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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Der Czar und die türkischen Südslaven.



Das Wasser der weißen save, dessen helle Farbe im Sommer die Freude
unserer arvalischen Grenzposten ist, stürzt jetzt trüb und schmutzig in ungeheuern
Massen dem Strombett der Donau zu, welche rasend hinabrollt in das russische
Meer, den Rand ihrer Ufer zerreißend und hier und da die Ebene mit ihrer todten
Lehmfarbe bedeckend. Zornig und zerstörend eilen die Fluthen dahin, ein wüstes
Nachspiel des völkerzerstörenden Kampfes, welcher in den letzten Jahren um sie
herum tobte. Das weiße Leichentuch ist von den Thalebenen im Banat und der
untern Donau geschwunden, der Jammer, welcher hier herrscht, die verkohlten Brand¬
stätten, Vie zerstampften Aecker sind um so sichtbarer geworden. Wer menschliches
Elend sehen will, schamlos und massenhaft, wie irgend sonst, der komme hierher
in die Gegenden, wo der Bürgerkrieg dnrch zwei Jahre vernichtet hat. Es sind
nicht die erschlagenen, sondern die verdorbenen Menschen, welche er zumeist bekla¬
gen wird, die Verwilderung und Rnchlostgkeit, welche in die Seelen der Ueberle¬
benden gekommen ist. Alles ist hier zerstört, was von Keimen eines Staatslebens
vorhanden war, die Furcht vor dem Gesetz und jede Pietät gegen die Regierung.
Wie unvollkommen auch vor dem Jahre 1848 die östreichische Verwaltung und
Rechtspflege in unserer Gegend waren, sie existirten doch, und der hündische Sinn
des Walachen, der beschränkte Egoismus des deutschen Kolonisten und die rohe
Abenteuerlichkeit des Serben wie der Stolz deö Magyaren mußten sich, wenn auch
widerwillig, beugen vor dem Gesetz, welches der "schwäbische" Kaiser und sein Pa-
latinus beschützten; und wie sehr auch die einzelnen Stämme einander haßten und
verfolgten, zu dem goldnen Stuhle des fernen Herrschers sahen sie Alle andächtig
ans. Das ist jetzt ganz anders geworden. Als die Furie des Racenhasses ent¬
fesselt war, haben die Feinde, Serben wie Magyaren, den Thron in Wien wanken
gesehen und selbst sie haben deutlich gemerkt, daß die Fänge des Adlers, der seine
Häupter drohend nach dem schwarzen und Mittelmeer streckt, nicht stark genug
waren, sie festzuhalten. Aber noch mehr; wie ein Beschwörer, der den Teufel zu
bändigen versteht, stieg das Bild des russischen Czaren in ihrer Seele auf, des
griechischen Kirchenfürsten, dieses Slavengottes, der von seinem kalten Sitze aus
die Schicksale aller Völker regiert, auch die ihrigen. Kaiser Nicolaus hat im
Jahre l849 die Phantasie aller östlichen Slaven mit dem Glanz seiner Herrlich¬
keit und Stärke erfüllt und als Bundesgenosse Oestreichs mehr Terrain im Reiche
der Habsburger erobert, wie er als Feind hätte gewinnen können. Noch andere
Leute als General Knikanin sehen ans ihre russischen Orden mit größerem Stolz,
als auf die östreichischen.


Der Czar und die türkischen Südslaven.



