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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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machung und bringen, den Falschmünzer zur Verzweiflung. -- Die Anzahl der Briefe,
welche jährlich aus dem Schooß des Londoner Postgebäudes über London, Großbrita¬
men und die fünf Welttheile auf Flügeln des Dampfes oder unter bauchigen Segel
ausgehen, beläuft sich heutzutage auf die Kleinigkeit von drei hundert Millionen.
Außerdem befördert die Post durchschnittlich 70 Millionen Zeitungsnummern im Jahr:
eine Pcipierlast von etwa 9765 Schiffstonnen Gewicht. Bis Indien, China und Austra¬
lien aber geht das Exemplar einer Monstrezeitung wie die Times für einen Penny.
Die Last ist der Post kein Gegenstand, denn auf ein paar Centner mehr oder weniger
kommt eS dem Dampsleviathan nicht an; sonst mußte jedes Exemplar 10 Pence statt
eines zahlen oder der Verlust des Postamtes würde jährlich 2,625,000 Pf. betragen.

Nach den neuern Regelungen übernimmt die Post auch die Beförderung aller mög¬
lichen Dinge, die sich überhaupt verschicken lassen. Ganze Menagerien von Papagaien,
Canarienvögeln, Eidechsen, Murmelthieren und Blutegeln, dazwischen Glacvhcmd- und
Damenschuhe, Schawls, Perrücken und andere leichte Gegenstände reisen manchmal Hun¬
derte von englischen Meilen weit unter der zärtlichen Obhut rauher Postknechte. Selbst
Stücke von Menschenleichen, zum Seciren, sind schon aufgegeben, aber durch den Ge¬
ruch erkannt und zurückbehalten worden. -- Die Postbeamten haben eine feine Nase,
ein scharfes Auge und eine übermenschliche Geduld. Mancher Brief hat eine Adresse,
die kein gewöhnliches Erdenkind entziffern würde: eine räthselhafte Handschrift, noch
räthselhaftere Orthographie und Wohnungsangaben, die bestimmt scheinen, den Adressaten
vor polizeilichen Nachforschungen ein Jahrhundert lang zu verstecken. Solche Briefe
kommen in das "Mink I^teor On'iev" (Bureau blinder Briefe) und im Nu pflegt der
geübte Clerc das Räthsel der Sphynx zu lösen. Manchmal kostet es einige Tropfen
edlen Schweißes, wie ein Bluthund erster Race aber spürt der Brief gewöhnlich zu¬
letzt seinen Mann auf. Es gibt jedoch Adressen, denen selbst ein Londoner Postbeamter
nicht beikommen kann.. Folgendes ist eine buchstäblich wahre Adresse, die unlängst im
Blind Letter Office vorkam: "Mrs. Smith, hinter der Kirche, in England." Die
Clercs waren Lußer sich, daß ihnen der Triumph entging, diese Charade zu lösen, denn
die Smiths sind in England so hänfig wie bei uns die Schmidt, Müller und Schulze,
an Kirchen aber ist bekanntlich in England auch kein Mangel. Der Brief mußte leider
für stockblind (stone Iilinil) erklärt und in's Bureau der "todten Briefe" (Do-ni I^een-r
Ossivt-) geschafft werden, wo er erbrochen und, wenn der Schreiber zu ermitteln ist, die¬
sem zurückgestellt, sonst aber ins Feuer geworfen wird. Es langen sogar Briefe mit
ganz blankem Rücken an, ohne alle Spur einer Adresse, die sogleich ins v"i>ä tuller
Ossi",' wandern. Auffallender Weise finden sich in den blinden oder stockblinden Briefen,
die ihren Herrn nicht finden können, sehr häufig Werthscndungen, Kupfer-, Silber- oder
Goldstücke, Handschuhe, Spitzen, Ringe u. s. w. Wenn der Absender nicht zu ermitteln
ist, fällt das Geld theils in den Staatsschatz, theils in eine Armencasse. Kleine Toi¬
letteartikel pflegen die ClercS der Todtenbriefpost unter einander zu versteigern. Man
rechnet auf jeden Tag in London acht stockblinde Briefe. Leer sind gewöhnlich die
schottischen, selten sind es die irischen Episteln dieser Art. Der gemeine Irländer ist in
einer zärtlichen Freigebigkeit gegen verwandte oder geliebte Personen eben so unerschöpf¬
lich wie in seiner Orthographie unergründlich und in seiner Unvorsichtigkeit unver¬
besserlich.'

