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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Der über alles Erwarten günstige Erfolg diente, wider die natürliche Vor¬
aussetzung, nur dazu, die Eigenthümlichkeit der im Grunde principlosen Politik
noch schärfer herauszukehren. Die leitende Politik der Regierung war eine Po¬
litik der Umstände. Eine Reihe von Maßregeln, die dem ersten Anscheine nach
einander vollständig widersprachen, diente doch nur dazu, den einmal eingeschla¬
genen Weg weiter zu bahnen, nicht als ob das neue Cabinet von vornherein sich
einen bestimmte" Plan gemacht, sondern weil die Fluth, wenn man ihr einmal
Bahn bricht, nach dem Gesetz der Naturnotwendigkeit weiter geht, in der Con-
trerevolution wie in der Revolution.

Zuerst ward die Entfernung der Nationalversammlung aus der aufgeregten
Hauptstadt für nothwendig erkannt. Dies führte einerseits zum Hereinziew des
Militärs nach Berlin, zur. Auflösung der Bürgerwehr, zum Belagerungszustand;
andererseits zur nachträglichen Auflösung eines Konvents, der sich selber für un¬
auflöslich aichh, Die Auflösung machte selbstständige Ausführung dessen nöthig,
was nach den Märzgesetzen -der Nationalversammlung vorbehalten war. Eine Ver¬
fassung wird einseitig verliehen; in den wesentlichsten Bestimmungen, namentlich
dem Wahlgesetz, entspricht sie dem democratischen Geist der Nationalversammlung,
dagegen wird der Regierung dnrch höchst bedenkliche Klauseln freie Hand der Re¬
präsentation gegenüber gegeben. Die Verfassung soll erst dann volle Geltung
haben, wenn sie von den Kammern revidirt sein wird -- wenn sie, so stellt es
sich wenigstens die öffentliche Meinung vor, in freisinnigerem Geist revidirt sein
wird. Schon ist die Reaction in dem Geist des Volkes so weit vorgeschritten, daß
aus dem democratischen Wahlgesetz eine conservative Kammer hervorgeht, welche die
"rettende That" der Regierung sauctiv'urd. Als dennoch auch diese Kammer mit
der Regierung in der deutschen Frage in Conflict geräth, ist die letztere ihrer
Kraft schon so sicher, daß sie die Kammer auflöst und ein neues Wahlgesetz
oetroyirt. Auch diesem Rechtsbruch fügt sich die conservative Partei; die Demo-
cratie beschränkt sich auf ihren üblichen passiven Widerstand, d. h. sie sieht ruhig
zu, wie über sie und ohne sie entschieden wird. Die neuen Kammern revidiren
die Verfassung in streng conservativen Sinn, und nachdem das geschehe", verzö¬
gert die Krone, getrieben durch die immer weiter um sich greifende reactionäre
Partei, die Vollendung der Constitution, bis sich die Kammern zu neuen, das
Wesen der Verfassung in verschiedenen Punkten aufhebenden Concessionen ver¬
stehen.

Aehnlich in der deutschen Frage. Das Gagernsche Programm wirft Deutsch¬
land Preußen in die Arme; die Note vom 23. Januar führt diesen Act des En¬
thusiasmus auf den angemessenen Ausdruck des nüchternen Verstandes zurück, ver¬
tritt aber das Recht desselben Oestreich gegenüber mit ziemlicher Schärfe. Es
erfolgt die Kaiserwahl, und von Seite Preußens jenes unheilvolle Schwanken zwi-


^ Grenjboteu. i. 18S0. 58

Der über alles Erwarten günstige Erfolg diente, wider die natürliche Vor¬
aussetzung, nur dazu, die Eigenthümlichkeit der im Grunde principlosen Politik
noch schärfer herauszukehren. Die leitende Politik der Regierung war eine Po¬
litik der Umstände. Eine Reihe von Maßregeln, die dem ersten Anscheine nach
einander vollständig widersprachen, diente doch nur dazu, den einmal eingeschla¬
genen Weg weiter zu bahnen, nicht als ob das neue Cabinet von vornherein sich
einen bestimmte» Plan gemacht, sondern weil die Fluth, wenn man ihr einmal
Bahn bricht, nach dem Gesetz der Naturnotwendigkeit weiter geht, in der Con-
trerevolution wie in der Revolution.

