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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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ich alle andern Rücksichten hintansetzen," war das nur eine Redefigur, um Anflehn
zu erregen. So verkehrt denkt keiner der modernen Jesuiten, geschweige ein gebil¬
deter Manu. Aber Radvwitz denkt wie Prinz Heinrich: seine Sonne soll durch
romantische Wolken um so imponirender leuchten. -- Es ist nicht einmal der aus
der Reflexion hervorgegangene Haß, wie er z. B. bei Herrn v. Montalembert
ganz dieselben Erscheinungen hervorruft, die man sonst nur beim Fanatismus fin¬
det; es ist die Tändelei eines feingebildeten Dilettanten, den es freut, daß er
Sinn hat für Dinge, die "Caviar sind für's Volk." Er hat eine Jcouographie
der Heiligen geschrieben, wie er später die Rebus des Mittelalters herausgegeben
hat; man hat nicht verfehlt, auch dabei sich vor dem neuen Loyala zu entsetzen,
es war aber nichts, als eine ästhetische Spielerei.

Daß die Kreuzzeitung ihn jetzt mit Gagern und Schlosse! so ziemlich auf
einen Punkt stellt, ist nicht zu verwundern. Die Gerlach n. s. w. sind in ihrer
Vorliebe sür Oestreich sehr bestimmt; Oestreich hat mehr Radicale hängen lassen,
als Preußen, also muß Preußen den Kaiserstaat zum Vorbild nehmen und ihm
in alleu Dingen den Willen thun. Eine solche Partei läßt sich in Zeiten der
Noth wohl einen geistreichen Mann gefallen, wenn er aus anderm Wege zu ähnlichen
Resultaten kommt -- wie die altkirchliche Partei sich den Hegel gefallen ließ --
sobald aber ihre Fluth im Steigen ist, entfernt sie deu zweideutigen Bundesge¬
nosse" mit einem Fußtritt. Ein Manu, der sich soweit in die Ideen der Revo¬
lution eingelassen hat, daß er einmal erklärte, in Schleswig dürfe man kein Dorf
den Fremden herausgeben, kann von der siegreichen Reaction nicht geduldet werden.

Die altpreußische Bureaukratie kaun mit einem Katholiken, einem Romantiker
nicht lange Hand in Hand gehen; unsre Partei muß endlich erkennen, daß seiue
Wege nicht die'ihrigen sind. Was bleibt ihm? -- der König.

Gegen diesen ist er in der unangenehmen Lage, daß er von ihm abhängig
ist. Er wird weder -- wie die Arnim u. s. w. -- durch eine freie, äußerliche
Stellung, noch wie die Gerlach u. f. w. durch eine fanatische Ueberzeugung ge¬
tragen. Er wird dem geistreichen Mann eine geistreiche Charade bleiben, mit der
man sich in Mußestunden gern beschäftigt; er wird vielleicht noch einmal Minister,
wenn er den Muth hat, ans seinem unbetheiligten Dilettantismus herauszutreten,
was ich übrigens bezweifle, aber er wird dem Staat Friedrichs des Großen keine
neue Richtung geben. Sich zu der Rolle eines Genz zu degradiren, dazu ist er
zu stolz.




ich alle andern Rücksichten hintansetzen," war das nur eine Redefigur, um Anflehn
zu erregen. So verkehrt denkt keiner der modernen Jesuiten, geschweige ein gebil¬
deter Manu. Aber Radvwitz denkt wie Prinz Heinrich: seine Sonne soll durch
romantische Wolken um so imponirender leuchten. — Es ist nicht einmal der aus
der Reflexion hervorgegangene Haß, wie er z. B. bei Herrn v. Montalembert
ganz dieselben Erscheinungen hervorruft, die man sonst nur beim Fanatismus fin¬
det; es ist die Tändelei eines feingebildeten Dilettanten, den es freut, daß er
Sinn hat für Dinge, die „Caviar sind für's Volk." Er hat eine Jcouographie
der Heiligen geschrieben, wie er später die Rebus des Mittelalters herausgegeben
hat; man hat nicht verfehlt, auch dabei sich vor dem neuen Loyala zu entsetzen,
es war aber nichts, als eine ästhetische Spielerei.

