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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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die höchste Ziffer gebrachten Heeres, als in der moralischen Unterstützung der Kam¬
mern und der öffentlichen Stimme des Landes suche und zu finden hoffe. Dieser
Eindruck war namentlich bei den Mitgliedern der rechten Seite augenscheinlich der
überwiegende. Man sah hier fast nur bestürzte Miene", hörte nur Ausdrücke des
Bedauerns und der getäuschten Hoffnung, dazwischen auch wohl die unverholen
ausgesprochene Ueberzeugung, daß mit dieser Negierung selbst eine in ihrer
Mehrheit conservative Versammlung nicht lange sich vertragen werde, daß ein
Bruch unvermeidlich sei. Die Linke schien sich an dieser Bestürzung der Rechten
zu weiden; sie wußte wohl, daß, wenn die Regierung zu weit nach rechts gehe,
die Rechte nothwendig mehr nach links gedrängt werde. Gerüchte von einer nahe
bevorstehenden abermaligen Kammerauflösung flogen durch die Reihen der Abge¬
ordneten und durch die Kreise der Residenz und fanden willigen Glauben. In
solchen Momenten hängt die politische Divination sich vielleicht zu voreilig auch an
Aeußerlichkeiten, und so wollte man in dem Wiedererscheinen der ministeriellen Uni¬
formen bei der feierlichen Kammereröffnung (die Ministerien Braun und Held
hatten niemals die Hofuniform, sondern stets den bürgerlichen Frack getragen),
vollends in der neuerfundenen Ausschmückung derselben mit dicken Generalsepau¬
lettes, ein Anzeichen der veränderten, sich vom Zusammenhang mit dem Bürger-
thume wieder ab- und dem höfischen und soldatischen Elemente zuwendenden Stim¬
mung der Regierung erblicken. Die weiteren Vorgänge dienten mehr zur Ver¬
stärkung, als zur Milderung dieser Eindrücke. Von den größeren Organisations¬
arbeiten, welche die Propositiousschrist in Aussicht stellte, war keine zur Vorlage
an die Kammern fertig, das einzige Berggesetz ausgenommen. Selbst die Vorla¬
gen in der deutschen Frage, deren Mittheilung an die Kammern doch, wie die
Leipziger Zeitung berichtet hatte, das Ministerium längst "mit Sehnsucht" herbei¬
wünschte, blieben aus, blieben auch dann noch aus, nachdem Herr v. Carlowitz
das Ministerium deshalb interpellirt und Letzteres deren Erscheinen "im Laufe der
nächsten Woche" zugesagt hatte. Sie sind, so viel mir bekannt, noch bis heute
nicht an die Kammern gelangt. Dahingegen kamen alsbald umfängliche Vorlagen
zu Geldbewilligungen, zu Steuererhöhungen aller Art, es kam auch der Entwurf
eines neuen Wahlgesetzes. Bewilligungen, das wußte man wohl, waren noth¬
wendig, auch Mehrbewilliguugen wegen der außerordentlichen Verhältnisse; allein
immerhin war es schlimm, daß das Volk von der Thätigkeit seiner Vertreter in
der nächsten Zeit und vielleicht auf lange hin beinahe nichts Anderes zu sehen be¬
kommen sollte, als Anweisungen ans seinen Geldbeutel, daß das Ministerium
sich die Mittel seiner Fortexistenz so rasch sichern zu wollen schien, um -- so
argumeutirte der Argwohn -- nöthigenfalls der Kammern bald wieder entrathen
zu können. Wozu ferner diese Eile beim Wahlgesetze? Wäre es nicht natürlicher
gewesen, diese Arbeit zur letzten des Landtages zu machen, sie wenigstens bis da¬
hin zu verschieben, wo die allgemeineren Reformen, mit denen der neue Entwurf


die höchste Ziffer gebrachten Heeres, als in der moralischen Unterstützung der Kam¬
mern und der öffentlichen Stimme des Landes suche und zu finden hoffe. Dieser
Eindruck war namentlich bei den Mitgliedern der rechten Seite augenscheinlich der
überwiegende. Man sah hier fast nur bestürzte Miene», hörte nur Ausdrücke des
Bedauerns und der getäuschten Hoffnung, dazwischen auch wohl die unverholen
ausgesprochene Ueberzeugung, daß mit dieser Negierung selbst eine in ihrer
Mehrheit conservative Versammlung nicht lange sich vertragen werde, daß ein
Bruch unvermeidlich sei. Die Linke schien sich an dieser Bestürzung der Rechten
zu weiden; sie wußte wohl, daß, wenn die Regierung zu weit nach rechts gehe,
die Rechte nothwendig mehr nach links gedrängt werde. Gerüchte von einer nahe
bevorstehenden abermaligen Kammerauflösung flogen durch die Reihen der Abge¬
ordneten und durch die Kreise der Residenz und fanden willigen Glauben. In
solchen Momenten hängt die politische Divination sich vielleicht zu voreilig auch an
Aeußerlichkeiten, und so wollte man in dem Wiedererscheinen der ministeriellen Uni¬
formen bei der feierlichen Kammereröffnung (die Ministerien Braun und Held
hatten niemals die Hofuniform, sondern stets den bürgerlichen Frack getragen),
vollends in der neuerfundenen Ausschmückung derselben mit dicken Generalsepau¬
lettes, ein Anzeichen der veränderten, sich vom Zusammenhang mit dem Bürger-
thume wieder ab- und dem höfischen und soldatischen Elemente zuwendenden Stim¬
mung der Regierung erblicken. Die weiteren Vorgänge dienten mehr zur Ver¬
stärkung, als zur Milderung dieser Eindrücke. Von den größeren Organisations¬
arbeiten, welche die Propositiousschrist in Aussicht stellte, war keine zur Vorlage
an die Kammern fertig, das einzige Berggesetz ausgenommen. Selbst die Vorla¬
gen in der deutschen Frage, deren Mittheilung an die Kammern doch, wie die
Leipziger Zeitung berichtet hatte, das Ministerium längst „mit Sehnsucht" herbei¬
wünschte, blieben aus, blieben auch dann noch aus, nachdem Herr v. Carlowitz
das Ministerium deshalb interpellirt und Letzteres deren Erscheinen „im Laufe der
nächsten Woche" zugesagt hatte. Sie sind, so viel mir bekannt, noch bis heute
nicht an die Kammern gelangt. Dahingegen kamen alsbald umfängliche Vorlagen
zu Geldbewilligungen, zu Steuererhöhungen aller Art, es kam auch der Entwurf
eines neuen Wahlgesetzes. Bewilligungen, das wußte man wohl, waren noth¬
wendig, auch Mehrbewilliguugen wegen der außerordentlichen Verhältnisse; allein
immerhin war es schlimm, daß das Volk von der Thätigkeit seiner Vertreter in
der nächsten Zeit und vielleicht auf lange hin beinahe nichts Anderes zu sehen be¬
kommen sollte, als Anweisungen ans seinen Geldbeutel, daß das Ministerium
sich die Mittel seiner Fortexistenz so rasch sichern zu wollen schien, um — so
argumeutirte der Argwohn — nöthigenfalls der Kammern bald wieder entrathen
zu können. Wozu ferner diese Eile beim Wahlgesetze? Wäre es nicht natürlicher
gewesen, diese Arbeit zur letzten des Landtages zu machen, sie wenigstens bis da¬
hin zu verschieben, wo die allgemeineren Reformen, mit denen der neue Entwurf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/98>, abgerufen am 24.07.2024.