umsichtige Politiker, denen das wahre
Wohl des Vaterlandes höher steht, als eine flüchtige Popularität, dieser Stimme
der Erfahrung Gehör schenken? Gerüchte, zum Theil aus angebliche vertrauliche
Mittheilungen „ans bester Quelle" gestützt, hatten zum Voraus das neue Wahl¬
gesetz als innerhalb der soeben bezeichneten Schranken sich bewegend angekündigt,
und allgemein freute man sich, daß die conservative Partei in dieser wichtigen
Frage unbedenklich mit der Regierung werde gehen können. Welche unerquickliche
Ueberraschung war es daher, als das wirkliche Erscheinen des Gesetzentwurfs jene
Hoffnung gründlich zerstörte und wesentliche Differenzen zwischen den politischen
Grundsätzen der Mehrheit dieser Partei und der Regierungsvorlage hervortreten
ließ. Kaum zwei, drei Mitglieder der äußersten Rechten in beiden Kammern wa¬
ren damit zufrieden, daß für die erste Kammer 25 Thaler directer Steuer als
activer und passiver Wahlcensus aufgestellt, daß für die Wahlen zur Volkskammer
das indirecte Wahlverfahreu statt des nun schon zweimal in Anwendung gebrachten
directen wieder eingeführt werden sollte.

Unter solchen Eindrücken begannen die wirklichen Berathungen der Kammern.
Zwei brennende Fragen traten sogleich in den Vordergrund: die Amnestie und
der Belagerungszustand. Die Rechte erblickte in einer Amnestie — nicht für
alle, aber doch für einen großen Theil der in die Mainntersuchungen Verfloch¬
tenen — eine politische und sittliche Nothwendigkeit, ein Gebot nicht der Huma¬
nität allein, sondern auch der höhern Gerechtigkeit; sie hielt es daher sür ihre
Pflicht und gerade ihrer Stellung als conservative Partei für angemessen, diese
Maßregel selbst zu beantragen, sie von ihrem Standpunkte aus und in ihrem Sinne
zu beantragen, nicht der Linken die Initiative eines solchen Antrags und die Be¬
stimmung seiner Grenzen zu überlassen. So ward denn der Antrag auf eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/99>, abgerufen am 24.07.2024.