Ein Gemach ist in dem großen Gebäude von Se. Martins Le Grand für uns
Festländer von besonderem Interesse: die Geheimstube (ein- foci-t-l room). Eine ver¬
borgene Treppe führte dahin und ein Beamter, von dessen Dasein und Wirken, nach
der Versicherung unseres Gewährsmannes, das übrige Pvstpersonal kaum eine Ahnung
hatte, saß manchmal den ganzen Tag darin eingeschlossen und stahl sich des Abends im
tiefsten Jncognito wieder nach Hause. Auf seinem Tisch lag eine zahlreiche Sammlung
von Siegeln, ferner eine Brotkrume und eine Thonpfeife; seine Beschäftigung war


machung und bringen, den Falschmünzer zur Verzweiflung. — Die Anzahl der Briefe,
welche jährlich aus dem Schooß des Londoner Postgebäudes über London, Großbrita¬
men und die fünf Welttheile auf Flügeln des Dampfes oder unter bauchigen Segel
ausgehen, beläuft sich heutzutage auf die Kleinigkeit von drei hundert Millionen.
Außerdem befördert die Post durchschnittlich 70 Millionen Zeitungsnummern im Jahr:
eine Pcipierlast von etwa 9765 Schiffstonnen Gewicht. Bis Indien, China und Austra¬
lien aber geht das Exemplar einer Monstrezeitung wie die Times für einen Penny.
Die Last ist der Post kein Gegenstand, denn auf ein paar Centner mehr oder weniger
kommt eS dem Dampsleviathan nicht an; sonst mußte jedes Exemplar 10 Pence statt
eines zahlen oder der Verlust des Postamtes würde jährlich 2,625,000 Pf. betragen.

Nach den neuern Regelungen übernimmt die Post auch die Beförderung aller mög¬
lichen Dinge, die sich überhaupt verschicken lassen. Ganze Menagerien von Papagaien,
Canarienvögeln, Eidechsen, Murmelthieren und Blutegeln, dazwischen Glacvhcmd- und
Damenschuhe, Schawls, Perrücken und andere leichte Gegenstände reisen manchmal Hun¬
derte von englischen Meilen weit unter der zärtlichen Obhut rauher Postknechte. Selbst
Stücke von Menschenleichen, zum Seciren, sind schon aufgegeben, aber durch den Ge¬
ruch erkannt und zurückbehalten worden. — Die Postbeamten haben eine feine Nase,
ein scharfes Auge und eine übermenschliche Geduld. Mancher Brief hat eine Adresse,
die kein gewöhnliches Erdenkind entziffern würde: eine räthselhafte Handschrift, noch
räthselhaftere Orthographie und Wohnungsangaben, die bestimmt scheinen, den Adressaten
vor polizeilichen Nachforschungen ein Jahrhundert lang zu verstecken. Solche Briefe
kommen in das „Mink I^teor On'iev" (Bureau blinder Briefe) und im Nu pflegt der
geübte Clerc das Räthsel der Sphynx zu lösen. Manchmal kostet es einige Tropfen
edlen Schweißes, wie ein Bluthund erster Race aber spürt der Brief gewöhnlich zu¬
letzt seinen Mann auf. Es gibt jedoch Adressen, denen selbst ein Londoner Postbeamter
nicht beikommen kann.. Folgendes ist eine buchstäblich wahre Adresse, die unlängst im
Blind Letter Office vorkam: „Mrs. Smith, hinter der Kirche, in England." Die
Clercs waren Lußer sich, daß ihnen der Triumph entging, diese Charade zu lösen, denn
die Smiths sind in England so hänfig wie bei uns die Schmidt, Müller und Schulze,
an Kirchen aber ist bekanntlich in England auch kein Mangel. Der Brief mußte leider
für stockblind (stone Iilinil) erklärt und in's Bureau der „todten Briefe" (Do-ni I^een-r
Ossivt-) geschafft werden, wo er erbrochen und, wenn der Schreiber zu ermitteln ist, die¬
sem zurückgestellt, sonst aber ins Feuer geworfen wird. Es langen sogar Briefe mit
ganz blankem Rücken an, ohne alle Spur einer Adresse, die sogleich ins v«i>ä tuller
Ossi«,' wandern. Auffallender Weise finden sich in den blinden oder stockblinden Briefen,
die ihren Herrn nicht finden können, sehr häufig Werthscndungen, Kupfer-, Silber- oder
Goldstücke, Handschuhe, Spitzen, Ringe u. s. w. Wenn der Absender nicht zu ermitteln
ist, fällt das Geld theils in den Staatsschatz, theils in eine Armencasse. Kleine Toi¬
letteartikel pflegen die ClercS der Todtenbriefpost unter einander zu versteigern. Man
rechnet auf jeden Tag in London acht stockblinde Briefe. Leer sind gewöhnlich die
schottischen, selten sind es die irischen Episteln dieser Art. Der gemeine Irländer ist in
einer zärtlichen Freigebigkeit gegen verwandte oder geliebte Personen eben so unerschöpf¬
lich wie in seiner Orthographie unergründlich und in seiner Unvorsichtigkeit unver¬
besserlich.'

