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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Das Jahr, welches wir begonnen haben, wird die veränderte Stimmung in
den südslavischen Gebiete" ans sehr unerfreuliche Weise zu Tage bringen; der
Ausbruch aber wird nicht bei uns im Norden der save, sondern auf türkischem
Gebiet stattfinden. Ich bitte Ihre Leser, schnell einen Blick auf die Stellung
Oestreichs zu der Türkei zu werfen.

Als das Jahr 1848 außer vielen andern Träumen in östreichischen Patrioten
auch den Wunsch rege machte, die Aufwallungen der Volkskraft zu einer Arron-
dirung der südlichen Grenze des Staates zu benutzen, war dieser Wunsch weder
unverständig noch unausführbar, denn für den Kaiserstaat und seine jetzigen Gren¬
zen sind die slavischen Greuzkönigreiche in ihrem gegenwärtigen Bestand mehr eine
nothwendige Last, als ein wirklicher Vortheil. Wohl sichert Dalmatien den Besitz
des adriatischen Meeres, aber so lange eine russische Hand von den Höhen hinter
Cattaro Steine ans Montenegro bis in das Meer zu werfen vermag, ist dies Ei¬
genthum eine sehr unsichere Schutzmauer; und ebenso hören die Königreiche an der
save aus, eine sichere Soldatengrenze zu sein, sobald der Russe statt des Türken
im Süden der save herrscht. Wenn es dagegen gelang, Serbien, Bosnien und
die Herzegowina an die stammverwandten Grenzländer allmälig und ohne Kampf
heranzuziehen, so war die Herrschaft Oestreichs in dem untern Donaugebiet ge¬
sichert und dem Vordringen Rußlands ein Ziel gesteckt. Die Zukunft des Kaiser¬
staates erhielt dadurch Garantien für die Entwickelung seiner Industrie und seines
Handels, und durch diese für sein Bestehen, welche ihm jetzt leider nur zu sehr
fehlen. Freilich setzte eine solche Vermehrung des Gebietes eine föderalistische Or¬
ganisation der außerdeutschen Gebiete Oestreichs voraus. Seit dem Herbst 1848
konnte von diesem Plane nicht mehr die Rede sein, ist er doch östreichischen Staats¬
männern nie etwas Anderes gewesen, als eine Phantasie. Seit jener Zeit ist die
östreichische Politik gegen Osten wieder geworden, wie sie in den letzten 35
Jahren gewesen war, furchtsam bemüht sich das Vorhandene zu conserviren, jede
weitere Erwerbung aber abwehrend. Und wie die Sachen jetzt stehen, bei der
Confusion, in welche die Finanzen des Staats und vie Stimmungen der Völker
gekommen sind, wäre es fast abgeschmackt, wenn die Regierung daran denken
wollte, ihren Bestand durch Vergrößerung zu sichern, ihr selbst fehlen die Kräfte
und bei den Südslaven hat sie die Meinung verloren.

Außerdem ist die Politik des jetzigen Cabinets, Nußland gegenüber, eine so
unsichere, und die Persönlichkeiten, von denen das Schicksal des Kaiserstacits ab¬
hängt, sind in dieser Beziehung selbst so unsicher, daß Nußland bei seinen Plänen
von seinem natürlichen Gegner Oestreich offiziell eher selbstmörderische Förderung,
als Opposition zu erwarten hat. Dagegen hat Rußland während des letzten Jah¬
res in der Türkei reißende Fortschritte gemacht. Es hat die Moldau und Wa¬
lachei in Besitz genommen, und mit bewundernswerther Schlauheit in Serbien,
Bosnien und den Gebirgen der Herzegowina, wie in Griechenland, seinen Einfluß


Das Jahr, welches wir begonnen haben, wird die veränderte Stimmung in
den südslavischen Gebiete» ans sehr unerfreuliche Weise zu Tage bringen; der
Ausbruch aber wird nicht bei uns im Norden der save, sondern auf türkischem
Gebiet stattfinden. Ich bitte Ihre Leser, schnell einen Blick auf die Stellung
Oestreichs zu der Türkei zu werfen.

Als das Jahr 1848 außer vielen andern Träumen in östreichischen Patrioten
auch den Wunsch rege machte, die Aufwallungen der Volkskraft zu einer Arron-
dirung der südlichen Grenze des Staates zu benutzen, war dieser Wunsch weder
unverständig noch unausführbar, denn für den Kaiserstaat und seine jetzigen Gren¬
zen sind die slavischen Greuzkönigreiche in ihrem gegenwärtigen Bestand mehr eine
nothwendige Last, als ein wirklicher Vortheil. Wohl sichert Dalmatien den Besitz
des adriatischen Meeres, aber so lange eine russische Hand von den Höhen hinter
Cattaro Steine ans Montenegro bis in das Meer zu werfen vermag, ist dies Ei¬
genthum eine sehr unsichere Schutzmauer; und ebenso hören die Königreiche an der
save aus, eine sichere Soldatengrenze zu sein, sobald der Russe statt des Türken
im Süden der save herrscht. Wenn es dagegen gelang, Serbien, Bosnien und
die Herzegowina an die stammverwandten Grenzländer allmälig und ohne Kampf
heranzuziehen, so war die Herrschaft Oestreichs in dem untern Donaugebiet ge¬
sichert und dem Vordringen Rußlands ein Ziel gesteckt. Die Zukunft des Kaiser¬
staates erhielt dadurch Garantien für die Entwickelung seiner Industrie und seines
Handels, und durch diese für sein Bestehen, welche ihm jetzt leider nur zu sehr
fehlen. Freilich setzte eine solche Vermehrung des Gebietes eine föderalistische Or¬
ganisation der außerdeutschen Gebiete Oestreichs voraus. Seit dem Herbst 1848
konnte von diesem Plane nicht mehr die Rede sein, ist er doch östreichischen Staats¬
männern nie etwas Anderes gewesen, als eine Phantasie. Seit jener Zeit ist die
östreichische Politik gegen Osten wieder geworden, wie sie in den letzten 35
Jahren gewesen war, furchtsam bemüht sich das Vorhandene zu conserviren, jede
weitere Erwerbung aber abwehrend. Und wie die Sachen jetzt stehen, bei der
Confusion, in welche die Finanzen des Staats und vie Stimmungen der Völker
gekommen sind, wäre es fast abgeschmackt, wenn die Regierung daran denken
wollte, ihren Bestand durch Vergrößerung zu sichern, ihr selbst fehlen die Kräfte
und bei den Südslaven hat sie die Meinung verloren.

