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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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am Hof Richelieu's; Ruy Goniez unter dem liederlichen Gefolge König Karls;
Se. Ballier unter den Nouv's Franz des Ersten, Ormond den ausschweifenden
Kavalieren gegenüber. Nur einmal hat Victor Hugo es versucht, dieser Figur
eine Art vou humoristischem Anstrich zugeben, Don Guritau im Ruy Blas, einem
alten Hofnarrn, der auf sittige Weise seiner Königin die Cour macht, und mit
größter Gelassenheit einen Jeden im Duell ersticht, der es wagt, ein Gleiches zu
thun. Aber es ist das ein lederner Hanswurst, der nur aus ein paar Grimassen
eingerichtet ist. Ein paar Mal hat sich der polternde Alte, oder der Dottore,
wie wir es nehmen, gradezu als Tyrann costümirt; aber die Perrücke bleibt.
Sollen wir in ein wirkliches Entsetzen gerathen, wenn der Tyrann von Padua
nach einigem Räuspern, gravitätisch anhebt: "Ich bin ein fürchterlicher Mensch.
Ich kann hinrichten lassen, wen ich will, und thue es anch gern. Ich gehöre
zum Geschlecht der Malipieri, von dem ein Jeder Jemand haben muß, den er
haßt. Ich nnn hasse meine Frau. Ich will sie daher umbringen" n. s. w. Die
Methode ist doch zu curios! Noch dazu wird der gute Alte jedesmal dupirt; um¬
gebracht muß zwar Jemand werden, aber uicht die betreffende Person; in der
Regel trinkt eine Liebende den Giftbecher, der ihrer Nebenbuhlerin oder dem treu¬
losen Geliebten bestimmt war; so Tishe im Angelo, so Blanche im Triboulet, so
wenigstens ähnlich Lucrezia Borgia, denn in den Situationen finden wir dieselbe
Einförmigkeit, wie in den Figuren.

Die dritte Charaktermaske ist der abstracte Diplomat, oder besser der Ma¬
schinist. Ein kaltes, herzloses Geschöpf, das die verborgenen Fäden der In¬
trigue in seinen Händen hält, und die Leidenschaften, an denen Andere sich ver¬
zehren, zu einem raffinirten Spiel seiner selbstischen Interessen verwendet. Sein
Auftreten ist in der Regel dieses. Der erste Liebhaber ist gerade im Begriff,
einen Monolog zu halten, worin er sich über seineu Weltschmerz ausläßt/ da
klopft ihm Jemand auf die Schulter. Er wendet sich um, ein Mann steht hinter
ihm, in einen dunkeln Mantel gehüllt, mit einem blassen, trocknen Gesicht, mit
Augen, in denen man nichts lesen kann, und Zügen , die sich nicht bewegen. Er
fängt an: Sie heißen so und so, sind geboren dann und dann, da und da ; dann
breitet er sich über die Genealogie seines Helden aus, erzählt ihm und dem Publi¬
kum -- die Scene spielt stets im ersten Act -- ans das Genaueste seine Lebens¬
geschichte und schließt damit: Jetzt wünschen Sie das und das, ich will es Ihnen
verschaffen -- es handelt sich darum, in das Schlafgemach der regierenden Her¬
zogin zu kommen, oder den Premierminister zu köpfen, oder die Geliebte zu
einer Millionärin, Gräfin und dergl. zu machen -- wollen Sie? -- Freilich;
aber was verlangen Sie dafür? -- Nun folgt, je nachdem der Maschinist gereizt
ist, die Antwort: einen kleinen Schlüssel, oder l0V,000 Scudi^ oder den Kopf.
Um so allwissend oder allmächtig zu sein, wie diese Charaktermaske es erfordert,
muß man entweder zur geheimen Polizei von Venedig gehören (Homodei), oder


am Hof Richelieu's; Ruy Goniez unter dem liederlichen Gefolge König Karls;
Se. Ballier unter den Nouv's Franz des Ersten, Ormond den ausschweifenden
Kavalieren gegenüber. Nur einmal hat Victor Hugo es versucht, dieser Figur
eine Art vou humoristischem Anstrich zugeben, Don Guritau im Ruy Blas, einem
alten Hofnarrn, der auf sittige Weise seiner Königin die Cour macht, und mit
größter Gelassenheit einen Jeden im Duell ersticht, der es wagt, ein Gleiches zu
thun. Aber es ist das ein lederner Hanswurst, der nur aus ein paar Grimassen
eingerichtet ist. Ein paar Mal hat sich der polternde Alte, oder der Dottore,
wie wir es nehmen, gradezu als Tyrann costümirt; aber die Perrücke bleibt.
Sollen wir in ein wirkliches Entsetzen gerathen, wenn der Tyrann von Padua
nach einigem Räuspern, gravitätisch anhebt: „Ich bin ein fürchterlicher Mensch.
Ich kann hinrichten lassen, wen ich will, und thue es anch gern. Ich gehöre
zum Geschlecht der Malipieri, von dem ein Jeder Jemand haben muß, den er
haßt. Ich nnn hasse meine Frau. Ich will sie daher umbringen" n. s. w. Die
Methode ist doch zu curios! Noch dazu wird der gute Alte jedesmal dupirt; um¬
gebracht muß zwar Jemand werden, aber uicht die betreffende Person; in der
Regel trinkt eine Liebende den Giftbecher, der ihrer Nebenbuhlerin oder dem treu¬
losen Geliebten bestimmt war; so Tishe im Angelo, so Blanche im Triboulet, so
wenigstens ähnlich Lucrezia Borgia, denn in den Situationen finden wir dieselbe
Einförmigkeit, wie in den Figuren.

Die dritte Charaktermaske ist der abstracte Diplomat, oder besser der Ma¬
schinist. Ein kaltes, herzloses Geschöpf, das die verborgenen Fäden der In¬
trigue in seinen Händen hält, und die Leidenschaften, an denen Andere sich ver¬
zehren, zu einem raffinirten Spiel seiner selbstischen Interessen verwendet. Sein
Auftreten ist in der Regel dieses. Der erste Liebhaber ist gerade im Begriff,
einen Monolog zu halten, worin er sich über seineu Weltschmerz ausläßt/ da
klopft ihm Jemand auf die Schulter. Er wendet sich um, ein Mann steht hinter
ihm, in einen dunkeln Mantel gehüllt, mit einem blassen, trocknen Gesicht, mit
Augen, in denen man nichts lesen kann, und Zügen , die sich nicht bewegen. Er
fängt an: Sie heißen so und so, sind geboren dann und dann, da und da ; dann
breitet er sich über die Genealogie seines Helden aus, erzählt ihm und dem Publi¬
kum — die Scene spielt stets im ersten Act — ans das Genaueste seine Lebens¬
geschichte und schließt damit: Jetzt wünschen Sie das und das, ich will es Ihnen
verschaffen — es handelt sich darum, in das Schlafgemach der regierenden Her¬
zogin zu kommen, oder den Premierminister zu köpfen, oder die Geliebte zu
einer Millionärin, Gräfin und dergl. zu machen — wollen Sie? — Freilich;
aber was verlangen Sie dafür? — Nun folgt, je nachdem der Maschinist gereizt
ist, die Antwort: einen kleinen Schlüssel, oder l0V,000 Scudi^ oder den Kopf.
Um so allwissend oder allmächtig zu sein, wie diese Charaktermaske es erfordert,
muß man entweder zur geheimen Polizei von Venedig gehören (Homodei), oder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/53>, abgerufen am 04.07.2024.