Daß die Kreuzzeitung ihn jetzt mit Gagern und Schlosse! so ziemlich auf
einen Punkt stellt, ist nicht zu verwundern. Die Gerlach n. s. w. sind in ihrer
Vorliebe sür Oestreich sehr bestimmt; Oestreich hat mehr Radicale hängen lassen,
als Preußen, also muß Preußen den Kaiserstaat zum Vorbild nehmen und ihm
in alleu Dingen den Willen thun. Eine solche Partei läßt sich in Zeiten der
Noth wohl einen geistreichen Mann gefallen, wenn er aus anderm Wege zu ähnlichen
Resultaten kommt — wie die altkirchliche Partei sich den Hegel gefallen ließ —
sobald aber ihre Fluth im Steigen ist, entfernt sie deu zweideutigen Bundesge¬
nosse» mit einem Fußtritt. Ein Manu, der sich soweit in die Ideen der Revo¬
lution eingelassen hat, daß er einmal erklärte, in Schleswig dürfe man kein Dorf
den Fremden herausgeben, kann von der siegreichen Reaction nicht geduldet werden.

Die altpreußische Bureaukratie kaun mit einem Katholiken, einem Romantiker
nicht lange Hand in Hand gehen; unsre Partei muß endlich erkennen, daß seiue
Wege nicht die'ihrigen sind. Was bleibt ihm? — der König.

Gegen diesen ist er in der unangenehmen Lage, daß er von ihm abhängig
ist. Er wird weder — wie die Arnim u. s. w. — durch eine freie, äußerliche
Stellung, noch wie die Gerlach u. f. w. durch eine fanatische Ueberzeugung ge¬
tragen. Er wird dem geistreichen Mann eine geistreiche Charade bleiben, mit der
man sich in Mußestunden gern beschäftigt; er wird vielleicht noch einmal Minister,
wenn er den Muth hat, ans seinem unbetheiligten Dilettantismus herauszutreten,
was ich übrigens bezweifle, aber er wird dem Staat Friedrichs des Großen keine
neue Richtung geben. Sich zu der Rolle eines Genz zu degradiren, dazu ist er
zu stolz.




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[0420] ich alle andern Rücksichten hintansetzen," war das nur eine Redefigur, um Anflehn zu erregen. So verkehrt denkt keiner der modernen Jesuiten, geschweige ein gebil¬ deter Manu. Aber Radvwitz denkt wie Prinz Heinrich: seine Sonne soll durch romantische Wolken um so imponirender leuchten. — Es ist nicht einmal der aus der Reflexion hervorgegangene Haß, wie er z. B. bei Herrn v. Montalembert ganz dieselben Erscheinungen hervorruft, die man sonst nur beim Fanatismus fin¬ det; es ist die Tändelei eines feingebildeten Dilettanten, den es freut, daß er Sinn hat für Dinge, die „Caviar sind für's Volk." Er hat eine Jcouographie der Heiligen geschrieben, wie er später die Rebus des Mittelalters herausgegeben hat; man hat nicht verfehlt, auch dabei sich vor dem neuen Loyala zu entsetzen, es war aber nichts, als eine ästhetische Spielerei. Daß die Kreuzzeitung ihn jetzt mit Gagern und Schlosse! so ziemlich auf einen Punkt stellt, ist nicht zu verwundern. Die Gerlach n. s. w. sind in ihrer Vorliebe sür Oestreich sehr bestimmt; Oestreich hat mehr Radicale hängen lassen, als Preußen, also muß Preußen den Kaiserstaat zum Vorbild nehmen und ihm in alleu Dingen den Willen thun. Eine solche Partei läßt sich in Zeiten der Noth wohl einen geistreichen Mann gefallen, wenn er aus anderm Wege zu ähnlichen Resultaten kommt — wie die altkirchliche Partei sich den Hegel gefallen ließ — sobald aber ihre Fluth im Steigen ist, entfernt sie deu zweideutigen Bundesge¬ nosse» mit einem Fußtritt. Ein Manu, der sich soweit in die Ideen der Revo¬ lution eingelassen hat, daß er einmal erklärte, in Schleswig dürfe man kein Dorf den Fremden herausgeben, kann von der siegreichen Reaction nicht geduldet werden. Die altpreußische Bureaukratie kaun mit einem Katholiken, einem Romantiker nicht lange Hand in Hand gehen; unsre Partei muß endlich erkennen, daß seiue Wege nicht die'ihrigen sind. Was bleibt ihm? — der König. Gegen diesen ist er in der unangenehmen Lage, daß er von ihm abhängig ist. Er wird weder — wie die Arnim u. s. w. — durch eine freie, äußerliche Stellung, noch wie die Gerlach u. f. w. durch eine fanatische Ueberzeugung ge¬ tragen. Er wird dem geistreichen Mann eine geistreiche Charade bleiben, mit der man sich in Mußestunden gern beschäftigt; er wird vielleicht noch einmal Minister, wenn er den Muth hat, ans seinem unbetheiligten Dilettantismus herauszutreten, was ich übrigens bezweifle, aber er wird dem Staat Friedrichs des Großen keine neue Richtung geben. Sich zu der Rolle eines Genz zu degradiren, dazu ist er zu stolz.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/420>, abgerufen am 21.06.2024.