Außerdem ist die Politik des jetzigen Cabinets, Nußland gegenüber, eine so
unsichere, und die Persönlichkeiten, von denen das Schicksal des Kaiserstacits ab¬
hängt, sind in dieser Beziehung selbst so unsicher, daß Nußland bei seinen Plänen
von seinem natürlichen Gegner Oestreich offiziell eher selbstmörderische Förderung,
als Opposition zu erwarten hat. Dagegen hat Rußland während des letzten Jah¬
res in der Türkei reißende Fortschritte gemacht. Es hat die Moldau und Wa¬
lachei in Besitz genommen, und mit bewundernswerther Schlauheit in Serbien,
Bosnien und den Gebirgen der Herzegowina, wie in Griechenland, seinen Einfluß


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[0430] Das Jahr, welches wir begonnen haben, wird die veränderte Stimmung in den südslavischen Gebiete» ans sehr unerfreuliche Weise zu Tage bringen; der Ausbruch aber wird nicht bei uns im Norden der save, sondern auf türkischem Gebiet stattfinden. Ich bitte Ihre Leser, schnell einen Blick auf die Stellung Oestreichs zu der Türkei zu werfen. Als das Jahr 1848 außer vielen andern Träumen in östreichischen Patrioten auch den Wunsch rege machte, die Aufwallungen der Volkskraft zu einer Arron- dirung der südlichen Grenze des Staates zu benutzen, war dieser Wunsch weder unverständig noch unausführbar, denn für den Kaiserstaat und seine jetzigen Gren¬ zen sind die slavischen Greuzkönigreiche in ihrem gegenwärtigen Bestand mehr eine nothwendige Last, als ein wirklicher Vortheil. Wohl sichert Dalmatien den Besitz des adriatischen Meeres, aber so lange eine russische Hand von den Höhen hinter Cattaro Steine ans Montenegro bis in das Meer zu werfen vermag, ist dies Ei¬ genthum eine sehr unsichere Schutzmauer; und ebenso hören die Königreiche an der save aus, eine sichere Soldatengrenze zu sein, sobald der Russe statt des Türken im Süden der save herrscht. Wenn es dagegen gelang, Serbien, Bosnien und die Herzegowina an die stammverwandten Grenzländer allmälig und ohne Kampf heranzuziehen, so war die Herrschaft Oestreichs in dem untern Donaugebiet ge¬ sichert und dem Vordringen Rußlands ein Ziel gesteckt. Die Zukunft des Kaiser¬ staates erhielt dadurch Garantien für die Entwickelung seiner Industrie und seines Handels, und durch diese für sein Bestehen, welche ihm jetzt leider nur zu sehr fehlen. Freilich setzte eine solche Vermehrung des Gebietes eine föderalistische Or¬ ganisation der außerdeutschen Gebiete Oestreichs voraus. Seit dem Herbst 1848 konnte von diesem Plane nicht mehr die Rede sein, ist er doch östreichischen Staats¬ männern nie etwas Anderes gewesen, als eine Phantasie. Seit jener Zeit ist die östreichische Politik gegen Osten wieder geworden, wie sie in den letzten 35 Jahren gewesen war, furchtsam bemüht sich das Vorhandene zu conserviren, jede weitere Erwerbung aber abwehrend. Und wie die Sachen jetzt stehen, bei der Confusion, in welche die Finanzen des Staats und vie Stimmungen der Völker gekommen sind, wäre es fast abgeschmackt, wenn die Regierung daran denken wollte, ihren Bestand durch Vergrößerung zu sichern, ihr selbst fehlen die Kräfte und bei den Südslaven hat sie die Meinung verloren. Außerdem ist die Politik des jetzigen Cabinets, Nußland gegenüber, eine so unsichere, und die Persönlichkeiten, von denen das Schicksal des Kaiserstacits ab¬ hängt, sind in dieser Beziehung selbst so unsicher, daß Nußland bei seinen Plänen von seinem natürlichen Gegner Oestreich offiziell eher selbstmörderische Förderung, als Opposition zu erwarten hat. Dagegen hat Rußland während des letzten Jah¬ res in der Türkei reißende Fortschritte gemacht. Es hat die Moldau und Wa¬ lachei in Besitz genommen, und mit bewundernswerther Schlauheit in Serbien, Bosnien und den Gebirgen der Herzegowina, wie in Griechenland, seinen Einfluß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/430>, abgerufen am 21.06.2024.