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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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scheu dem Wunsch nach Machtvergrößerung und der Abneigung gegen einen Bund
mit der Revolution, bis man sich endlich, um doch zu irgend welchem Entschluß
zu kommen, einen kräftigen Ruck gibt, und nun eine Reaction ohne Maß erfolgt.
Mau verstärkt den Widerstand der Höfe gegen die deutsche Partei, in dem thö¬
richten Wahn, sie wurden später aus Dankbarkeit zugeben, was man nnr aus
Noth zugibt. Als dann diese bittere, aber unvermeidliche Wahrheit sich geltend
macht, weiß man nichts besseres, als zu schmollen, eine Beschäftigung, mit der
man sich noch in diesem Augenblick genügt.

Diese Politik der Umstände, als deren vollständigsten Typus wir Manteuffel
auffassen müssen, wirkt nachtheiliger aus das sittliche Gefühl des Volks, die ein¬
zige solide Basis deö Staats, als es ein augenblicklicher offener Bruch mit der
Vergangenheit gethan haben würde. Manteuffel gilt für einen specifisch ehrlichen
Mann. Aber diese sogenannte Ehrlichkeit hält nnr in ganz gewöhnlichen Ver¬
hältnissen Stich. Nach der Auflösung der zweiten Kammer war es sehr bequem,
zu. sagen: sollen wir uns einem Experiment übeilassen, das den Ruin des Staats
nach sich ziehen kann, einem gegebenen Wort zu Liebe? -- Aber dieses Wort ist
etwas Geistiges, in seiner Nichtachtung liegt Gefahr. Man hat nicht allein die
liberale Partei compromittirt, die "in den Staat zu erhalten, damals der Negie¬
rung sich anschließen mußte, weil sie nicht die Mittel hatte, allein zu stehn, ---
mit diesem Erfolg wäre man rechts und links sehr zufrieden gewesen -- man hat
sich selber compromittirt, denn der Beifall, mit dem die Gerlach'sche Partei diese
langsamen, aber sichern Rückschritte verfolgt, ist unverhüllter Hohn. Ein tüchtiges
Volk beugt fil /, wenn es bezwungen ist, selbst einer tyrannischen Gewalt, wenn
es einen eisernen Willen in ihr sieht, den es achten muß, auch wo es ihn haßt;
aber wo man in dem Sieger nur die äußere Ueberlegenheit sieht, im Innern
Hohlheit uno Schwäche, da gesellt sich zum Haß - gar bald eine andere Empfin¬
dung. Manteuffel hat die Krone über die augenblickliche Noth hinausgeführt,
aber ihr die Festigkeit zu geben, die ihr allein ewige Dauer verheißt, jene Kraft,
die nur im Verein mit Würde, denkbar ist, das ist er nicht im Stande gewesen.

Warum hält sich diese Negierung? -- Weil alle Parteien, die sogenannte gemä¬
ßigt reaktionäre oder eigentlich ministerielle nicht ausgenommen, gleichmäßig fühlen,
daß in der vollständigen Verwirrung und Rechtlosigkeit, in der jetzt die Sache liegt,
noch fortdauernd Dinge geschehen müssen, zu denen sich ein Anderer nicht hergeben
würde: Graf Arnim nicht, Gerlach nicht, Vincke nicht. Der Politiker der Um¬
stände gibt sich dazu her, ohne seine "Ehrlichkeit" damit innerlich zu beschädigen,
denn er sieht weder sich "och den Staat als Totalität, er fleht immer nur die
augenblickliche Noth und freut sich kindisch über den augenblicklichen Erfolg.

Der Erfolg hat Manteuffel offenbar geblendet. Während der Februar-Kam¬
mer, wo noch ein dreister, lärmender Gegner ihm gegenüber saß, und die eigne
Partei ihn beständig fühlen ließ, ihn fühlen lassen konnte, daß er von ihr ab-


scheu dem Wunsch nach Machtvergrößerung und der Abneigung gegen einen Bund
mit der Revolution, bis man sich endlich, um doch zu irgend welchem Entschluß
zu kommen, einen kräftigen Ruck gibt, und nun eine Reaction ohne Maß erfolgt.
Mau verstärkt den Widerstand der Höfe gegen die deutsche Partei, in dem thö¬
richten Wahn, sie wurden später aus Dankbarkeit zugeben, was man nnr aus
Noth zugibt. Als dann diese bittere, aber unvermeidliche Wahrheit sich geltend
macht, weiß man nichts besseres, als zu schmollen, eine Beschäftigung, mit der
man sich noch in diesem Augenblick genügt.

Diese Politik der Umstände, als deren vollständigsten Typus wir Manteuffel
auffassen müssen, wirkt nachtheiliger aus das sittliche Gefühl des Volks, die ein¬
zige solide Basis deö Staats, als es ein augenblicklicher offener Bruch mit der
Vergangenheit gethan haben würde. Manteuffel gilt für einen specifisch ehrlichen
Mann. Aber diese sogenannte Ehrlichkeit hält nnr in ganz gewöhnlichen Ver¬
hältnissen Stich. Nach der Auflösung der zweiten Kammer war es sehr bequem,
zu. sagen: sollen wir uns einem Experiment übeilassen, das den Ruin des Staats
nach sich ziehen kann, einem gegebenen Wort zu Liebe? — Aber dieses Wort ist
etwas Geistiges, in seiner Nichtachtung liegt Gefahr. Man hat nicht allein die
liberale Partei compromittirt, die »in den Staat zu erhalten, damals der Negie¬
rung sich anschließen mußte, weil sie nicht die Mittel hatte, allein zu stehn, —-
mit diesem Erfolg wäre man rechts und links sehr zufrieden gewesen — man hat
sich selber compromittirt, denn der Beifall, mit dem die Gerlach'sche Partei diese
langsamen, aber sichern Rückschritte verfolgt, ist unverhüllter Hohn. Ein tüchtiges
Volk beugt fil /, wenn es bezwungen ist, selbst einer tyrannischen Gewalt, wenn
es einen eisernen Willen in ihr sieht, den es achten muß, auch wo es ihn haßt;
aber wo man in dem Sieger nur die äußere Ueberlegenheit sieht, im Innern
Hohlheit uno Schwäche, da gesellt sich zum Haß - gar bald eine andere Empfin¬
dung. Manteuffel hat die Krone über die augenblickliche Noth hinausgeführt,
aber ihr die Festigkeit zu geben, die ihr allein ewige Dauer verheißt, jene Kraft,
die nur im Verein mit Würde, denkbar ist, das ist er nicht im Stande gewesen.

