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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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In den Eltern Lamartine's lag also ein scharfer Contrast. Die Mutter hatte,
was damals an Geist und Seele irgend aufgewandt werden durfte. Der Vater,
um 20 Jahre älter, war ganz Soldat; während seines Aufenthalts in der Pro¬
vinz war die Jagd seine einzige Beschäftigung; in der Garnison der Dienst. Sein
Regiment war ihm wie eine Familie, sein Stand sein höchster Ehrgeiz; militäri¬
sches Ehrgefühl und schrankenlose Loyalität sein Cultus.

Die Heirath fällt in die Zeiten der constituirenden Versammlung. Der Che¬
valier trat nicht aus dem Dienst, er sah in der Revolution vorläufig nichts an¬
deres, als eine Gelegenheit, unter Umstanden für deu König einzutreten und ge¬
gen die Unordnung zu kämpfen. Uebrigens war seine Familie liberal, wie es
damals der Adel war ; der alte Herr sammt seinen Söhnen war in der Voltaire¬
schen Philosophie ausgewachsen, und voll von dem Ruhm Lafayette's, mit welchem
der zweite Sohn, der Abbe von Lamartine, gemeinschaftlich erzogen war, voll von
den Bildern der amerikanischen Freiheit und der Idee der Menschenrechte. Diese
Neigung kühlte sich freilich mit der demokratische" Wendung des Jahres 91 ab,
dennoch nahm an der Emigration keiner aus der Familie Antheil, der Chevalier
gab nur seine Entlassung, und trat, um den König zu rette", in den Tagen des.
1V. August unter die "Dolchritter." Im Kampf des 10. August wurde er gefan¬
gen genommen, durch einen alten Gärtner gerettet, und zog sich ganz in die länd¬
liche Einsamkeit des Schlosses Milky zurück.

Die Ruhe des Hauses blieb nicht lauge ungestört. Die Jagd auf die Ari¬
stokraten veganu auch in der Grafschaft, und in eiuer Nacht wurde die ganze
Familie aufgehoben und in das Gefängniß von Antun geführt. Nur Lamartine'S
Eltern wurden in M5,con eingekerkert, und Lamartine erzählt uns in seinen "Ou-
Kileuces" eine Reihe eben so anmuthiger als rührender Geschichten, wie Liebe die
beiden Gatten zusammenführte. Frau vou Lamartine correspondirte mit ihrem Ge¬
mahl durch Pfeile, die sie in sein Fenster schoß, und der Chevalier ließ sich in
einer Nacht vermittelst eines Seits über die Straße aus einem Fenster in das
andre ziehn, um seine Gattin zu besuchen. Nicht immer beucchmeu sich die Blatt¬
röcke barbarisch. Als die Mutter einmal mit Zittern zusah, wie ein Jacobiner
den kleinen Alphons auf seinen Armen schaukelte, sagte dieser: "Fürchte nichts,
Bürgerin! wir Republikaner haben auch Kinder. Dein Knabe ist hübsch genug
für ein Aristokratenkind; erziehe ihn für's Vaterland und mache einen Bürger
daraus."

Der 9. Thermidor öffnete die Gefängnisse. Bald darauf starb der Großva¬
ter, seine Güter wurden vertheilt, und der Chevalier blieb mit seiner Familie und
dem mäßigen Einkommen von 3000 Limes auf dem Schlosse Milky. Er saß
Abends am Kamin und las seiner Frau und den Kindern -- auf Alfons folgten
mehrere Töchter -- aus Tasso's befreiten Jerusalem vor, in der Ueberhebung von
Lebrun. Lamartine erzählt uns, daß er noch im spätern Alter jenes Buch be-


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In den Eltern Lamartine's lag also ein scharfer Contrast. Die Mutter hatte,
was damals an Geist und Seele irgend aufgewandt werden durfte. Der Vater,
um 20 Jahre älter, war ganz Soldat; während seines Aufenthalts in der Pro¬
vinz war die Jagd seine einzige Beschäftigung; in der Garnison der Dienst. Sein
Regiment war ihm wie eine Familie, sein Stand sein höchster Ehrgeiz; militäri¬
sches Ehrgefühl und schrankenlose Loyalität sein Cultus.

Die Heirath fällt in die Zeiten der constituirenden Versammlung. Der Che¬
valier trat nicht aus dem Dienst, er sah in der Revolution vorläufig nichts an¬
deres, als eine Gelegenheit, unter Umstanden für deu König einzutreten und ge¬
gen die Unordnung zu kämpfen. Uebrigens war seine Familie liberal, wie es
damals der Adel war ; der alte Herr sammt seinen Söhnen war in der Voltaire¬
schen Philosophie ausgewachsen, und voll von dem Ruhm Lafayette's, mit welchem
der zweite Sohn, der Abbe von Lamartine, gemeinschaftlich erzogen war, voll von
den Bildern der amerikanischen Freiheit und der Idee der Menschenrechte. Diese
Neigung kühlte sich freilich mit der demokratische» Wendung des Jahres 91 ab,
dennoch nahm an der Emigration keiner aus der Familie Antheil, der Chevalier
gab nur seine Entlassung, und trat, um den König zu rette«, in den Tagen des.
1V. August unter die „Dolchritter." Im Kampf des 10. August wurde er gefan¬
gen genommen, durch einen alten Gärtner gerettet, und zog sich ganz in die länd¬
liche Einsamkeit des Schlosses Milky zurück.

Die Ruhe des Hauses blieb nicht lauge ungestört. Die Jagd auf die Ari¬
stokraten veganu auch in der Grafschaft, und in eiuer Nacht wurde die ganze
Familie aufgehoben und in das Gefängniß von Antun geführt. Nur Lamartine'S
Eltern wurden in M5,con eingekerkert, und Lamartine erzählt uns in seinen „Ou-
Kileuces" eine Reihe eben so anmuthiger als rührender Geschichten, wie Liebe die
beiden Gatten zusammenführte. Frau vou Lamartine correspondirte mit ihrem Ge¬
mahl durch Pfeile, die sie in sein Fenster schoß, und der Chevalier ließ sich in
einer Nacht vermittelst eines Seits über die Straße aus einem Fenster in das
andre ziehn, um seine Gattin zu besuchen. Nicht immer beucchmeu sich die Blatt¬
röcke barbarisch. Als die Mutter einmal mit Zittern zusah, wie ein Jacobiner
den kleinen Alphons auf seinen Armen schaukelte, sagte dieser: „Fürchte nichts,
Bürgerin! wir Republikaner haben auch Kinder. Dein Knabe ist hübsch genug
für ein Aristokratenkind; erziehe ihn für's Vaterland und mache einen Bürger
daraus."

Der 9. Thermidor öffnete die Gefängnisse. Bald darauf starb der Großva¬
ter, seine Güter wurden vertheilt, und der Chevalier blieb mit seiner Familie und
dem mäßigen Einkommen von 3000 Limes auf dem Schlosse Milky. Er saß
Abends am Kamin und las seiner Frau und den Kindern — auf Alfons folgten
mehrere Töchter — aus Tasso's befreiten Jerusalem vor, in der Ueberhebung von
Lebrun. Lamartine erzählt uns, daß er noch im spätern Alter jenes Buch be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/451>, abgerufen am 23.06.2024.