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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Amnestie "in möglichst ausgedehntem Maße," jedoch nur "so weit die nothwendige
Aufrechthaltung der Gesetze es zulasse," in beiden Kammern von Mitgliedern der
Rechten eingebracht.

Die Aufhebung des Belagerungszustandes ward von der Linken zuerst in der
zweiten Kammer angeregt. Die Rechte in ihrer großen Mehrheit war auch diesem
Antrage geneigt, jedoch entschlossen, stichhaltigen Gründen dagegen, wenn solche
von der Regierung vorgebracht würden, ihre Ansichten und Wünsche unterzuordnen.
Als daher der Antrag eingebracht ward, verlangte sie die Vorberathung desselben
durch einen Ausschuß. Am Ministertische war Niemand zugegen, um die Ansichten
der Regierung über diese Vorfrage kundzugeben; man mußte annehmen, die Re¬
gierung habe nichts gegen die dringliche Behandlung des Antrages, wenn man
nicht voraussetzen sollte: das Ministerium halte es nicht der Mühe werth, in der
Kammer zu erscheinen und seinen Standpunkt zu vertreten. Später ist mau der
wahrscheinlichen Ursache dieser auffallenden Nachlässigkeit auf die Spur gekommen.
Ein Mitglied der Rechten, dessen intime Beziehungen zu Personen des Ministe¬
riums je länger je mehr an's Licht traten, hatte allem Vermuthen nach damals
diesen hinterbracht, wie die Rechte in ihren Elnbberathuugen sich dahin geeinigt
habe, die Dringlichkeit des Antrags abzulehnen. Darauf hin mochte man die
Sache für abgethan und die Antheilnahme der Regierung nicht für nöthig erachtet
haben. Indeß hatte mau sich diesmal verrechnet. Einige Mitglieder der Rechten
(darunter Präsident Cu u v) ließen sich durch die Gründe der Gegner, vielleicht auch
durch ebeu jeues Schweigen des Ministeriums verleiten, von ihrer Partei abzu¬
fallen und für die Berathung deö Antrags ohne Verweisung an eiuen Ausschuß zu
stimme".

Bei dieser Berathung selbst war es nun ein eigenthümliches Schauspiel, zu
sehen, wie die meisten und schärfsten der Redner, welche gegen das Ministerium
auftraten, der rechten Seite angehörten. Selbst die Dresdner Zeitung bekannte,
daß die "vollste Ladung" nicht von der Linken, sondern von der Rechten gekommen
sei. Ein einziger Redner von dieser Seite, Harkvrt, nahm sich der Negierung
an, und nur sieben Stimme" uuter 55 erklärten sich bei der Abstimmung gegen
den Antrag. Darunter waren drei Staatsdiener und ein Kammerherr.

Gar zu trostlos war es aber auch, wie das Ministerium seine Politik der
Ausuahmemaßregeln vertheidigte. Selbst der durch und durch loyale und conserva-
tive Hähnel von Nadeburg, welcher gern den früheren Fehler des Ministeriums
gut gemacht und die Sache noch jetzt auf den Deputatiousweg gebracht hätte,
mußte von diesem wohlmeinenden Vorhaben abstehen, weil vom Ministertische aus
wirklich auch so gar nichts vorgebracht wurde, was eine Aufschiebung des Be¬
schlusses und eine Zurückgabe der Angelegenheit an eine Deputation rechtfertigen
konnte, und Biedermann sagte: "er bedaure jetzt weniger als zuvor, daß der
Antrag nicht an einen Ausschuß verwiesen worden sei, denn wenn die Negierung


Amnestie „in möglichst ausgedehntem Maße," jedoch nur „so weit die nothwendige
Aufrechthaltung der Gesetze es zulasse," in beiden Kammern von Mitgliedern der
Rechten eingebracht.

Die Aufhebung des Belagerungszustandes ward von der Linken zuerst in der
zweiten Kammer angeregt. Die Rechte in ihrer großen Mehrheit war auch diesem
Antrage geneigt, jedoch entschlossen, stichhaltigen Gründen dagegen, wenn solche
von der Regierung vorgebracht würden, ihre Ansichten und Wünsche unterzuordnen.
Als daher der Antrag eingebracht ward, verlangte sie die Vorberathung desselben
durch einen Ausschuß. Am Ministertische war Niemand zugegen, um die Ansichten
der Regierung über diese Vorfrage kundzugeben; man mußte annehmen, die Re¬
gierung habe nichts gegen die dringliche Behandlung des Antrages, wenn man
nicht voraussetzen sollte: das Ministerium halte es nicht der Mühe werth, in der
Kammer zu erscheinen und seinen Standpunkt zu vertreten. Später ist mau der
wahrscheinlichen Ursache dieser auffallenden Nachlässigkeit auf die Spur gekommen.
Ein Mitglied der Rechten, dessen intime Beziehungen zu Personen des Ministe¬
riums je länger je mehr an's Licht traten, hatte allem Vermuthen nach damals
diesen hinterbracht, wie die Rechte in ihren Elnbberathuugen sich dahin geeinigt
habe, die Dringlichkeit des Antrags abzulehnen. Darauf hin mochte man die
Sache für abgethan und die Antheilnahme der Regierung nicht für nöthig erachtet
haben. Indeß hatte mau sich diesmal verrechnet. Einige Mitglieder der Rechten
(darunter Präsident Cu u v) ließen sich durch die Gründe der Gegner, vielleicht auch
durch ebeu jeues Schweigen des Ministeriums verleiten, von ihrer Partei abzu¬
fallen und für die Berathung deö Antrags ohne Verweisung an eiuen Ausschuß zu
stimme».

Bei dieser Berathung selbst war es nun ein eigenthümliches Schauspiel, zu
sehen, wie die meisten und schärfsten der Redner, welche gegen das Ministerium
auftraten, der rechten Seite angehörten. Selbst die Dresdner Zeitung bekannte,
daß die „vollste Ladung" nicht von der Linken, sondern von der Rechten gekommen
sei. Ein einziger Redner von dieser Seite, Harkvrt, nahm sich der Negierung
an, und nur sieben Stimme» uuter 55 erklärten sich bei der Abstimmung gegen
den Antrag. Darunter waren drei Staatsdiener und ein Kammerherr.

Gar zu trostlos war es aber auch, wie das Ministerium seine Politik der
Ausuahmemaßregeln vertheidigte. Selbst der durch und durch loyale und conserva-
tive Hähnel von Nadeburg, welcher gern den früheren Fehler des Ministeriums
gut gemacht und die Sache noch jetzt auf den Deputatiousweg gebracht hätte,
mußte von diesem wohlmeinenden Vorhaben abstehen, weil vom Ministertische aus
wirklich auch so gar nichts vorgebracht wurde, was eine Aufschiebung des Be¬
schlusses und eine Zurückgabe der Angelegenheit an eine Deputation rechtfertigen
konnte, und Biedermann sagte: „er bedaure jetzt weniger als zuvor, daß der
Antrag nicht an einen Ausschuß verwiesen worden sei, denn wenn die Negierung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/100>, abgerufen am 24.07.2024.