Warum hält sich diese Negierung? — Weil alle Parteien, die sogenannte gemä¬
ßigt reaktionäre oder eigentlich ministerielle nicht ausgenommen, gleichmäßig fühlen,
daß in der vollständigen Verwirrung und Rechtlosigkeit, in der jetzt die Sache liegt,
noch fortdauernd Dinge geschehen müssen, zu denen sich ein Anderer nicht hergeben
würde: Graf Arnim nicht, Gerlach nicht, Vincke nicht. Der Politiker der Um¬
stände gibt sich dazu her, ohne seine „Ehrlichkeit" damit innerlich zu beschädigen,
denn er sieht weder sich «och den Staat als Totalität, er fleht immer nur die
augenblickliche Noth und freut sich kindisch über den augenblicklichen Erfolg.

Der Erfolg hat Manteuffel offenbar geblendet. Während der Februar-Kam¬
mer, wo noch ein dreister, lärmender Gegner ihm gegenüber saß, und die eigne
Partei ihn beständig fühlen ließ, ihn fühlen lassen konnte, daß er von ihr ab-


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[0466] scheu dem Wunsch nach Machtvergrößerung und der Abneigung gegen einen Bund mit der Revolution, bis man sich endlich, um doch zu irgend welchem Entschluß zu kommen, einen kräftigen Ruck gibt, und nun eine Reaction ohne Maß erfolgt. Mau verstärkt den Widerstand der Höfe gegen die deutsche Partei, in dem thö¬ richten Wahn, sie wurden später aus Dankbarkeit zugeben, was man nnr aus Noth zugibt. Als dann diese bittere, aber unvermeidliche Wahrheit sich geltend macht, weiß man nichts besseres, als zu schmollen, eine Beschäftigung, mit der man sich noch in diesem Augenblick genügt. Diese Politik der Umstände, als deren vollständigsten Typus wir Manteuffel auffassen müssen, wirkt nachtheiliger aus das sittliche Gefühl des Volks, die ein¬ zige solide Basis deö Staats, als es ein augenblicklicher offener Bruch mit der Vergangenheit gethan haben würde. Manteuffel gilt für einen specifisch ehrlichen Mann. Aber diese sogenannte Ehrlichkeit hält nnr in ganz gewöhnlichen Ver¬ hältnissen Stich. Nach der Auflösung der zweiten Kammer war es sehr bequem, zu. sagen: sollen wir uns einem Experiment übeilassen, das den Ruin des Staats nach sich ziehen kann, einem gegebenen Wort zu Liebe? — Aber dieses Wort ist etwas Geistiges, in seiner Nichtachtung liegt Gefahr. Man hat nicht allein die liberale Partei compromittirt, die »in den Staat zu erhalten, damals der Negie¬ rung sich anschließen mußte, weil sie nicht die Mittel hatte, allein zu stehn, —- mit diesem Erfolg wäre man rechts und links sehr zufrieden gewesen — man hat sich selber compromittirt, denn der Beifall, mit dem die Gerlach'sche Partei diese langsamen, aber sichern Rückschritte verfolgt, ist unverhüllter Hohn. Ein tüchtiges Volk beugt fil /, wenn es bezwungen ist, selbst einer tyrannischen Gewalt, wenn es einen eisernen Willen in ihr sieht, den es achten muß, auch wo es ihn haßt; aber wo man in dem Sieger nur die äußere Ueberlegenheit sieht, im Innern Hohlheit uno Schwäche, da gesellt sich zum Haß - gar bald eine andere Empfin¬ dung. Manteuffel hat die Krone über die augenblickliche Noth hinausgeführt, aber ihr die Festigkeit zu geben, die ihr allein ewige Dauer verheißt, jene Kraft, die nur im Verein mit Würde, denkbar ist, das ist er nicht im Stande gewesen. Warum hält sich diese Negierung? — Weil alle Parteien, die sogenannte gemä¬ ßigt reaktionäre oder eigentlich ministerielle nicht ausgenommen, gleichmäßig fühlen, daß in der vollständigen Verwirrung und Rechtlosigkeit, in der jetzt die Sache liegt, noch fortdauernd Dinge geschehen müssen, zu denen sich ein Anderer nicht hergeben würde: Graf Arnim nicht, Gerlach nicht, Vincke nicht. Der Politiker der Um¬ stände gibt sich dazu her, ohne seine „Ehrlichkeit" damit innerlich zu beschädigen, denn er sieht weder sich «och den Staat als Totalität, er fleht immer nur die augenblickliche Noth und freut sich kindisch über den augenblicklichen Erfolg. Der Erfolg hat Manteuffel offenbar geblendet. Während der Februar-Kam¬ mer, wo noch ein dreister, lärmender Gegner ihm gegenüber saß, und die eigne Partei ihn beständig fühlen ließ, ihn fühlen lassen konnte, daß er von ihr ab-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/466>, abgerufen am 23.06.2024.