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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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erhörter, vielleicht dummer Weise, weil sie für ihre nationale Anerkennung zu
kämpfen glaubten, werden durch das nivellirende System von heute geradezu wü¬
thend, bereuen ihre Opfer und sympathisiren mit Kossuth.

Hätte man ohne viel nach Schematisirung zu frage", die Landtage und sofort
den Reichstag berufen, vielleicht hätte auf diesem Versöhnendes zu Stande
kommen können.

Je weiter man aber einen Reichstag hinausschiebt, je weiter mau in der al¬
les nivellirenden provisorischen Organisirung vorschreitet, welche Alle gleichmäßig
erbittert, je mehr man die Steuerlast eigenmächtig erhöht, bis zur Unerträglichkeit,
ohne dadurch den kläglichen Finanzzustand im Mindesten zu bessern, weil die
Armee Alles vorweg verschlingt, desto unvermeidlicher wird die Niederlage, welche
ein kräftiger Reichstag der Regierung bringt, welche sich bisher alle Nationali¬
täten, wie alle Klassen der Gesellschaft zu Feinden-gemacht hat. Der Adel grollt
bitter, die freisinnige Partei wird boshaft pessimistisch, der entlastete Bauer wird
seiner Entlastung nicht froh, denn die überspannte Steuer, die unerträgliche Ein¬
quartierung verschlingt seinen Grundertrag, und die allerdings sehr billige Ent¬
lastungsrente wird ihm neben den neuen Lasten unerschwinglich.

Ich bin überzeugt, man wird einen Reichstag erst dann versammeln, wenn
die Finanznoth dies unerläßlich macht, dann aber wird dieser Reichstag bittere
Rache nehmen, wird alles Provisorische über den Haufen werfen, wird Bedingun¬
gen stellen wollen, man wird die Wahl haben anzunehmen oder aufzulösen, und
das alte provisorische Narrenseil den Völkern wieder anzulegen, und dann? -- --

Die Unerträglichkeit der heutigen Zustände, der tiefe Groll der Gemüther
hat sich zu kaum beschreiblicher Höhe gesteigert, daß sich diese Stimmung nicht
lant manifestiren darf, ist ein Ferment mehr für dieselbe. Eine freie, dem Pre߬
gesetz allein unterworfene Besprechung würde wenigstens als Blitzableiter dienen
und die Wolke des Grimmes entladen helfen, so aber bildet sich eine feste, cow-
pakte Partei der unversöhnlich Grimmigen, durch instinktgebotene Attraction, diese
Partei bildet keinen Club, keine geheime Gesellschaft, es ist die gemeinsame Idee,
welche alle Vernünftigen und Ehrenhaften, die Zeit Begreifenden zu dem Hasse ge¬
gen das Bestehende vereinigt, und dieser Partei gesellen sich die stürmischen bewußt¬
lose" Elemente der untern Schichten b<',i, so daß Oestreichs Zustände heute erst
vollständig unterminirt und aufgewühlt sind, während im Jahre 1848 blos die
Oberfläche von der Revolntionskrise Frankreichs zu leichten Wellchen aufgekräu¬
selt gewesen.

Die Loyalitäten und Kriechereidemoustrationcn des Wiener Gemeinderathes,
des Triester Handelsstandes, des Prager Spicßbürgerthums machen mich nicht irre
in meiner Ansicht, das sind nnr wurmige Aepfel an dem faulenden Baume Oest¬
reich, diese Aepfel scheinen gesund und roth, sind aber ungenießbar.

Das Pudelgeschlecht des stupiden, corrupten Spießbürgerthums macht Oese-


erhörter, vielleicht dummer Weise, weil sie für ihre nationale Anerkennung zu
kämpfen glaubten, werden durch das nivellirende System von heute geradezu wü¬
thend, bereuen ihre Opfer und sympathisiren mit Kossuth.

Hätte man ohne viel nach Schematisirung zu frage», die Landtage und sofort
den Reichstag berufen, vielleicht hätte auf diesem Versöhnendes zu Stande
kommen können.

Je weiter man aber einen Reichstag hinausschiebt, je weiter mau in der al¬
les nivellirenden provisorischen Organisirung vorschreitet, welche Alle gleichmäßig
erbittert, je mehr man die Steuerlast eigenmächtig erhöht, bis zur Unerträglichkeit,
ohne dadurch den kläglichen Finanzzustand im Mindesten zu bessern, weil die
Armee Alles vorweg verschlingt, desto unvermeidlicher wird die Niederlage, welche
ein kräftiger Reichstag der Regierung bringt, welche sich bisher alle Nationali¬
täten, wie alle Klassen der Gesellschaft zu Feinden-gemacht hat. Der Adel grollt
bitter, die freisinnige Partei wird boshaft pessimistisch, der entlastete Bauer wird
seiner Entlastung nicht froh, denn die überspannte Steuer, die unerträgliche Ein¬
quartierung verschlingt seinen Grundertrag, und die allerdings sehr billige Ent¬
lastungsrente wird ihm neben den neuen Lasten unerschwinglich.

