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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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gewissen Theil seines Körpers aus eine Weise verletzte, die ihn zwang, viele Tage das
Zimmer zu hüten. Die vierhundert Arbeiter der Fabrik, fast Alle die eingefleischtesten
Socialisten erwarteten ihn mit Ungeduld und hatten sich verabredet, augenfällige De¬
monstrationen zu machen, die Marseillaise, das Klnurii' p-Aris zu singen, und
man konnte von der Zeit an eine seltene Uniformität an ihnen bemerken, denn alle
trugen Tag für Tag rothe Mützchen und Blousen. Endlich kam der Prinz, aber so
unerwartet, daß nicht allein Alles unterblieb, was die Ouvriers hatten unternehmen
wollen, sondern, daß auch viele ihre Mutzen abzogen und unter die Hobelbänke war¬
fen. Andere dagegen richteten sich stolz und drohend empor, strichen den verwilderten
Bart und brummten wenigstens zwischen den Zähnen. Darin blieben sich alle gleich,
daß sie fortarbeiteten, und, ohne sich stören zu lassen, die Fragen des Präsidenten kurz
mit Ja oder Nein beantworteten. Der letztere ging in Begleitung des Fabrikherrn,
welcher selbst ein eifriger Anhänger Proudhons ist, die Säle mehrmals ans und ab,
wagte aber uicht, wie er früher wohl versucht hätte, die Arbeiter durch eine Ol-uio
I"-o clomci zu haranguiren. Denn er ist der Mann des leeren Wortes, der größte Phra-
seur von der Welt, und wie er selbst nichts weiter ist, als ein wesenloser Schemen,
der Abklatsch eiues großen Todten, so steckt auch hinter seinem endlosen Wortgeklin¬
gel, hinter seinen sogenannten napoleonischen Ideen nicht ein Körnlein gesunden Men¬
schenverstandes und geläuterter Staatsklugheit. Mehrere Tage nach dem Präsidenten
besuchte auch der ehrwürdige Erzbischof von Paris, Mr. Sybonr, die genannte Fabrik.
Der ausgezeichnete, bei allen Klassen der Gesellschaft in der höchsten Achtung stehende
Würdenträger, wurde ganz anders empfangen, als das Oberhaupt des Staates. Jeder¬
mann drängte sich zu ihm, um seine Hand oder seinen Ring zu küssen; er dagegen
sprach freundlich und liebevoll zu allen Arbeitern, ertheilte ihnen seinen Segen, und
ward mit enthusiastischen Lebehochs wieder an seinen Wagen geleitet. Es ist -ein wenig
Ostentation in diesen Besuchen der Ateliers, welche jetzt in der Mode sind, und bei
Vielen Besuchern weiß der sogenannte gemeine Mann sehr wohl zu unterscheiden, ob sie
aus purer Menschenliebe, oder aus irgend welchen egoistischen Nebenabsichten kommen.
