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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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sein Land stehen unter dem "Schutz" Rußlands; das heißt der Czar entscheidet
über die Einsetzung des Vladika, dessen Würde in der Familie der Petrovice erb¬
lich ist, freilich nicht in grader Linie, da der Bischof nicht heirctthen darf; in Pe¬
tersburg wird der Erwählte geweiht, durch die Weihe erst erhält er die Herr¬
schaft; während der Minderjährigkeit des gegenwärtigen Vladika ließ Nußland
durch einen Bevollmächtigten das Land verwalten. Der Präsident des Senats
von Montenegro, ein Vetter des Vladika, war russischer Offizier, der Geheimsecre-
tär des Häuptlings ist ein geborner Nüsse aus einer serbischen Familie; Nußland
gibt zu den Einkünften des kleinen Staats jährlich circa 50,000 Gulden C.-M.,
fast H der Staatseinnahmen u. s. w. Die Abhängigkeit ist so groß, als der Czar
nur wünschen kann, und auf einen Wink von ihm stürzt sich ein Heer von
10,000 dieser Gurgelabschneidcr raublustig auf die Länder in Albanien und Bos¬
nien oder auch auf Dalmatien; denn die Herren der schwarzen Berge leiden an
dem Uebelstand, daß alle ihre Nachbarn ihre erbitterten Feinde sind, und daß von
allen Seiten alljährlich genügende Veranlassung zum Raufen und Blutvergießen
gegeben wird. Das letzte Jahr aber hat sie weder friedlicher noch respectvoller
gegen Oestreich gemacht; und wenn irgendwo, wurzelt dort in den Gemeinden der
rohe Enthusiasmus für ein großes griechisches Slavenreich, dessen Vorkämpfer sie
bis jetzt gegen die Ungläubigen waren. -- So sind die Minen Rußlands durch die
ganze nördliche Türkei gelegt, und warten auf den Kriegsfuuken, der sie explodi-
ren macht. Die Moldau und Walachei in russischer Gewalt, die türkischen Sla¬
venländer in ungeduldiger Erwartung des Kampfes gegen die Türken, und im
Süden Griechenland und die Inseln in knechtischer Abhängigkeit von russischem
Gold und Willen; -- wahrlich die Existenz der Türkei ist noch nie so gefährdet
gewesen. Zu spät versuchen die Engländer durch eine brüske Diversion die russi¬
sche Partei in Griechenland zu demüthigen, und das Ansehn der Pforte und ihrer
Verbündeten zu heben. In der nördlichen Türkei sind die Sachen so weit ge¬
diehen, daß es auch ohne großen Krieg zu einer zerstörenden Gährung kommen
wird, verderblich für das Reich der Gläubigen, und nach menschlicher Berechnung
gibt es keine Kraft mehr, welche die allmälige Ausdehnung der russischen Herr¬
schaft bis zum Meerbusen von Cattaro'hindern konnte.

Und die östreichischen Slavenländer? Der tiefe Groll, welcher die Volkssührer
der letzten Jahre gegen die Regierung und ihre Bevollmächtigten erfüllt, ist durch
die neuen Maßr'egeln des Cabinets nicht vermindert worden. Die Verfolgungen
der südslavischen Presse, die Gefangennahme einzelner "Patrioten", welche pansla¬
vischer Tendenz verdächtig sind und vor Allem das Bestreben der Regieruna, an
die Stelle der wüsten Unordnung und übermüthigen Siegesfreude der Serbe"
einen gesetzlichen Zustand einzuführen und sie den Arm suhlen zu lassen, den sie
vor kurzem noch gestützt haben, das Alles hat in weiten Kreisen die sogenannte


Grenzboten, i. 1850. 54

sein Land stehen unter dem „Schutz" Rußlands; das heißt der Czar entscheidet
über die Einsetzung des Vladika, dessen Würde in der Familie der Petrovice erb¬
lich ist, freilich nicht in grader Linie, da der Bischof nicht heirctthen darf; in Pe¬
tersburg wird der Erwählte geweiht, durch die Weihe erst erhält er die Herr¬
schaft; während der Minderjährigkeit des gegenwärtigen Vladika ließ Nußland
durch einen Bevollmächtigten das Land verwalten. Der Präsident des Senats
von Montenegro, ein Vetter des Vladika, war russischer Offizier, der Geheimsecre-
tär des Häuptlings ist ein geborner Nüsse aus einer serbischen Familie; Nußland
gibt zu den Einkünften des kleinen Staats jährlich circa 50,000 Gulden C.-M.,
fast H der Staatseinnahmen u. s. w. Die Abhängigkeit ist so groß, als der Czar
nur wünschen kann, und auf einen Wink von ihm stürzt sich ein Heer von
10,000 dieser Gurgelabschneidcr raublustig auf die Länder in Albanien und Bos¬
nien oder auch auf Dalmatien; denn die Herren der schwarzen Berge leiden an
dem Uebelstand, daß alle ihre Nachbarn ihre erbitterten Feinde sind, und daß von
allen Seiten alljährlich genügende Veranlassung zum Raufen und Blutvergießen
gegeben wird. Das letzte Jahr aber hat sie weder friedlicher noch respectvoller
gegen Oestreich gemacht; und wenn irgendwo, wurzelt dort in den Gemeinden der
rohe Enthusiasmus für ein großes griechisches Slavenreich, dessen Vorkämpfer sie
bis jetzt gegen die Ungläubigen waren. — So sind die Minen Rußlands durch die
ganze nördliche Türkei gelegt, und warten auf den Kriegsfuuken, der sie explodi-
ren macht. Die Moldau und Walachei in russischer Gewalt, die türkischen Sla¬
venländer in ungeduldiger Erwartung des Kampfes gegen die Türken, und im
Süden Griechenland und die Inseln in knechtischer Abhängigkeit von russischem
Gold und Willen; — wahrlich die Existenz der Türkei ist noch nie so gefährdet
gewesen. Zu spät versuchen die Engländer durch eine brüske Diversion die russi¬
sche Partei in Griechenland zu demüthigen, und das Ansehn der Pforte und ihrer
Verbündeten zu heben. In der nördlichen Türkei sind die Sachen so weit ge¬
diehen, daß es auch ohne großen Krieg zu einer zerstörenden Gährung kommen
wird, verderblich für das Reich der Gläubigen, und nach menschlicher Berechnung
gibt es keine Kraft mehr, welche die allmälige Ausdehnung der russischen Herr¬
schaft bis zum Meerbusen von Cattaro'hindern konnte.

