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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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loyale Gesinnung gänzlich vernichtet, und sanguinisch, wie unerfahrene Träumer zu
empfinden pflegen, heften sie ihre Ideale schnell von Oestreich ab, an die Macht
des Nachbars und hoffen von ihm das slavische Eden; kokettiren doch selbst die
demokratischen Wortführer in Kroatien zuweilen mit dem Bild des großen
Slavenfürsten. Wenn Rußland im Süden der save herrscht, wie wird es mög¬
lich sein, die Nordseite des Flusses vor seinen Lockungen zu bewahre"? Schon
gleiten die Wünsche der Urtheilen im östlichen Galizien nach Rußland herüber,
die griechische" Südslaven haben noch stärkern Grund zu derselben Sehnsucht. Es
ist freilich für den Kaiserstaat nicht zu schwer, eine solch unklare Volksbewegung
durch Waffengewalt nieder zu halten, aber der Schaden wird dadurch ein chroni¬
scher. Das gute Einverständniß der beiden kaiserlichen Höfe, die Uneigennützig-
keit des Czars und die Pietät Franz Joseph's werden uns schwerlich über diese
Gefahr hinweghelfen.

Es ist eine ernste, aber fesselnde Thätigkeit, den Prozeß zu beobachten,
dnrch welchen Rußland sich langsam im Süden und Westen ausbreitet, die ent¬
gegenstehenden Felsen fremder Volksindividualitäten zerfressend und in Trümmern
niederwerfend. Kosaken, Tartaren, Tscherkessen und Walachen, die Polen, Fiu-
länder und Ostseeprovinzen. Die nächsten sollen die heldischen Völker sein. --




Ein demokratisches Manifest.



Das Organ der sächsischen Radicalen, die vereinigten Vaterlandsblätter, bringt
ein Manifest des Leipziger Volksvereius über die deutsche Frage, welches charak¬
teristisch genug ist, um hier mit einige" Worten besprochen zu werden. Ich fange
mit der stärksten Pointe an. "Der deutsche Staatenverein, sagen die Schüler
Robert Blum's mit gesperrten Lettern, werde gegründet durch Vereinbarung zwi¬
schen Fürsten und Völkern. -- Daß man zu Anfang der Frankfurter
Versammlung das Volk für souverän erklärte und das Recht der
Fürsten dabei unbeachtet ließ, daran ist die Frankfurter Reichs-
versammlung gescheitert. Mau baue also nicht abermals in die Luft einer
leeren Formel, einer hohlen Redensart, die in der Wirklichkeit keinen
Grund und keine Wahrheit hat!"

Kaum traut man seinen Angen! Also aus dem Saulus ist ein Paulus ge¬
worden! Also habt ihr es endlich eingesehen, daß unsere Partei, die Rechte,
von Anfang an das Zweckmäßige erkannt hat, als sie die Nationalversammlung
zu einer Vereinbarung mit den Fürsten aufforderte; daß sie Recht hatte, als sie
das Stichwort eurer Partei, die Volkssouveränität, für eine leere Formel,


loyale Gesinnung gänzlich vernichtet, und sanguinisch, wie unerfahrene Träumer zu
empfinden pflegen, heften sie ihre Ideale schnell von Oestreich ab, an die Macht
des Nachbars und hoffen von ihm das slavische Eden; kokettiren doch selbst die
demokratischen Wortführer in Kroatien zuweilen mit dem Bild des großen
Slavenfürsten. Wenn Rußland im Süden der save herrscht, wie wird es mög¬
lich sein, die Nordseite des Flusses vor seinen Lockungen zu bewahre»? Schon
gleiten die Wünsche der Urtheilen im östlichen Galizien nach Rußland herüber,
die griechische» Südslaven haben noch stärkern Grund zu derselben Sehnsucht. Es
ist freilich für den Kaiserstaat nicht zu schwer, eine solch unklare Volksbewegung
durch Waffengewalt nieder zu halten, aber der Schaden wird dadurch ein chroni¬
scher. Das gute Einverständniß der beiden kaiserlichen Höfe, die Uneigennützig-
keit des Czars und die Pietät Franz Joseph's werden uns schwerlich über diese
Gefahr hinweghelfen.

Es ist eine ernste, aber fesselnde Thätigkeit, den Prozeß zu beobachten,
dnrch welchen Rußland sich langsam im Süden und Westen ausbreitet, die ent¬
gegenstehenden Felsen fremder Volksindividualitäten zerfressend und in Trümmern
niederwerfend. Kosaken, Tartaren, Tscherkessen und Walachen, die Polen, Fiu-
länder und Ostseeprovinzen. Die nächsten sollen die heldischen Völker sein. —




Ein demokratisches Manifest.



