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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Beschäftigung des Stiefelputzers mit dem langathmigen Pathos einer tugendhaften
oder teuflischen Idee nicht recht in Harmonie steht, und weil die Lokalkeuutniß
eines Domestiken zu sehr ins Detail geht um einen Blick in den Zusammenhang
des Universums oder in die Tiefen eines ungewöhnlichen Herzens annehmbar zu
machen. Sue's Martin und Sonue's Graf v. Toulouse sind die schlechtesten Muster
dieser providentiellen Komödie. Viel besser ist es schon, Meister Lucifer zum
Maschinisten zu machen, wie Sonliv einmal in vielen Bänden gethan, denn der
Teufel hat das meiste Geld, die meisten Connexionen, und wenn alle Stricke reißen,
so kann er hexen; für ihn paßt auch jeues Motiv am besten, das diese sentimen¬
tale Romantik als letzte Feder anzuwenden liebt, das Motiv einer auf viele Jahre
hinausgesponuenen Rache, wie bei Homodei, Moutechristo, Gras von Toulouse
u, s. w., das leerste und abgeschmackteste Motiv für einen vernünftigen
Meuschen. --

Die letzte Charaktermaöke ist der Bonvivant von Adel und ritterlicher
Gesinnung. Hier finden wir uns endlich auf nationalem Boden. Der Geschmack
der Celtisch-Romanischen Ritterbücher hat sich uicht verändert. Eben so bereit, in
jedem Augenblick mit einem Dutzend Riesen oder Philister die Klinge zu messen,
als in verzweiflungsvollen Attitüden zu den Füßen eiuer spröden Marquise sich
zu bewegen, wenn es aber zu lange dauert, mit dem ersten besten Ersatz vorlieb
zu nehmen; dem Dienst der Schönen geweiht mit jeuer Galanterie, die neun
Zehntel Esprit mit einem kleinen Zehntel Liebe verbindet; rasch auflodernd in Zorn
und bei dein ersten Witz alle Bitterkeit aus dem Herzen werfend; sehr viel Schul¬
den und sehr viel Ahnen; ein Par dem Monarchen gegenüber und ein guter
Gesell in jeder Trinkstube -- das find die Eigenschaften des Edelmanns, wie wir
sie in Froissard, in Calderon, in sämmtlichen Memoiren seit den Zeiten Lud¬
wigs XIII., in neuerer Zeit in deu Romanen von A. Dumas mit immer gleicher
Virtuosität und Sicherheit gezeichnet finden. Die Stichworte sind so genau ge¬
geben, daß eine Verirrung nicht möglich ist; der Kanon der Liederlichkeit ist fest
wie die Convenienz des Ritterthums. Es kommt nur darauf an, wer erstnderischcr
und liebenswürdiger im Lügen ist. Victor Hugo merkt man es an, daß ihm die
Jagdgeschichten ii I.t Münchhausen nicht natürlich fließen; er ersetzt die fehlende
epische Ader durch epigrammatische Pointen. Wenn z. B, Saveruy, um seine
Sorglosigkeit auszudrücken, als ihm das Todesurtheil vorgelesen wird, die Feder
nimmt, um einige orthographische Fehler heraus zu corrigiren, so springt die Ab¬
sicht zu sehr in die Augen, als daß man sich befriedigt fühlen könnte. Die einzige
originelle Figur unter seinen Chevaliers ist Don Cesar de Bazar in Ruh Blas;
ein Edelmann, der sein großes Vermögen verschwendet und dann durch Trunk
und Spiel so tief gesunken ist, daß er sich nur in dem gemeinsten Pöbel bewegt,
an Diebstählen Theil nimmt u. s. w., der aber doch das ?vint ä'twnuour des
ritterlichen Katechismus so fest in sich trägt, daß es nur guter Kleider bedarf, um


Beschäftigung des Stiefelputzers mit dem langathmigen Pathos einer tugendhaften
oder teuflischen Idee nicht recht in Harmonie steht, und weil die Lokalkeuutniß
eines Domestiken zu sehr ins Detail geht um einen Blick in den Zusammenhang
des Universums oder in die Tiefen eines ungewöhnlichen Herzens annehmbar zu
machen. Sue's Martin und Sonue's Graf v. Toulouse sind die schlechtesten Muster
dieser providentiellen Komödie. Viel besser ist es schon, Meister Lucifer zum
Maschinisten zu machen, wie Sonliv einmal in vielen Bänden gethan, denn der
Teufel hat das meiste Geld, die meisten Connexionen, und wenn alle Stricke reißen,
so kann er hexen; für ihn paßt auch jeues Motiv am besten, das diese sentimen¬
tale Romantik als letzte Feder anzuwenden liebt, das Motiv einer auf viele Jahre
hinausgesponuenen Rache, wie bei Homodei, Moutechristo, Gras von Toulouse
u, s. w., das leerste und abgeschmackteste Motiv für einen vernünftigen
Meuschen. —

Die letzte Charaktermaöke ist der Bonvivant von Adel und ritterlicher
Gesinnung. Hier finden wir uns endlich auf nationalem Boden. Der Geschmack
der Celtisch-Romanischen Ritterbücher hat sich uicht verändert. Eben so bereit, in
jedem Augenblick mit einem Dutzend Riesen oder Philister die Klinge zu messen,
als in verzweiflungsvollen Attitüden zu den Füßen eiuer spröden Marquise sich
zu bewegen, wenn es aber zu lange dauert, mit dem ersten besten Ersatz vorlieb
zu nehmen; dem Dienst der Schönen geweiht mit jeuer Galanterie, die neun
Zehntel Esprit mit einem kleinen Zehntel Liebe verbindet; rasch auflodernd in Zorn
und bei dein ersten Witz alle Bitterkeit aus dem Herzen werfend; sehr viel Schul¬
den und sehr viel Ahnen; ein Par dem Monarchen gegenüber und ein guter
Gesell in jeder Trinkstube — das find die Eigenschaften des Edelmanns, wie wir
sie in Froissard, in Calderon, in sämmtlichen Memoiren seit den Zeiten Lud¬
wigs XIII., in neuerer Zeit in deu Romanen von A. Dumas mit immer gleicher
Virtuosität und Sicherheit gezeichnet finden. Die Stichworte sind so genau ge¬
geben, daß eine Verirrung nicht möglich ist; der Kanon der Liederlichkeit ist fest
wie die Convenienz des Ritterthums. Es kommt nur darauf an, wer erstnderischcr
und liebenswürdiger im Lügen ist. Victor Hugo merkt man es an, daß ihm die
Jagdgeschichten ii I.t Münchhausen nicht natürlich fließen; er ersetzt die fehlende
epische Ader durch epigrammatische Pointen. Wenn z. B, Saveruy, um seine
Sorglosigkeit auszudrücken, als ihm das Todesurtheil vorgelesen wird, die Feder
nimmt, um einige orthographische Fehler heraus zu corrigiren, so springt die Ab¬
sicht zu sehr in die Augen, als daß man sich befriedigt fühlen könnte. Die einzige
originelle Figur unter seinen Chevaliers ist Don Cesar de Bazar in Ruh Blas;
ein Edelmann, der sein großes Vermögen verschwendet und dann durch Trunk
und Spiel so tief gesunken ist, daß er sich nur in dem gemeinsten Pöbel bewegt,
an Diebstählen Theil nimmt u. s. w., der aber doch das ?vint ä'twnuour des
ritterlichen Katechismus so fest in sich trägt, daß es nur guter Kleider bedarf, um


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/55>, abgerufen am 29.06.2024.