Das Wasser der weißen save, dessen helle Farbe im Sommer die Freude
unserer arvalischen Grenzposten ist, stürzt jetzt trüb und schmutzig in ungeheuern
Massen dem Strombett der Donau zu, welche rasend hinabrollt in das russische
Meer, den Rand ihrer Ufer zerreißend und hier und da die Ebene mit ihrer todten
Lehmfarbe bedeckend. Zornig und zerstörend eilen die Fluthen dahin, ein wüstes
Nachspiel des völkerzerstörenden Kampfes, welcher in den letzten Jahren um sie
herum tobte. Das weiße Leichentuch ist von den Thalebenen im Banat und der
untern Donau geschwunden, der Jammer, welcher hier herrscht, die verkohlten Brand¬
stätten, Vie zerstampften Aecker sind um so sichtbarer geworden. Wer menschliches
Elend sehen will, schamlos und massenhaft, wie irgend sonst, der komme hierher
in die Gegenden, wo der Bürgerkrieg dnrch zwei Jahre vernichtet hat. Es sind
nicht die erschlagenen, sondern die verdorbenen Menschen, welche er zumeist bekla¬
gen wird, die Verwilderung und Rnchlostgkeit, welche in die Seelen der Ueberle¬
benden gekommen ist. Alles ist hier zerstört, was von Keimen eines Staatslebens
vorhanden war, die Furcht vor dem Gesetz und jede Pietät gegen die Regierung.
Wie unvollkommen auch vor dem Jahre 1848 die östreichische Verwaltung und
Rechtspflege in unserer Gegend waren, sie existirten doch, und der hündische Sinn
des Walachen, der beschränkte Egoismus des deutschen Kolonisten und die rohe
Abenteuerlichkeit des Serben wie der Stolz deö Magyaren mußten sich, wenn auch
widerwillig, beugen vor dem Gesetz, welches der „schwäbische" Kaiser und sein Pa-
latinus beschützten; und wie sehr auch die einzelnen Stämme einander haßten und
verfolgten, zu dem goldnen Stuhle des fernen Herrschers sahen sie Alle andächtig
ans. Das ist jetzt ganz anders geworden. Als die Furie des Racenhasses ent¬
fesselt war, haben die Feinde, Serben wie Magyaren, den Thron in Wien wanken
gesehen und selbst sie haben deutlich gemerkt, daß die Fänge des Adlers, der seine
Häupter drohend nach dem schwarzen und Mittelmeer streckt, nicht stark genug
waren, sie festzuhalten. Aber noch mehr; wie ein Beschwörer, der den Teufel zu
bändigen versteht, stieg das Bild des russischen Czaren in ihrer Seele auf, des
griechischen Kirchenfürsten, dieses Slavengottes, der von seinem kalten Sitze aus
die Schicksale aller Völker regiert, auch die ihrigen. Kaiser Nicolaus hat im
Jahre l849 die Phantasie aller östlichen Slaven mit dem Glanz seiner Herrlich¬
keit und Stärke erfüllt und als Bundesgenosse Oestreichs mehr Terrain im Reiche
der Habsburger erobert, wie er als Feind hätte gewinnen können. Noch andere
Leute als General Knikanin sehen ans ihre russischen Orden mit größerem Stolz,
als auf die östreichischen.


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[0429] Der Czar und die türkischen Südslaven. Das Wasser der weißen save, dessen helle Farbe im Sommer die Freude unserer arvalischen Grenzposten ist, stürzt jetzt trüb und schmutzig in ungeheuern Massen dem Strombett der Donau zu, welche rasend hinabrollt in das russische Meer, den Rand ihrer Ufer zerreißend und hier und da die Ebene mit ihrer todten Lehmfarbe bedeckend. Zornig und zerstörend eilen die Fluthen dahin, ein wüstes Nachspiel des völkerzerstörenden Kampfes, welcher in den letzten Jahren um sie herum tobte. Das weiße Leichentuch ist von den Thalebenen im Banat und der untern Donau geschwunden, der Jammer, welcher hier herrscht, die verkohlten Brand¬ stätten, Vie zerstampften Aecker sind um so sichtbarer geworden. Wer menschliches Elend sehen will, schamlos und massenhaft, wie irgend sonst, der komme hierher in die Gegenden, wo der Bürgerkrieg dnrch zwei Jahre vernichtet hat. Es sind nicht die erschlagenen, sondern die verdorbenen Menschen, welche er zumeist bekla¬ gen wird, die Verwilderung und Rnchlostgkeit, welche in die Seelen der Ueberle¬ benden gekommen ist. Alles ist hier zerstört, was von Keimen eines Staatslebens vorhanden war, die Furcht vor dem Gesetz und jede Pietät gegen die Regierung. Wie unvollkommen auch vor dem Jahre 1848 die östreichische Verwaltung und Rechtspflege in unserer Gegend waren, sie existirten doch, und der hündische Sinn des Walachen, der beschränkte Egoismus des deutschen Kolonisten und die rohe Abenteuerlichkeit des Serben wie der Stolz deö Magyaren mußten sich, wenn auch widerwillig, beugen vor dem Gesetz, welches der „schwäbische" Kaiser und sein Pa- latinus beschützten; und wie sehr auch die einzelnen Stämme einander haßten und verfolgten, zu dem goldnen Stuhle des fernen Herrschers sahen sie Alle andächtig ans. Das ist jetzt ganz anders geworden. Als die Furie des Racenhasses ent¬ fesselt war, haben die Feinde, Serben wie Magyaren, den Thron in Wien wanken gesehen und selbst sie haben deutlich gemerkt, daß die Fänge des Adlers, der seine Häupter drohend nach dem schwarzen und Mittelmeer streckt, nicht stark genug waren, sie festzuhalten. Aber noch mehr; wie ein Beschwörer, der den Teufel zu bändigen versteht, stieg das Bild des russischen Czaren in ihrer Seele auf, des griechischen Kirchenfürsten, dieses Slavengottes, der von seinem kalten Sitze aus die Schicksale aller Völker regiert, auch die ihrigen. Kaiser Nicolaus hat im Jahre l849 die Phantasie aller östlichen Slaven mit dem Glanz seiner Herrlich¬ keit und Stärke erfüllt und als Bundesgenosse Oestreichs mehr Terrain im Reiche der Habsburger erobert, wie er als Feind hätte gewinnen können. Noch andere Leute als General Knikanin sehen ans ihre russischen Orden mit größerem Stolz, als auf die östreichischen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/429>, abgerufen am 21.06.2024.