Zuerst ward die Entfernung der Nationalversammlung aus der aufgeregten
Hauptstadt für nothwendig erkannt. Dies führte einerseits zum Hereinziew des
Militärs nach Berlin, zur. Auflösung der Bürgerwehr, zum Belagerungszustand;
andererseits zur nachträglichen Auflösung eines Konvents, der sich selber für un¬
auflöslich aichh, Die Auflösung machte selbstständige Ausführung dessen nöthig,
was nach den Märzgesetzen -der Nationalversammlung vorbehalten war. Eine Ver¬
fassung wird einseitig verliehen; in den wesentlichsten Bestimmungen, namentlich
dem Wahlgesetz, entspricht sie dem democratischen Geist der Nationalversammlung,
dagegen wird der Regierung dnrch höchst bedenkliche Klauseln freie Hand der Re¬
präsentation gegenüber gegeben. Die Verfassung soll erst dann volle Geltung
haben, wenn sie von den Kammern revidirt sein wird — wenn sie, so stellt es
sich wenigstens die öffentliche Meinung vor, in freisinnigerem Geist revidirt sein
wird. Schon ist die Reaction in dem Geist des Volkes so weit vorgeschritten, daß
aus dem democratischen Wahlgesetz eine conservative Kammer hervorgeht, welche die
„rettende That" der Regierung sauctiv'urd. Als dennoch auch diese Kammer mit
der Regierung in der deutschen Frage in Conflict geräth, ist die letztere ihrer
Kraft schon so sicher, daß sie die Kammer auflöst und ein neues Wahlgesetz
oetroyirt. Auch diesem Rechtsbruch fügt sich die conservative Partei; die Demo-
cratie beschränkt sich auf ihren üblichen passiven Widerstand, d. h. sie sieht ruhig
zu, wie über sie und ohne sie entschieden wird. Die neuen Kammern revidiren
die Verfassung in streng conservativen Sinn, und nachdem das geschehe», verzö¬
gert die Krone, getrieben durch die immer weiter um sich greifende reactionäre
Partei, die Vollendung der Constitution, bis sich die Kammern zu neuen, das
Wesen der Verfassung in verschiedenen Punkten aufhebenden Concessionen ver¬
stehen.

Aehnlich in der deutschen Frage. Das Gagernsche Programm wirft Deutsch¬
land Preußen in die Arme; die Note vom 23. Januar führt diesen Act des En¬
thusiasmus auf den angemessenen Ausdruck des nüchternen Verstandes zurück, ver¬
tritt aber das Recht desselben Oestreich gegenüber mit ziemlicher Schärfe. Es
erfolgt die Kaiserwahl, und von Seite Preußens jenes unheilvolle Schwanken zwi-


^ Grenjboteu. i. 18S0. 58
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[0465] Der über alles Erwarten günstige Erfolg diente, wider die natürliche Vor¬ aussetzung, nur dazu, die Eigenthümlichkeit der im Grunde principlosen Politik noch schärfer herauszukehren. Die leitende Politik der Regierung war eine Po¬ litik der Umstände. Eine Reihe von Maßregeln, die dem ersten Anscheine nach einander vollständig widersprachen, diente doch nur dazu, den einmal eingeschla¬ genen Weg weiter zu bahnen, nicht als ob das neue Cabinet von vornherein sich einen bestimmte» Plan gemacht, sondern weil die Fluth, wenn man ihr einmal Bahn bricht, nach dem Gesetz der Naturnotwendigkeit weiter geht, in der Con- trerevolution wie in der Revolution. Zuerst ward die Entfernung der Nationalversammlung aus der aufgeregten Hauptstadt für nothwendig erkannt. Dies führte einerseits zum Hereinziew des Militärs nach Berlin, zur. Auflösung der Bürgerwehr, zum Belagerungszustand; andererseits zur nachträglichen Auflösung eines Konvents, der sich selber für un¬ auflöslich aichh, Die Auflösung machte selbstständige Ausführung dessen nöthig, was nach den Märzgesetzen -der Nationalversammlung vorbehalten war. Eine Ver¬ fassung wird einseitig verliehen; in den wesentlichsten Bestimmungen, namentlich dem Wahlgesetz, entspricht sie dem democratischen Geist der Nationalversammlung, dagegen wird der Regierung dnrch höchst bedenkliche Klauseln freie Hand der Re¬ präsentation gegenüber gegeben. Die Verfassung soll erst dann volle Geltung haben, wenn sie von den Kammern revidirt sein wird — wenn sie, so stellt es sich wenigstens die öffentliche Meinung vor, in freisinnigerem Geist revidirt sein wird. Schon ist die Reaction in dem Geist des Volkes so weit vorgeschritten, daß aus dem democratischen Wahlgesetz eine conservative Kammer hervorgeht, welche die „rettende That" der Regierung sauctiv'urd. Als dennoch auch diese Kammer mit der Regierung in der deutschen Frage in Conflict geräth, ist die letztere ihrer Kraft schon so sicher, daß sie die Kammer auflöst und ein neues Wahlgesetz oetroyirt. Auch diesem Rechtsbruch fügt sich die conservative Partei; die Demo- cratie beschränkt sich auf ihren üblichen passiven Widerstand, d. h. sie sieht ruhig zu, wie über sie und ohne sie entschieden wird. Die neuen Kammern revidiren die Verfassung in streng conservativen Sinn, und nachdem das geschehe», verzö¬ gert die Krone, getrieben durch die immer weiter um sich greifende reactionäre Partei, die Vollendung der Constitution, bis sich die Kammern zu neuen, das Wesen der Verfassung in verschiedenen Punkten aufhebenden Concessionen ver¬ stehen. Aehnlich in der deutschen Frage. Das Gagernsche Programm wirft Deutsch¬ land Preußen in die Arme; die Note vom 23. Januar führt diesen Act des En¬ thusiasmus auf den angemessenen Ausdruck des nüchternen Verstandes zurück, ver¬ tritt aber das Recht desselben Oestreich gegenüber mit ziemlicher Schärfe. Es erfolgt die Kaiserwahl, und von Seite Preußens jenes unheilvolle Schwanken zwi- ^ Grenjboteu. i. 18S0. 58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/465>, abgerufen am 23.06.2024.