Die Koketterie der höheren Stände mit dem Ouvrier wird immer augenfälliger, je
reißender die Fortschritte der Theorien des Socialismus sind. Und diese find nicht
wegzuleugnen. Ganze Phalangen gehen in geschlossenen Gliedern und mit klingendem
Spiel zu seinen Fahnen über, und täglich wirbt er neue Anhänger, und zwar, auf¬
fallender Weise, in Paris jetzt viel weniger, wie in den Provinzen. Um nur ein
Beispiel anzuführen, so hat das Departement "In Oarä, welches zur vor¬
letzten Nationalversammlung mit ungeheuerer Majorität einen Legitimisten wählte,
zur jetzigen mit noch weit größerer den socialistischen Kandidaten gewählt. Ist
ja sogar Victor Hugo, der so lauge auf der äußersten Rechten gesessen, plötzlich
mit Sack und Pack in's, Lager der Montagnard's übergegangen, i?) Als einer der Cho-
ragen der Socialisten macht Emile Girardin, der Redakteur der Presse, jetzt dem Gou¬
vernement am meisten zu schaffen durch eine wüthende, maßlose, nicht immer gerecht¬
fertigte Opposition. Man muß gestehen, daß er ein Champion ist, der seine Sache mit
Muth, Ausdauer und Geschicklichkeit zu führen versteht, dem es aber auch durchaus
nicht darauf ankommt, ob die Mittel, die er anwendet, um zum Ziele zu gelangen,
moralisch oder unmoralisch, gut oder schlecht sind. Er ist ein Mann, wie deren dazu
berufen sind, große Rollen in der Politik zu spielen; von unermcßnem Ehrgeiz beseelt,
ist er bereit, demselben Alles aufzuopfern, er strebt sichtlich nach der höchsten Gewalt im
Staate, und wer weiß, ob er nicht mit der Zeit noch dahin gelangt, denn er besitzt
Geist und Verstand, oder vielmehr List und Schlauheit, wie nicht Viele. Eigenthümlich
ist sein Verhältniß zu Lamartine. Bekanntlich hat er dessen ehemalige Geliebte, die
Dichterin Delphine Gay, geheirathet, und sich durch diese Verbindung zuerst eine Po¬
sition in der Welt geschafft. Er greift ihn daher niemals an, und ihm, der Alle ver-


gewissen Theil seines Körpers aus eine Weise verletzte, die ihn zwang, viele Tage das
Zimmer zu hüten. Die vierhundert Arbeiter der Fabrik, fast Alle die eingefleischtesten
Socialisten erwarteten ihn mit Ungeduld und hatten sich verabredet, augenfällige De¬
monstrationen zu machen, die Marseillaise, das Klnurii' p-Aris zu singen, und
man konnte von der Zeit an eine seltene Uniformität an ihnen bemerken, denn alle
trugen Tag für Tag rothe Mützchen und Blousen. Endlich kam der Prinz, aber so
unerwartet, daß nicht allein Alles unterblieb, was die Ouvriers hatten unternehmen
wollen, sondern, daß auch viele ihre Mutzen abzogen und unter die Hobelbänke war¬
fen. Andere dagegen richteten sich stolz und drohend empor, strichen den verwilderten
Bart und brummten wenigstens zwischen den Zähnen. Darin blieben sich alle gleich,
daß sie fortarbeiteten, und, ohne sich stören zu lassen, die Fragen des Präsidenten kurz
mit Ja oder Nein beantworteten. Der letztere ging in Begleitung des Fabrikherrn,
welcher selbst ein eifriger Anhänger Proudhons ist, die Säle mehrmals ans und ab,
wagte aber uicht, wie er früher wohl versucht hätte, die Arbeiter durch eine Ol-uio
I»-o clomci zu haranguiren. Denn er ist der Mann des leeren Wortes, der größte Phra-
seur von der Welt, und wie er selbst nichts weiter ist, als ein wesenloser Schemen,
der Abklatsch eiues großen Todten, so steckt auch hinter seinem endlosen Wortgeklin¬
gel, hinter seinen sogenannten napoleonischen Ideen nicht ein Körnlein gesunden Men¬
schenverstandes und geläuterter Staatsklugheit. Mehrere Tage nach dem Präsidenten
besuchte auch der ehrwürdige Erzbischof von Paris, Mr. Sybonr, die genannte Fabrik.
Der ausgezeichnete, bei allen Klassen der Gesellschaft in der höchsten Achtung stehende
Würdenträger, wurde ganz anders empfangen, als das Oberhaupt des Staates. Jeder¬
mann drängte sich zu ihm, um seine Hand oder seinen Ring zu küssen; er dagegen
sprach freundlich und liebevoll zu allen Arbeitern, ertheilte ihnen seinen Segen, und
ward mit enthusiastischen Lebehochs wieder an seinen Wagen geleitet. Es ist -ein wenig
Ostentation in diesen Besuchen der Ateliers, welche jetzt in der Mode sind, und bei
Vielen Besuchern weiß der sogenannte gemeine Mann sehr wohl zu unterscheiden, ob sie
aus purer Menschenliebe, oder aus irgend welchen egoistischen Nebenabsichten kommen.