Ein Gemach ist in dem großen Gebäude von Se. Martins Le Grand für uns
Festländer von besonderem Interesse: die Geheimstube (ein- foci-t-l room). Eine ver¬
borgene Treppe führte dahin und ein Beamter, von dessen Dasein und Wirken, nach
der Versicherung unseres Gewährsmannes, das übrige Pvstpersonal kaum eine Ahnung
hatte, saß manchmal den ganzen Tag darin eingeschlossen und stahl sich des Abends im
tiefsten Jncognito wieder nach Hause. Auf seinem Tisch lag eine zahlreiche Sammlung
von Siegeln, ferner eine Brotkrume und eine Thonpfeife; seine Beschäftigung war


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[0484] machung und bringen, den Falschmünzer zur Verzweiflung. — Die Anzahl der Briefe, welche jährlich aus dem Schooß des Londoner Postgebäudes über London, Großbrita¬ men und die fünf Welttheile auf Flügeln des Dampfes oder unter bauchigen Segel ausgehen, beläuft sich heutzutage auf die Kleinigkeit von drei hundert Millionen. Außerdem befördert die Post durchschnittlich 70 Millionen Zeitungsnummern im Jahr: eine Pcipierlast von etwa 9765 Schiffstonnen Gewicht. Bis Indien, China und Austra¬ lien aber geht das Exemplar einer Monstrezeitung wie die Times für einen Penny. Die Last ist der Post kein Gegenstand, denn auf ein paar Centner mehr oder weniger kommt eS dem Dampsleviathan nicht an; sonst mußte jedes Exemplar 10 Pence statt eines zahlen oder der Verlust des Postamtes würde jährlich 2,625,000 Pf. betragen. Nach den neuern Regelungen übernimmt die Post auch die Beförderung aller mög¬ lichen Dinge, die sich überhaupt verschicken lassen. Ganze Menagerien von Papagaien, Canarienvögeln, Eidechsen, Murmelthieren und Blutegeln, dazwischen Glacvhcmd- und Damenschuhe, Schawls, Perrücken und andere leichte Gegenstände reisen manchmal Hun¬ derte von englischen Meilen weit unter der zärtlichen Obhut rauher Postknechte. Selbst Stücke von Menschenleichen, zum Seciren, sind schon aufgegeben, aber durch den Ge¬ ruch erkannt und zurückbehalten worden. — Die Postbeamten haben eine feine Nase, ein scharfes Auge und eine übermenschliche Geduld. Mancher Brief hat eine Adresse, die kein gewöhnliches Erdenkind entziffern würde: eine räthselhafte Handschrift, noch räthselhaftere Orthographie und Wohnungsangaben, die bestimmt scheinen, den Adressaten vor polizeilichen Nachforschungen ein Jahrhundert lang zu verstecken. Solche Briefe kommen in das „Mink I^teor On'iev" (Bureau blinder Briefe) und im Nu pflegt der geübte Clerc das Räthsel der Sphynx zu lösen. Manchmal kostet es einige Tropfen edlen Schweißes, wie ein Bluthund erster Race aber spürt der Brief gewöhnlich zu¬ letzt seinen Mann auf. Es gibt jedoch Adressen, denen selbst ein Londoner Postbeamter nicht beikommen kann.. Folgendes ist eine buchstäblich wahre Adresse, die unlängst im Blind Letter Office vorkam: „Mrs. Smith, hinter der Kirche, in England." Die Clercs waren Lußer sich, daß ihnen der Triumph entging, diese Charade zu lösen, denn die Smiths sind in England so hänfig wie bei uns die Schmidt, Müller und Schulze, an Kirchen aber ist bekanntlich in England auch kein Mangel. Der Brief mußte leider für stockblind (stone Iilinil) erklärt und in's Bureau der „todten Briefe" (Do-ni I^een-r Ossivt-) geschafft werden, wo er erbrochen und, wenn der Schreiber zu ermitteln ist, die¬ sem zurückgestellt, sonst aber ins Feuer geworfen wird. Es langen sogar Briefe mit ganz blankem Rücken an, ohne alle Spur einer Adresse, die sogleich ins v«i>ä tuller Ossi«,' wandern. Auffallender Weise finden sich in den blinden oder stockblinden Briefen, die ihren Herrn nicht finden können, sehr häufig Werthscndungen, Kupfer-, Silber- oder Goldstücke, Handschuhe, Spitzen, Ringe u. s. w. Wenn der Absender nicht zu ermitteln ist, fällt das Geld theils in den Staatsschatz, theils in eine Armencasse. Kleine Toi¬ letteartikel pflegen die ClercS der Todtenbriefpost unter einander zu versteigern. Man rechnet auf jeden Tag in London acht stockblinde Briefe. Leer sind gewöhnlich die schottischen, selten sind es die irischen Episteln dieser Art. Der gemeine Irländer ist in einer zärtlichen Freigebigkeit gegen verwandte oder geliebte Personen eben so unerschöpf¬ lich wie in seiner Orthographie unergründlich und in seiner Unvorsichtigkeit unver¬ besserlich.' Ein Gemach ist in dem großen Gebäude von Se. Martins Le Grand für uns Festländer von besonderem Interesse: die Geheimstube (ein- foci-t-l room). Eine ver¬ borgene Treppe führte dahin und ein Beamter, von dessen Dasein und Wirken, nach der Versicherung unseres Gewährsmannes, das übrige Pvstpersonal kaum eine Ahnung hatte, saß manchmal den ganzen Tag darin eingeschlossen und stahl sich des Abends im tiefsten Jncognito wieder nach Hause. Auf seinem Tisch lag eine zahlreiche Sammlung von Siegeln, ferner eine Brotkrume und eine Thonpfeife; seine Beschäftigung war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/484>, abgerufen am 23.06.2024.