Und die östreichischen Slavenländer? Der tiefe Groll, welcher die Volkssührer
der letzten Jahre gegen die Regierung und ihre Bevollmächtigten erfüllt, ist durch
die neuen Maßr'egeln des Cabinets nicht vermindert worden. Die Verfolgungen
der südslavischen Presse, die Gefangennahme einzelner „Patrioten", welche pansla¬
vischer Tendenz verdächtig sind und vor Allem das Bestreben der Regieruna, an
die Stelle der wüsten Unordnung und übermüthigen Siegesfreude der Serbe»
einen gesetzlichen Zustand einzuführen und sie den Arm suhlen zu lassen, den sie
vor kurzem noch gestützt haben, das Alles hat in weiten Kreisen die sogenannte


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[0433] sein Land stehen unter dem „Schutz" Rußlands; das heißt der Czar entscheidet über die Einsetzung des Vladika, dessen Würde in der Familie der Petrovice erb¬ lich ist, freilich nicht in grader Linie, da der Bischof nicht heirctthen darf; in Pe¬ tersburg wird der Erwählte geweiht, durch die Weihe erst erhält er die Herr¬ schaft; während der Minderjährigkeit des gegenwärtigen Vladika ließ Nußland durch einen Bevollmächtigten das Land verwalten. Der Präsident des Senats von Montenegro, ein Vetter des Vladika, war russischer Offizier, der Geheimsecre- tär des Häuptlings ist ein geborner Nüsse aus einer serbischen Familie; Nußland gibt zu den Einkünften des kleinen Staats jährlich circa 50,000 Gulden C.-M., fast H der Staatseinnahmen u. s. w. Die Abhängigkeit ist so groß, als der Czar nur wünschen kann, und auf einen Wink von ihm stürzt sich ein Heer von 10,000 dieser Gurgelabschneidcr raublustig auf die Länder in Albanien und Bos¬ nien oder auch auf Dalmatien; denn die Herren der schwarzen Berge leiden an dem Uebelstand, daß alle ihre Nachbarn ihre erbitterten Feinde sind, und daß von allen Seiten alljährlich genügende Veranlassung zum Raufen und Blutvergießen gegeben wird. Das letzte Jahr aber hat sie weder friedlicher noch respectvoller gegen Oestreich gemacht; und wenn irgendwo, wurzelt dort in den Gemeinden der rohe Enthusiasmus für ein großes griechisches Slavenreich, dessen Vorkämpfer sie bis jetzt gegen die Ungläubigen waren. — So sind die Minen Rußlands durch die ganze nördliche Türkei gelegt, und warten auf den Kriegsfuuken, der sie explodi- ren macht. Die Moldau und Walachei in russischer Gewalt, die türkischen Sla¬ venländer in ungeduldiger Erwartung des Kampfes gegen die Türken, und im Süden Griechenland und die Inseln in knechtischer Abhängigkeit von russischem Gold und Willen; — wahrlich die Existenz der Türkei ist noch nie so gefährdet gewesen. Zu spät versuchen die Engländer durch eine brüske Diversion die russi¬ sche Partei in Griechenland zu demüthigen, und das Ansehn der Pforte und ihrer Verbündeten zu heben. In der nördlichen Türkei sind die Sachen so weit ge¬ diehen, daß es auch ohne großen Krieg zu einer zerstörenden Gährung kommen wird, verderblich für das Reich der Gläubigen, und nach menschlicher Berechnung gibt es keine Kraft mehr, welche die allmälige Ausdehnung der russischen Herr¬ schaft bis zum Meerbusen von Cattaro'hindern konnte. Und die östreichischen Slavenländer? Der tiefe Groll, welcher die Volkssührer der letzten Jahre gegen die Regierung und ihre Bevollmächtigten erfüllt, ist durch die neuen Maßr'egeln des Cabinets nicht vermindert worden. Die Verfolgungen der südslavischen Presse, die Gefangennahme einzelner „Patrioten", welche pansla¬ vischer Tendenz verdächtig sind und vor Allem das Bestreben der Regieruna, an die Stelle der wüsten Unordnung und übermüthigen Siegesfreude der Serbe» einen gesetzlichen Zustand einzuführen und sie den Arm suhlen zu lassen, den sie vor kurzem noch gestützt haben, das Alles hat in weiten Kreisen die sogenannte Grenzboten, i. 1850. 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/433>, abgerufen am 21.06.2024.