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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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als politische Formeln über Constitutionalismus oder Erbkaiserthum, sondern in
dem Gefühle, was mich bei der ganzen Arbeit geleitet hat, daß ich hiermit etwas
schaffe, was vermöge der günstig veränderten Stellung meiner Wissenschaft, viel
unmittelbarer in das Blut der Zeit übergehen muß, als meine früheren, nicht
weniger gründlichen, nicht weniger tiefsinnigen und fruchtbaren Forschungen. Dies
Gefühl hat meine Feder geführt, und so habe ich euch denn zum ersten Mal ein
für jeden ernsten, denkenden und mit den uach dem ganzen Bildungsdurchschnitt
der Zeit unerläßlichen Vorkenntnissen versehenen Mann lesbares Werk geschaffen,
wie, darf mau ohne Bedenken beisetzen, in ähnlichen oder verwandten Disciplinen
noch keines vorhanden ist.

Als Jacob Grimm zuerst an die deutsche Grammatik ging, fand er keine
einzige Vorarbeit, die er als Anhaltepunkt für sein System benutzen konnte, weder
innerhalb dieses Faches, noch auch der gesammten Sprachwissenschaft. Es gab
wohl genug deutsche Grammatiker, aber die einen enthielten nichts als ein leder¬
nes Conterfei des gänzlich unwissenschaftlichen Schematismus der damals land¬
läufigen lateinischen und griechischen Sprachlehrer. Und weil es die Muttersprache
war, die ja ohnehin jeder Bauernjunge versteht, so hatte man sich die Arbeit be¬
deutend leichter gemacht, als es wenigstens die gewissenhaftere" jener classischen
Grammatiker, z. B. ein Schneiver oder Buttmann, thaten. Die Bücher solcher
Leute besaßen doch als sorgfältige und fleißige, wenn auch durch und durch un¬
kritische Beispielsammlungen, einigen Werth; die deutschen Sprachlehren nach Ade-
lung hingegen excerpirten nur getrost diesen und damit war ihre Arbeit gethan.
Daneben machte sich schon ein anderes Genre breit, was später zu einem höchst
gefährlichen Unkraut aufgeschossen ist: die sogenannte philosophische deutsche Sprach¬
lehre. Dem viel geschändeten Namen der Philosophie ist, glaube ich, nirgends
schlimmer mitgespielt worden, als in diesen monströsen und lächerlichen Ausgebur¬
ten krasser Ignoranz, gewissenloser Seichtigkeit und einer allerdings nur bei Schul¬
monarchen möglichen gespreizten Selbstgefälligkeit ohne Gleichen. Philosophisch
nämlich sollte so viel besagen, als: man nahm irgend ein corruptes System der
sogenannten reinen Logik, gewöhnlich irgend eine Verwässeruug der Kant'schen
Kritik, sammt einigen barbarischen Zuthaten mittelalterlicher Scholastik und danach
construirte man sich (oder log vielmehr sich und Anderen vor, daß man es thue)
erstens eine sogenannte allgemeine Grammatik sammt Zubehör, zweitens eine be¬
sondere deutsche, die gewöhnlich mit der ersten durch eine plumpe Escamotage zu¬
sammenfiel. Es ergab sich nämlich immer, daß die deutsche Sprache haarklein
mit jenen "Postulaten der reinen Vernunft" zusammenstimmte, unbeschadet einiger
kleinen Abweichungen, die nach dem beliebten Satz als Ausnahmen erst recht die
Regel bewiesen. Diese Art Grammatiker, wobei man gar nichts zu lernen brauchte
und doch so unendlich viel mehr wußte, als der blinde Hause, der seine Sprache
nur so im Naturinstinkt von sich gab, machte naturgemäß großes Glück bei allen


als politische Formeln über Constitutionalismus oder Erbkaiserthum, sondern in
dem Gefühle, was mich bei der ganzen Arbeit geleitet hat, daß ich hiermit etwas
schaffe, was vermöge der günstig veränderten Stellung meiner Wissenschaft, viel
unmittelbarer in das Blut der Zeit übergehen muß, als meine früheren, nicht
weniger gründlichen, nicht weniger tiefsinnigen und fruchtbaren Forschungen. Dies
Gefühl hat meine Feder geführt, und so habe ich euch denn zum ersten Mal ein
für jeden ernsten, denkenden und mit den uach dem ganzen Bildungsdurchschnitt
der Zeit unerläßlichen Vorkenntnissen versehenen Mann lesbares Werk geschaffen,
wie, darf mau ohne Bedenken beisetzen, in ähnlichen oder verwandten Disciplinen
noch keines vorhanden ist.

Als Jacob Grimm zuerst an die deutsche Grammatik ging, fand er keine
einzige Vorarbeit, die er als Anhaltepunkt für sein System benutzen konnte, weder
innerhalb dieses Faches, noch auch der gesammten Sprachwissenschaft. Es gab
wohl genug deutsche Grammatiker, aber die einen enthielten nichts als ein leder¬
nes Conterfei des gänzlich unwissenschaftlichen Schematismus der damals land¬
läufigen lateinischen und griechischen Sprachlehrer. Und weil es die Muttersprache
war, die ja ohnehin jeder Bauernjunge versteht, so hatte man sich die Arbeit be¬
deutend leichter gemacht, als es wenigstens die gewissenhaftere» jener classischen
Grammatiker, z. B. ein Schneiver oder Buttmann, thaten. Die Bücher solcher
Leute besaßen doch als sorgfältige und fleißige, wenn auch durch und durch un¬
kritische Beispielsammlungen, einigen Werth; die deutschen Sprachlehren nach Ade-
lung hingegen excerpirten nur getrost diesen und damit war ihre Arbeit gethan.
Daneben machte sich schon ein anderes Genre breit, was später zu einem höchst
gefährlichen Unkraut aufgeschossen ist: die sogenannte philosophische deutsche Sprach¬
lehre. Dem viel geschändeten Namen der Philosophie ist, glaube ich, nirgends
schlimmer mitgespielt worden, als in diesen monströsen und lächerlichen Ausgebur¬
ten krasser Ignoranz, gewissenloser Seichtigkeit und einer allerdings nur bei Schul¬
monarchen möglichen gespreizten Selbstgefälligkeit ohne Gleichen. Philosophisch
nämlich sollte so viel besagen, als: man nahm irgend ein corruptes System der
sogenannten reinen Logik, gewöhnlich irgend eine Verwässeruug der Kant'schen
Kritik, sammt einigen barbarischen Zuthaten mittelalterlicher Scholastik und danach
construirte man sich (oder log vielmehr sich und Anderen vor, daß man es thue)
erstens eine sogenannte allgemeine Grammatik sammt Zubehör, zweitens eine be¬
sondere deutsche, die gewöhnlich mit der ersten durch eine plumpe Escamotage zu¬
sammenfiel. Es ergab sich nämlich immer, daß die deutsche Sprache haarklein
mit jenen „Postulaten der reinen Vernunft" zusammenstimmte, unbeschadet einiger
kleinen Abweichungen, die nach dem beliebten Satz als Ausnahmen erst recht die
Regel bewiesen. Diese Art Grammatiker, wobei man gar nichts zu lernen brauchte
und doch so unendlich viel mehr wußte, als der blinde Hause, der seine Sprache
nur so im Naturinstinkt von sich gab, machte naturgemäß großes Glück bei allen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/58>, abgerufen am 01.07.2024.