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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Werkes in die Akademie aufgenommen, wo er bei seinem Eintritt (1. April
1830) eine Lobrede auf seinen Vorgänger, den kaiserlichen Staatsmann und
Historiker Dar" hielt, und sollte eben als bevollmächtigter Minister nach Grie¬
chenland abgehen, als die Julirevolution ausbrach. Die neue Regierung bot ihm
die Fortdauer seiner bisherigen diplomatischen Stellung an, er schlug es aber aus
und blieb im Privatleben. -- Soweit die zweite Periode seines Lebens, auf
die wir hier nachträglich noch einen kritischen Blick werfen wollen.

"Bei meinem Eintritt in die Welt/' sagt Lamartine selber, "war nur eine
Stimme darüber, daß die Poesie, diese geheimnißvolle Kraft des menschlichen Gei¬
stes, auf immer untergegangen sei. Das Kaiserreich war eine Incarnation der
matenalistischen Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts. Die herrschenden Ma¬
thematiker, die damals allein zu Worte kamen, und die uns jungen Leute nieder-
hielten, glaubten alles Göttliche und Melodische im menschlichen Denken unterdrückt
zu haben. 'Es war das satanische Lächeln eines bösen Geistes, dem es gelungen
ist> ein ganzes Geschlecht zu entwürdigen, die Tugend in der Welt zu tödten.
Mit Triumph sagte man zu uns: "Liebe, Philosophie, Religion, Begeisterung,
Freiheit, Poesie, alles das sind leere Worte. Berechnung und Gewalt, Ziffer und
Säbel, darauf kommt Alles heraus. Wir glauben nur, was sich beweisen, em¬
pfinden uur, was sich greifen läßt. Die Poesie ist gestorben mit dem Spiritualis¬
mus, ans dem sie entsprungen war." "Mit einem sichern Instinct zitterten sie vor
der Auferstehung des freien Empfindens, und drückten es in ihren Schulen im
Keim darnieder. Die Ziffer allein war erlaubt nud geehrt, das sicherste Werkzeug
der Tyrannei und der Tyrannen jeder Zeit, weil sie gleichgültig ist gegen den
Juhajt." "Nur zwei Geister protestirten gegen dieses Todesurtheil der Seele,
Frau von Stal-l und Chateaubriand." -- Den letztern haben wir in seiner
poetisch-christlichen Thätigkeit bereits gewürdigt, auf die erstere kommen wir noch
einmal zurück. -- "Mit der Rückkehr der Bourbons trat in die Poesie eine neue
Richtung; die Jugend, die jetzt auf dem Schauplatz erschien, war ein neues, bes¬
seres Geschlecht." "Die Poesie, aus welcher eine Art geistiger Profanation un¬
ter uns so lange eine raffinirte Folter der Sprache gemacht hatte, ein unfrucht¬
bares Spiel des Geistes, erinnerte sich ihres Ursprungs und ihres Ziels. LIIv
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,-iense cle ce imo I'.-in>ö n cle pi"8 elliere et tlo mirs inexsu-im-une (Ausdruck
dessen, was nicht auszudrücken ist!), se"8 liarmmncux 'les ilnnleurs c>, des vo-
Inptvs cle I'esiprit, u. s. w. Vor allen Dingen wird der menschliche Gedanke durch
eine religiöse Gluth in seinen innern Tiefen aufgewühlt."

Dieses religiöse Element, welches der nothwendige" Reaction des öffentlichen
Geistes in Frankreich gegen den nur scheinbaren, ganz oberflächlichen Sieg der
Aufklärung entsprach, hat ebenso wie bei Chateaubriand, wesentlich zu dem gro¬
ßen Erfolg dieser Gedichte beigetragen. Für uns hat dieses süßliche, gezierte


Werkes in die Akademie aufgenommen, wo er bei seinem Eintritt (1. April
1830) eine Lobrede auf seinen Vorgänger, den kaiserlichen Staatsmann und
Historiker Dar» hielt, und sollte eben als bevollmächtigter Minister nach Grie¬
chenland abgehen, als die Julirevolution ausbrach. Die neue Regierung bot ihm
die Fortdauer seiner bisherigen diplomatischen Stellung an, er schlug es aber aus
und blieb im Privatleben. — Soweit die zweite Periode seines Lebens, auf
die wir hier nachträglich noch einen kritischen Blick werfen wollen.

„Bei meinem Eintritt in die Welt/' sagt Lamartine selber, „war nur eine
Stimme darüber, daß die Poesie, diese geheimnißvolle Kraft des menschlichen Gei¬
stes, auf immer untergegangen sei. Das Kaiserreich war eine Incarnation der
matenalistischen Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts. Die herrschenden Ma¬
thematiker, die damals allein zu Worte kamen, und die uns jungen Leute nieder-
hielten, glaubten alles Göttliche und Melodische im menschlichen Denken unterdrückt
zu haben. 'Es war das satanische Lächeln eines bösen Geistes, dem es gelungen
ist> ein ganzes Geschlecht zu entwürdigen, die Tugend in der Welt zu tödten.
Mit Triumph sagte man zu uns: „Liebe, Philosophie, Religion, Begeisterung,
Freiheit, Poesie, alles das sind leere Worte. Berechnung und Gewalt, Ziffer und
Säbel, darauf kommt Alles heraus. Wir glauben nur, was sich beweisen, em¬
pfinden uur, was sich greifen läßt. Die Poesie ist gestorben mit dem Spiritualis¬
mus, ans dem sie entsprungen war." „Mit einem sichern Instinct zitterten sie vor
der Auferstehung des freien Empfindens, und drückten es in ihren Schulen im
Keim darnieder. Die Ziffer allein war erlaubt nud geehrt, das sicherste Werkzeug
der Tyrannei und der Tyrannen jeder Zeit, weil sie gleichgültig ist gegen den
Juhajt." „Nur zwei Geister protestirten gegen dieses Todesurtheil der Seele,
Frau von Stal-l und Chateaubriand." — Den letztern haben wir in seiner
poetisch-christlichen Thätigkeit bereits gewürdigt, auf die erstere kommen wir noch
einmal zurück. — „Mit der Rückkehr der Bourbons trat in die Poesie eine neue
Richtung; die Jugend, die jetzt auf dem Schauplatz erschien, war ein neues, bes¬
seres Geschlecht." „Die Poesie, aus welcher eine Art geistiger Profanation un¬
ter uns so lange eine raffinirte Folter der Sprache gemacht hatte, ein unfrucht¬
bares Spiel des Geistes, erinnerte sich ihres Ursprungs und ihres Ziels. LIIv
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dessen, was nicht auszudrücken ist!), se»8 liarmmncux 'les ilnnleurs c>, des vo-
Inptvs cle I'esiprit, u. s. w. Vor allen Dingen wird der menschliche Gedanke durch
eine religiöse Gluth in seinen innern Tiefen aufgewühlt."

Dieses religiöse Element, welches der nothwendige» Reaction des öffentlichen
Geistes in Frankreich gegen den nur scheinbaren, ganz oberflächlichen Sieg der
Aufklärung entsprach, hat ebenso wie bei Chateaubriand, wesentlich zu dem gro¬
ßen Erfolg dieser Gedichte beigetragen. Für uns hat dieses süßliche, gezierte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/490>, abgerufen am 23.06.2024.