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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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kreis -- wie z. B. die Empfehlung der Schäferschen Demarkationslinie in Posen,
wÄ man meinen sollte, der abzutrennende Theil des Großherzogthums solle gegen
Preußen in ein fremdes, militärisches, feindliches Verhältniß treten, und das in
ewer Zeit, wo man über diese Fictionen schon längst hinaus war. Die Reden athmen
auch nie die Muth einer edlen Ueberzeugung, sie verletzen nie, aber aus demsel¬
ben Grund erwärmen sie auch nicht, denn was den Haß mit Aengstlichkeit ver¬
meidet, wird auch keine Liebe erregen. Sie machten stets den Eindruck, der Red¬
ner sei ein geistvoller Mann, der mehr zurückhalte, als er ausgebe: für einen
Diplomaten der alten Zeit eine Empfehlung, nicht so für einen Staatsmann der
neuen. Radowitz hat weder gewußt, die wohlgesinnte Partei der Versammlung
zu leiten dazu war er theils zu isolirt, theils wieder zu befangen in den all¬
gemeinen Voraussetzungen; er hat aber auch, und das ist ein schlimmerer Vor¬
wurf, nichts gethan, um sie mit den Regierungen in einen wesentlichen Rapport
zu setzen. -- Er und diejenigen, die ihm ähnlich waren, haben freilich das Ver¬
dienst, die Versammlung, welche ursprünglich ein Hebel gegen das Bestehende sein
sollte, zu einer Schutzwehr für das Bestehende gemacht zu haben; aber sie haben
auch die Schuld, daß aus ihr für die neue Organisation keine Frucht hervorging.

Radowitz' nachmärzliche Wirksamkeit ist vor Aller Augen. Ob er bei dem
wichtigsten Schritt Preußens, der Ablehnung der Kaiserwürde mitgewirkt hat,
weiß ich nicht, ich glaube es auch nicht. Der Schritt war für ihn zu bestimmt.
In dem Abschluß der Maibüuduisse hat er den Diplomaten mit einer solchen Fein¬
heit gespielt, daß er sich von aller Welt hat dupiren lassen, sogar von Sachsen
und Hannover. Seine Vertheidigungsrede in der zweiten Kammer hat großen
Beifall gefunden, weil er die Stichwörter des Tages, z. B. die Verachtung gegen
den alten Bundestag, redlich darin verwerthete, und weil er sanguinische Hoffnun¬
gen äußerte, während sein College in der ersten Kammer, Bülow, mit preußi¬
scher Ehrlichkeit gerade heraussagte, daß die Sache schlimm stehe. -- Als er aber
im Interim jenen Beschluß in der mecklenburgischen Angelegenheit sanctionüte, der
das Dreikönigsbündniß im Princip vollkommen aushob, als er gegen seine eigene
Schöpfung intriguirte, da konnte die deutsche Partei sich nicht länger verhehlen,
wie es mit den Hoffnungen sei, die man auf diesen Mann gesetzt hatte. -- Frei¬
lich hat er es nicht aus Uebermuth gethan, er hat in höherem Auftrage gehan¬
delt. Aber das ist es eben. Er glaubt zu schieben, und er wird geschoben.

Seine Stellung zur ultramontanen Partei hat er verwirkt; mit Recht. Er
hat nur mit ihr coquettirt. Um ultramontan zu denken, muß man entweder ein
wirklicher Fanatiker sein, oder ein blastrter Parcidoxenjäger, wie der Herr von
Lassaulx, der aus Langeweile auf den Gedanken gekommen ist, einen slavischen
Messias zu prophezeihen; oder reale Interessen haben. Für Radowitz ist der dunkle
Hintergrund der altkatholischen Kirche nur ein Relief. Als er in der Rede über
Posen damit anfing: "wäre hier das Interesse meiner Kirche im Spiel, so würde


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kreis — wie z. B. die Empfehlung der Schäferschen Demarkationslinie in Posen,
wÄ man meinen sollte, der abzutrennende Theil des Großherzogthums solle gegen
Preußen in ein fremdes, militärisches, feindliches Verhältniß treten, und das in
ewer Zeit, wo man über diese Fictionen schon längst hinaus war. Die Reden athmen
auch nie die Muth einer edlen Ueberzeugung, sie verletzen nie, aber aus demsel¬
ben Grund erwärmen sie auch nicht, denn was den Haß mit Aengstlichkeit ver¬
meidet, wird auch keine Liebe erregen. Sie machten stets den Eindruck, der Red¬
ner sei ein geistvoller Mann, der mehr zurückhalte, als er ausgebe: für einen
Diplomaten der alten Zeit eine Empfehlung, nicht so für einen Staatsmann der
neuen. Radowitz hat weder gewußt, die wohlgesinnte Partei der Versammlung
zu leiten dazu war er theils zu isolirt, theils wieder zu befangen in den all¬
gemeinen Voraussetzungen; er hat aber auch, und das ist ein schlimmerer Vor¬
wurf, nichts gethan, um sie mit den Regierungen in einen wesentlichen Rapport
zu setzen. — Er und diejenigen, die ihm ähnlich waren, haben freilich das Ver¬
dienst, die Versammlung, welche ursprünglich ein Hebel gegen das Bestehende sein
sollte, zu einer Schutzwehr für das Bestehende gemacht zu haben; aber sie haben
auch die Schuld, daß aus ihr für die neue Organisation keine Frucht hervorging.

Radowitz' nachmärzliche Wirksamkeit ist vor Aller Augen. Ob er bei dem
wichtigsten Schritt Preußens, der Ablehnung der Kaiserwürde mitgewirkt hat,
weiß ich nicht, ich glaube es auch nicht. Der Schritt war für ihn zu bestimmt.
In dem Abschluß der Maibüuduisse hat er den Diplomaten mit einer solchen Fein¬
heit gespielt, daß er sich von aller Welt hat dupiren lassen, sogar von Sachsen
und Hannover. Seine Vertheidigungsrede in der zweiten Kammer hat großen
Beifall gefunden, weil er die Stichwörter des Tages, z. B. die Verachtung gegen
den alten Bundestag, redlich darin verwerthete, und weil er sanguinische Hoffnun¬
gen äußerte, während sein College in der ersten Kammer, Bülow, mit preußi¬
scher Ehrlichkeit gerade heraussagte, daß die Sache schlimm stehe. — Als er aber
im Interim jenen Beschluß in der mecklenburgischen Angelegenheit sanctionüte, der
das Dreikönigsbündniß im Princip vollkommen aushob, als er gegen seine eigene
Schöpfung intriguirte, da konnte die deutsche Partei sich nicht länger verhehlen,
wie es mit den Hoffnungen sei, die man auf diesen Mann gesetzt hatte. — Frei¬
lich hat er es nicht aus Uebermuth gethan, er hat in höherem Auftrage gehan¬
delt. Aber das ist es eben. Er glaubt zu schieben, und er wird geschoben.

Seine Stellung zur ultramontanen Partei hat er verwirkt; mit Recht. Er
hat nur mit ihr coquettirt. Um ultramontan zu denken, muß man entweder ein
wirklicher Fanatiker sein, oder ein blastrter Parcidoxenjäger, wie der Herr von
Lassaulx, der aus Langeweile auf den Gedanken gekommen ist, einen slavischen
Messias zu prophezeihen; oder reale Interessen haben. Für Radowitz ist der dunkle
Hintergrund der altkatholischen Kirche nur ein Relief. Als er in der Rede über
Posen damit anfing: „wäre hier das Interesse meiner Kirche im Spiel, so würde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/419>, abgerufen am 21.06.2024.