Das Organ der sächsischen Radicalen, die vereinigten Vaterlandsblätter, bringt
ein Manifest des Leipziger Volksvereius über die deutsche Frage, welches charak¬
teristisch genug ist, um hier mit einige» Worten besprochen zu werden. Ich fange
mit der stärksten Pointe an. „Der deutsche Staatenverein, sagen die Schüler
Robert Blum's mit gesperrten Lettern, werde gegründet durch Vereinbarung zwi¬
schen Fürsten und Völkern. — Daß man zu Anfang der Frankfurter
Versammlung das Volk für souverän erklärte und das Recht der
Fürsten dabei unbeachtet ließ, daran ist die Frankfurter Reichs-
versammlung gescheitert. Mau baue also nicht abermals in die Luft einer
leeren Formel, einer hohlen Redensart, die in der Wirklichkeit keinen
Grund und keine Wahrheit hat!"

Kaum traut man seinen Angen! Also aus dem Saulus ist ein Paulus ge¬
worden! Also habt ihr es endlich eingesehen, daß unsere Partei, die Rechte,
von Anfang an das Zweckmäßige erkannt hat, als sie die Nationalversammlung
zu einer Vereinbarung mit den Fürsten aufforderte; daß sie Recht hatte, als sie
das Stichwort eurer Partei, die Volkssouveränität, für eine leere Formel,


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[0434] loyale Gesinnung gänzlich vernichtet, und sanguinisch, wie unerfahrene Träumer zu empfinden pflegen, heften sie ihre Ideale schnell von Oestreich ab, an die Macht des Nachbars und hoffen von ihm das slavische Eden; kokettiren doch selbst die demokratischen Wortführer in Kroatien zuweilen mit dem Bild des großen Slavenfürsten. Wenn Rußland im Süden der save herrscht, wie wird es mög¬ lich sein, die Nordseite des Flusses vor seinen Lockungen zu bewahre»? Schon gleiten die Wünsche der Urtheilen im östlichen Galizien nach Rußland herüber, die griechische» Südslaven haben noch stärkern Grund zu derselben Sehnsucht. Es ist freilich für den Kaiserstaat nicht zu schwer, eine solch unklare Volksbewegung durch Waffengewalt nieder zu halten, aber der Schaden wird dadurch ein chroni¬ scher. Das gute Einverständniß der beiden kaiserlichen Höfe, die Uneigennützig- keit des Czars und die Pietät Franz Joseph's werden uns schwerlich über diese Gefahr hinweghelfen. Es ist eine ernste, aber fesselnde Thätigkeit, den Prozeß zu beobachten, dnrch welchen Rußland sich langsam im Süden und Westen ausbreitet, die ent¬ gegenstehenden Felsen fremder Volksindividualitäten zerfressend und in Trümmern niederwerfend. Kosaken, Tartaren, Tscherkessen und Walachen, die Polen, Fiu- länder und Ostseeprovinzen. Die nächsten sollen die heldischen Völker sein. — Ein demokratisches Manifest. Das Organ der sächsischen Radicalen, die vereinigten Vaterlandsblätter, bringt ein Manifest des Leipziger Volksvereius über die deutsche Frage, welches charak¬ teristisch genug ist, um hier mit einige» Worten besprochen zu werden. Ich fange mit der stärksten Pointe an. „Der deutsche Staatenverein, sagen die Schüler Robert Blum's mit gesperrten Lettern, werde gegründet durch Vereinbarung zwi¬ schen Fürsten und Völkern. — Daß man zu Anfang der Frankfurter Versammlung das Volk für souverän erklärte und das Recht der Fürsten dabei unbeachtet ließ, daran ist die Frankfurter Reichs- versammlung gescheitert. Mau baue also nicht abermals in die Luft einer leeren Formel, einer hohlen Redensart, die in der Wirklichkeit keinen Grund und keine Wahrheit hat!" Kaum traut man seinen Angen! Also aus dem Saulus ist ein Paulus ge¬ worden! Also habt ihr es endlich eingesehen, daß unsere Partei, die Rechte, von Anfang an das Zweckmäßige erkannt hat, als sie die Nationalversammlung zu einer Vereinbarung mit den Fürsten aufforderte; daß sie Recht hatte, als sie das Stichwort eurer Partei, die Volkssouveränität, für eine leere Formel,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/434>, abgerufen am 21.06.2024.