Die Koketterie der höheren Stände mit dem Ouvrier wird immer augenfälliger, je
reißender die Fortschritte der Theorien des Socialismus sind. Und diese find nicht
wegzuleugnen. Ganze Phalangen gehen in geschlossenen Gliedern und mit klingendem
Spiel zu seinen Fahnen über, und täglich wirbt er neue Anhänger, und zwar, auf¬
fallender Weise, in Paris jetzt viel weniger, wie in den Provinzen. Um nur ein
Beispiel anzuführen, so hat das Departement «In Oarä, welches zur vor¬
letzten Nationalversammlung mit ungeheuerer Majorität einen Legitimisten wählte,
zur jetzigen mit noch weit größerer den socialistischen Kandidaten gewählt. Ist
ja sogar Victor Hugo, der so lauge auf der äußersten Rechten gesessen, plötzlich
mit Sack und Pack in's, Lager der Montagnard's übergegangen, i?) Als einer der Cho-
ragen der Socialisten macht Emile Girardin, der Redakteur der Presse, jetzt dem Gou¬
vernement am meisten zu schaffen durch eine wüthende, maßlose, nicht immer gerecht¬
fertigte Opposition. Man muß gestehen, daß er ein Champion ist, der seine Sache mit
Muth, Ausdauer und Geschicklichkeit zu führen versteht, dem es aber auch durchaus
nicht darauf ankommt, ob die Mittel, die er anwendet, um zum Ziele zu gelangen,
moralisch oder unmoralisch, gut oder schlecht sind. Er ist ein Mann, wie deren dazu
berufen sind, große Rollen in der Politik zu spielen; von unermcßnem Ehrgeiz beseelt,
ist er bereit, demselben Alles aufzuopfern, er strebt sichtlich nach der höchsten Gewalt im
Staate, und wer weiß, ob er nicht mit der Zeit noch dahin gelangt, denn er besitzt
Geist und Verstand, oder vielmehr List und Schlauheit, wie nicht Viele. Eigenthümlich
ist sein Verhältniß zu Lamartine. Bekanntlich hat er dessen ehemalige Geliebte, die
Dichterin Delphine Gay, geheirathet, und sich durch diese Verbindung zuerst eine Po¬
sition in der Welt geschafft. Er greift ihn daher niemals an, und ihm, der Alle ver-


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[0439] gewissen Theil seines Körpers aus eine Weise verletzte, die ihn zwang, viele Tage das Zimmer zu hüten. Die vierhundert Arbeiter der Fabrik, fast Alle die eingefleischtesten Socialisten erwarteten ihn mit Ungeduld und hatten sich verabredet, augenfällige De¬ monstrationen zu machen, die Marseillaise, das Klnurii' p-Aris zu singen, und man konnte von der Zeit an eine seltene Uniformität an ihnen bemerken, denn alle trugen Tag für Tag rothe Mützchen und Blousen. Endlich kam der Prinz, aber so unerwartet, daß nicht allein Alles unterblieb, was die Ouvriers hatten unternehmen wollen, sondern, daß auch viele ihre Mutzen abzogen und unter die Hobelbänke war¬ fen. Andere dagegen richteten sich stolz und drohend empor, strichen den verwilderten Bart und brummten wenigstens zwischen den Zähnen. Darin blieben sich alle gleich, daß sie fortarbeiteten, und, ohne sich stören zu lassen, die Fragen des Präsidenten kurz mit Ja oder Nein beantworteten. Der letztere ging in Begleitung des Fabrikherrn, welcher selbst ein eifriger Anhänger Proudhons ist, die Säle mehrmals ans und ab, wagte aber uicht, wie er früher wohl versucht hätte, die Arbeiter durch eine Ol-uio I»-o clomci zu