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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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angestellter Bandit bei Lucrezia Borgia sein (Gubvtta), oder Kreatur Richelieu's
(Laffemas), oder sehr reich (der Jude in Marie Tudor, der nur auftritt, um Fa-
biani's Lebensgeschichte zu erzählen, und dann sofort erdolcht wird), oder ein sehr
großer Diplomat (Simon Renard, Salluste), oder ein einfacher Narr , der von
den gewöhnlichen Leidenschaften nicht bewegt wird, und daher sehn kann, was der
Verblendete nicht bemerkt (lÄngely). Auf die brauchbarste Figur, den Jesuiten, ist
Victor Hugo leider nicht gekommen.

Der Maschinist gehört zu den beliebtesten Figuren der modernen Romantik.
Die Freude daran ist wohl ziemlich identisch mit dem kindischen Wohlgefallen
an Ma'drehen, d. h. an unerhörten Geschichten. Die Feen und Kobolde ersetzen
sich in unserer Zeit durch die Macht des Geldes, durch die Association und die
politische Intrigue. Die Wunder des Geldes sind am einfachsten, die Erfindung
-l I-t Münchhausen hat hier keine Grenzen, man darf nur die Idee eines Fortu-
natusbeutels in siebenzissngen Zahlen specialisiren, um das Unmögliche möglich zu
macheu. Wenn man aber einmal lügt, soll man ordentlich lügen. Wenn ein
Banquier den Grafen Montechristo fragt, ob er zu seinen jährlichen Bedürfnissen
mit dem Credit einer Million genug habe, und dieser ihm lächelnd erwiedert:
wie heißt Million! soviel trage ich in der Westentasche mit mir herum, zu meinen
Nebenausgaben, so kaun man sich des Gefühls einer gewissen Befriedigung nicht
erwehren. Montechristo hat nur Einen Nebenbuhler, den Juden Sidonia in
d'Jsraelis Cvningsby, denn Lngarto, der Maschinist in Eugen Sue's Mathilde,
mit seinen armseligen paar Millionen ist ein Lump gegen diese Riesen. --

Man muß gestehn, daß die Lust an dergleichen Abenteuerlichkeiten eine sehr
materielle ist, daß sie eigentlich wenig Erfindungsgabe voraussetzt, denn hinter eine
beliebige Ziffer ein Paar Nullen anzuhängen, ist nicht schwer. Die Macht der
Association zu schildern, wie es Eugen Sue in seinen Jesuiten (I<z ^nit orr-me)
und Balzac in seiner llistnirö sie" troi/?" gethan hat, erfordert schon mehr Ge-
schicklichkeit, denn da ein solcher Mechanismus sich über eine ziemlich weite Localität
ausdehnt, so muß man wenigstens sein Gedächtniß zusammenhalten, um uicht eiues
mit dem andern zu verwechseln. Am meisten Gewandtheit verlangt die Ausbeutung der
bloßen List, denn hier genügt es nicht zu sagen, ich habe unendliche Mittel in
Händen und darf nur winken, dann ist es geschehn; hier will man den Einfluß
des Verstandes unmittelbar vor sich haben. Figuren, wie Scribe's Bolingbroke
und Rantzau werden immer von Interesse sein, so frech auch der Dichter mit der
historischen Wahrheit umspringt. E"gen Sue's Machinisten (Rudolph, der ewige
Jude) sind zu pedantisch, zu reflectirt, zu sehr mit den Intentionen des Dichters
verwachsen, um eine objective Freude erregen zu können. Am meisten verfehlt ist
es, einem Dienstboten, der freilich viele subalterne Mittel anwenden darf, die
einem Gentleman versagt sind, die Rolle der Vorsehung zu übertragen, weil die


angestellter Bandit bei Lucrezia Borgia sein (Gubvtta), oder Kreatur Richelieu's
(Laffemas), oder sehr reich (der Jude in Marie Tudor, der nur auftritt, um Fa-
biani's Lebensgeschichte zu erzählen, und dann sofort erdolcht wird), oder ein sehr
großer Diplomat (Simon Renard, Salluste), oder ein einfacher Narr , der von
den gewöhnlichen Leidenschaften nicht bewegt wird, und daher sehn kann, was der
Verblendete nicht bemerkt (lÄngely). Auf die brauchbarste Figur, den Jesuiten, ist
Victor Hugo leider nicht gekommen.

Der Maschinist gehört zu den beliebtesten Figuren der modernen Romantik.
Die Freude daran ist wohl ziemlich identisch mit dem kindischen Wohlgefallen
an Ma'drehen, d. h. an unerhörten Geschichten. Die Feen und Kobolde ersetzen
sich in unserer Zeit durch die Macht des Geldes, durch die Association und die
politische Intrigue. Die Wunder des Geldes sind am einfachsten, die Erfindung
-l I-t Münchhausen hat hier keine Grenzen, man darf nur die Idee eines Fortu-
natusbeutels in siebenzissngen Zahlen specialisiren, um das Unmögliche möglich zu
macheu. Wenn man aber einmal lügt, soll man ordentlich lügen. Wenn ein
Banquier den Grafen Montechristo fragt, ob er zu seinen jährlichen Bedürfnissen
mit dem Credit einer Million genug habe, und dieser ihm lächelnd erwiedert:
wie heißt Million! soviel trage ich in der Westentasche mit mir herum, zu meinen
Nebenausgaben, so kaun man sich des Gefühls einer gewissen Befriedigung nicht
erwehren. Montechristo hat nur Einen Nebenbuhler, den Juden Sidonia in
d'Jsraelis Cvningsby, denn Lngarto, der Maschinist in Eugen Sue's Mathilde,
mit seinen armseligen paar Millionen ist ein Lump gegen diese Riesen. —

Man muß gestehn, daß die Lust an dergleichen Abenteuerlichkeiten eine sehr
materielle ist, daß sie eigentlich wenig Erfindungsgabe voraussetzt, denn hinter eine
beliebige Ziffer ein Paar Nullen anzuhängen, ist nicht schwer. Die Macht der
Association zu schildern, wie es Eugen Sue in seinen Jesuiten (I<z ^nit orr-me)
und Balzac in seiner llistnirö sie« troi/?« gethan hat, erfordert schon mehr Ge-
schicklichkeit, denn da ein solcher Mechanismus sich über eine ziemlich weite Localität
ausdehnt, so muß man wenigstens sein Gedächtniß zusammenhalten, um uicht eiues
mit dem andern zu verwechseln. Am meisten Gewandtheit verlangt die Ausbeutung der
bloßen List, denn hier genügt es nicht zu sagen, ich habe unendliche Mittel in
Händen und darf nur winken, dann ist es geschehn; hier will man den Einfluß
des Verstandes unmittelbar vor sich haben. Figuren, wie Scribe's Bolingbroke
und Rantzau werden immer von Interesse sein, so frech auch der Dichter mit der
historischen Wahrheit umspringt. E»gen Sue's Machinisten (Rudolph, der ewige
Jude) sind zu pedantisch, zu reflectirt, zu sehr mit den Intentionen des Dichters
verwachsen, um eine objective Freude erregen zu können. Am meisten verfehlt ist
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/54>, abgerufen am 01.07.2024.