Ich bin überzeugt, man wird einen Reichstag erst dann versammeln, wenn
die Finanznoth dies unerläßlich macht, dann aber wird dieser Reichstag bittere
Rache nehmen, wird alles Provisorische über den Haufen werfen, wird Bedingun¬
gen stellen wollen, man wird die Wahl haben anzunehmen oder aufzulösen, und
das alte provisorische Narrenseil den Völkern wieder anzulegen, und dann? — —

Die Unerträglichkeit der heutigen Zustände, der tiefe Groll der Gemüther
hat sich zu kaum beschreiblicher Höhe gesteigert, daß sich diese Stimmung nicht
lant manifestiren darf, ist ein Ferment mehr für dieselbe. Eine freie, dem Pre߬
gesetz allein unterworfene Besprechung würde wenigstens als Blitzableiter dienen
und die Wolke des Grimmes entladen helfen, so aber bildet sich eine feste, cow-
pakte Partei der unversöhnlich Grimmigen, durch instinktgebotene Attraction, diese
Partei bildet keinen Club, keine geheime Gesellschaft, es ist die gemeinsame Idee,
welche alle Vernünftigen und Ehrenhaften, die Zeit Begreifenden zu dem Hasse ge¬
gen das Bestehende vereinigt, und dieser Partei gesellen sich die stürmischen bewußt¬
lose» Elemente der untern Schichten b<',i, so daß Oestreichs Zustände heute erst
vollständig unterminirt und aufgewühlt sind, während im Jahre 1848 blos die
Oberfläche von der Revolntionskrise Frankreichs zu leichten Wellchen aufgekräu¬
selt gewesen.

Die Loyalitäten und Kriechereidemoustrationcn des Wiener Gemeinderathes,
des Triester Handelsstandes, des Prager Spicßbürgerthums machen mich nicht irre
in meiner Ansicht, das sind nnr wurmige Aepfel an dem faulenden Baume Oest¬
reich, diese Aepfel scheinen gesund und roth, sind aber ungenießbar.

Das Pudelgeschlecht des stupiden, corrupten Spießbürgerthums macht Oese-


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[0476] erhörter, vielleicht dummer Weise, weil sie für ihre nationale Anerkennung zu kämpfen glaubten, werden durch das nivellirende System von heute geradezu wü¬ thend, bereuen ihre Opfer und sympathisiren mit Kossuth. Hätte man ohne viel nach Schematisirung zu frage», die Landtage und sofort den Reichstag berufen, vielleicht hätte auf diesem Versöhnendes zu Stande kommen können. Je weiter man aber einen Reichstag hinausschiebt, je weiter mau in der al¬ les nivellirenden provisorischen Organisirung vorschreitet, welche Alle gleichmäßig erbittert, je mehr man die Steuerlast eigenmächtig erhöht, bis zur Unerträglichkeit, ohne dadurch den kläglichen Finanzzustand im Mindesten zu bessern, weil die Armee Alles vorweg verschlingt, desto unvermeidlicher wird die Niederlage, welche ein kräftiger Reichstag der Regierung bringt, welche sich bisher alle Nationali¬ täten, wie alle Klassen der Gesellschaft zu Feinden-gemacht hat. Der Adel grollt bitter, die freisinnige Partei wird boshaft pessimistisch, der entlastete Bauer wird seiner Entlastung nicht froh, denn die überspannte Steuer, die unerträgliche Ein¬ quartierung verschlingt seinen Grundertrag, und die allerdings sehr billige Ent¬ lastungsrente wird ihm neben den neuen Lasten unerschwinglich. Ich bin überzeugt, man wird einen Reichstag erst dann versammeln, wenn die Finanznoth dies unerläßlich macht, dann aber wird dieser Reichstag bittere Rache nehmen, wird alles Provisorische über den Haufen werfen, wird Bedingun¬ gen stellen wollen, man wird die Wahl haben anzunehmen oder aufzulösen, und das alte provisorische Narrenseil den Völkern wieder anzulegen, und dann? — — Die Unerträglichkeit der heutigen Zustände, der tiefe Groll der Gemüther hat sich zu kaum beschreiblicher Höhe gesteigert, daß sich diese Stimmung nicht lant manifestiren darf, ist ein Ferment mehr für dieselbe. Eine freie, dem Pre߬ gesetz allein unterworfene Besprechung würde wenigstens als Blitzableiter dienen und die Wolke des Grimmes entladen helfen, so aber bildet sich eine feste, cow- pakte Partei der unversöhnlich Grimmigen, durch instinktgebotene Attraction, diese Partei bildet keinen Club, keine geheime Gesellschaft, es ist die gemeinsame Idee, welche alle Vernünftigen und Ehrenhaften, die Zeit Begreifenden zu dem Hasse ge¬ gen das Bestehende vereinigt, und dieser Partei gesellen sich die stürmischen bewußt¬ lose» Elemente der untern Schichten b<',i, so daß Oestreichs Zustände heute erst vollständig unterminirt und aufgewühlt sind, während im Jahre 1848 blos die Oberfläche von der Revolntionskrise Frankreichs zu leichten Wellchen aufgekräu¬ selt gewesen. Die Loyalitäten und Kriechereidemoustrationcn des Wiener Gemeinderathes, des Triester Handelsstandes, des Prager Spicßbürgerthums machen mich nicht irre in meiner Ansicht, das sind nnr wurmige Aepfel an dem faulenden Baume Oest¬ reich, diese Aepfel scheinen gesund und roth, sind aber ungenießbar. Das Pudelgeschlecht des stupiden, corrupten Spießbürgerthums macht Oese-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/476>, abgerufen am 23.06.2024.