haranguiren. Denn er ist der Mann des leeren Wortes, der größte Phra- seur von der Welt, und wie er selbst nichts weiter ist, als ein wesenloser Schemen, der Abklatsch eiues großen Todten, so steckt auch hinter seinem endlosen Wortgeklin¬ gel, hinter seinen sogenannten napoleonischen Ideen nicht ein Körnlein gesunden Men¬ schenverstandes und geläuterter Staatsklugheit. Mehrere Tage nach dem Präsidenten besuchte auch der ehrwürdige Erzbischof von Paris, Mr. Sybonr, die genannte Fabrik. Der ausgezeichnete, bei allen Klassen der Gesellschaft in der höchsten Achtung stehende Würdenträger, wurde ganz anders empfangen, als das Oberhaupt des Staates. Jeder¬ mann drängte sich zu ihm, um seine Hand oder seinen Ring zu küssen; er dagegen sprach freundlich und liebevoll zu allen Arbeitern, ertheilte ihnen seinen Segen, und ward mit enthusiastischen Lebehochs wieder an seinen Wagen geleitet. Es ist -ein wenig Ostentation in diesen Besuchen der Ateliers, welche jetzt in der Mode sind, und bei Vielen Besuchern weiß der sogenannte gemeine Mann sehr wohl zu unterscheiden, ob sie aus purer Menschenliebe, oder aus irgend welchen egoistischen Nebenabsichten kommen. Die Koketterie der höheren Stände mit dem Ouvrier wird immer augenfälliger, je reißender die Fortschritte der Theorien des Socialismus sind. Und diese find nicht wegzuleugnen. Ganze Phalangen gehen in geschlossenen Gliedern und mit klingendem Spiel zu seinen Fahnen über, und täglich wirbt er neue Anhänger, und zwar, auf¬ fallender Weise, in Paris jetzt viel weniger, wie in den Provinzen. Um nur ein Beispiel anzuführen, so hat das Departement «In Oarä, welches zur vor¬ letzten Nationalversammlung mit ungeheuerer Majorität einen Legitimisten wählte, zur jetzigen mit noch weit größerer den socialistischen Kandidaten gewählt. Ist ja sogar Victor Hugo, der so lauge auf der äußersten Rechten gesessen, plötzlich mit Sack und Pack in's, Lager der Montagnard's übergegangen, i?) Als einer der Cho- ragen der Socialisten macht Emile Girardin, der Redakteur der Presse, jetzt dem Gou¬ vernement am meisten zu schaffen durch eine wüthende, maßlose, nicht immer gerecht¬ fertigte Opposition. Man muß gestehen, daß er ein Champion ist, der seine Sache mit Muth, Ausdauer und Geschicklichkeit zu führen versteht, dem es aber auch durchaus nicht darauf ankommt, ob die Mittel, die er anwendet, um zum Ziele zu gelangen, moralisch oder unmoralisch, gut oder schlecht sind. Er ist ein Mann, wie deren dazu berufen sind, große Rollen in der Politik zu spielen; von unermcßnem Ehrgeiz beseelt, ist er bereit, demselben Alles aufzuopfern, er strebt sichtlich nach der höchsten Gewalt im Staate, und wer weiß, ob er nicht mit der Zeit noch dahin gelangt, denn er besitzt Geist und Verstand, oder vielmehr List und Schlauheit, wie nicht Viele. Eigenthümlich ist sein Verhältniß zu Lamartine. Bekanntlich hat er dessen ehemalige Geliebte, die Dichterin Delphine Gay, geheirathet, und sich durch diese Verbindung zuerst eine Po¬ sition in der Welt geschafft. Er greift ihn daher niemals an, und ihm, der Alle ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/439>, abgerufen am 21.06.2024.