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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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und Mouchards, absolut in napoleonischer Weise weiter, nur vergißt man dabei die
Hauptsache, man hat keinen Napoleon, der zu regieren verstände, und man hat
keine Franzosen vor sich, sondern gefährliche Volkselemente. Gerade das ist der
Weg zur Vernichtung Oestreichs und seiner Dynastie.

Bei uns wurde jetzt von dem Ministerium Schwarzenberg ein Kronland
nach dem andern, mit der oetrohirenden Geburtszange fertig constituirt in die
Welt gesetzt, und jedes zu gebärende Krouland wird vorher cuthirut, und in eine
lebensunfähige Mißgestalt verwandelt.

Den bisher kundgemachten Landesverfassungen der Kronländer ist das Merk¬
mal der Perforation sehr bedeutsam in die Stirne gedrückt. Alle bisher neuge-
bornen Kronländer ähneln in ihrer Verfassung einander wie Zwillinge. Alle sind
durch diese Verfassungen nicht zu berechtigten Provinzen, wohl aber zu Automaten
geworden; alle tragen sie dieselbe Verfassungsuuiform, wie die neu creirten Beam¬
ten, deren Uniform deutschen Schnittes, besonders in Ungarn den bittersten Wi¬
derwillen hervorruft. In Ungarn, fürchte ich, spielt man gewagtes Spiel, denn
man jagt selbst die altconservative Partei der Kossuthpartei in die Arme, Altcvn-
servative, Radikalen, Magyaren, Serben, Slowaken, sie Alle sind in gleichem Maße
erbittert. Mau tritt dem Nationalgefühle unerbittlich auf den Nacken, man re¬
giert und organisirt in jenen Landstrichen mit einer nichtsachtenden Brutalität, die
alle Begriffe übersteigt, und mit Ungeschick zugleich.

Ich bin überzeugt, man würde aus die Servilität und volkzertretende Bereit¬
willigkeit der für Ungarn bestellten Beamten mit derselben Zuversicht rechnen können,
ließe man sie in ungarischer ^tenue-Kaoncüi fungiren, das arme Volk aber fände
dennoch einigen Trost -- wenn auch eiuen jämmerlichen daran, trüge der verhaßte
Beamte wenigstens den volkstümlichen Nock.

Die Negierung aber glaubt den Ungar zwingen zu können zu vergessen, er
sei Ungar, und das eben gelingt ihr nimmer und niemals, das Nationalgefühl
des Ungars wie der übrigen Stämme überlebt hundert Haynan'sche Schnurrbärte,
seien sie uoch so tigergrimmig.

Die Regierung ist in der allerdings trübseligen Lage, sich vor ihrem eigenen
überstürzten Verfassuugswcrke fürchten, sich dessen Unausführbarkeit in poctorv ge¬
stehen zu müssen, ohne den Muth zu haben, ein lautes neee^öl zu rufen; endlich
aber wird es doch zu diesem peec-n-i kommen müssen.

Da stützt man den alten Staat mit den Kanvnenläufen des Belagerungszu¬
standes aller größer" Länder, und baut indessen im Wege des Provisoriums das
ganze neue Staatsgebäude aus; man glaubte es würde stehen bleiben, wenn man
dann jene Eisenstützen wegzieht, man irrt sich aber entsetzlich, denn gerade auf die¬
sem Wege richtet man Oestreich vollends zu Gründe.

Die Erbitterung der Völker steigert sich mit jedem Tage, die Croaten, die
Serben, die Romanen, welche geblutet und sich geopfert für die Negierung in un-


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und Mouchards, absolut in napoleonischer Weise weiter, nur vergißt man dabei die
Hauptsache, man hat keinen Napoleon, der zu regieren verstände, und man hat
keine Franzosen vor sich, sondern gefährliche Volkselemente. Gerade das ist der
Weg zur Vernichtung Oestreichs und seiner Dynastie.

Bei uns wurde jetzt von dem Ministerium Schwarzenberg ein Kronland
nach dem andern, mit der oetrohirenden Geburtszange fertig constituirt in die
Welt gesetzt, und jedes zu gebärende Krouland wird vorher cuthirut, und in eine
lebensunfähige Mißgestalt verwandelt.

Den bisher kundgemachten Landesverfassungen der Kronländer ist das Merk¬
mal der Perforation sehr bedeutsam in die Stirne gedrückt. Alle bisher neuge-
bornen Kronländer ähneln in ihrer Verfassung einander wie Zwillinge. Alle sind
durch diese Verfassungen nicht zu berechtigten Provinzen, wohl aber zu Automaten
geworden; alle tragen sie dieselbe Verfassungsuuiform, wie die neu creirten Beam¬
ten, deren Uniform deutschen Schnittes, besonders in Ungarn den bittersten Wi¬
derwillen hervorruft. In Ungarn, fürchte ich, spielt man gewagtes Spiel, denn
man jagt selbst die altconservative Partei der Kossuthpartei in die Arme, Altcvn-
servative, Radikalen, Magyaren, Serben, Slowaken, sie Alle sind in gleichem Maße
erbittert. Mau tritt dem Nationalgefühle unerbittlich auf den Nacken, man re¬
giert und organisirt in jenen Landstrichen mit einer nichtsachtenden Brutalität, die
alle Begriffe übersteigt, und mit Ungeschick zugleich.

Ich bin überzeugt, man würde aus die Servilität und volkzertretende Bereit¬
willigkeit der für Ungarn bestellten Beamten mit derselben Zuversicht rechnen können,
ließe man sie in ungarischer ^tenue-Kaoncüi fungiren, das arme Volk aber fände
dennoch einigen Trost — wenn auch eiuen jämmerlichen daran, trüge der verhaßte
Beamte wenigstens den volkstümlichen Nock.

Die Negierung aber glaubt den Ungar zwingen zu können zu vergessen, er
sei Ungar, und das eben gelingt ihr nimmer und niemals, das Nationalgefühl
des Ungars wie der übrigen Stämme überlebt hundert Haynan'sche Schnurrbärte,
seien sie uoch so tigergrimmig.

Die Regierung ist in der allerdings trübseligen Lage, sich vor ihrem eigenen
überstürzten Verfassuugswcrke fürchten, sich dessen Unausführbarkeit in poctorv ge¬
stehen zu müssen, ohne den Muth zu haben, ein lautes neee^öl zu rufen; endlich
aber wird es doch zu diesem peec-n-i kommen müssen.

Da stützt man den alten Staat mit den Kanvnenläufen des Belagerungszu¬
standes aller größer» Länder, und baut indessen im Wege des Provisoriums das
ganze neue Staatsgebäude aus; man glaubte es würde stehen bleiben, wenn man
dann jene Eisenstützen wegzieht, man irrt sich aber entsetzlich, denn gerade auf die¬
sem Wege richtet man Oestreich vollends zu Gründe.

Die Erbitterung der Völker steigert sich mit jedem Tage, die Croaten, die
Serben, die Romanen, welche geblutet und sich geopfert für die Negierung in un-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/475>, abgerufen am 23.06.2024.