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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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deutsch. Die Nationalversammlung selbst, ein wesentlich großdeutsches Institut,
kann ich ihm nicht zur Last legen; er war nicht Schuld daran, daß sie zusammen¬
kam. Aber er scheint auch nicht erkannt zu haben, daß die Anwesenheit der östrei¬
chischen Abgeordneten in derselben eine constitutionelle Centralisation unmöglich
machte; er war es, der den Antrag stellte, die Czechen mit Gemalt zur Wahl zu
zwingen; er war es, der Italien bis zum Mincio zu einem Reichsland machen
wollte. Als die Nationalversammlung endlich auf den Gedanken kam, daß es
nothwendig sei, die Stellung Oestreichs zu dem projectirten Bundesstaat in Er¬
wägung zu ziehn, fehlte er; als dann die bisher in formalen Differenzen erstarr¬
ten Parteien sich nach organischen Gesetzen sonderten, schwankte er lange; endlich
stellte er der Weidenbuschpartei seine abenteuerliche Idee einer dreifachen Stufen¬
folge der Reichsgewalt gegenüber. Schon das war seiner Partei, der Jesuitischen,
welche Preußen mit aller Gewalt der östreichischen Herrschaft unterthan macheu
wollte, zu viel; sie fing an, ihn als einen halben Verräther anzusehn. -- Bei
der Verhandlung über den Welcker'schen Antrag sprach er mit großem Ernst da¬
gegen und stellte ihn als einen für Deutschland höchst gefährlichen dar; dennoch
stimmte er einige Tage später dafür. Das Amendement, welches er am 17. März
gestellt hatte, und welches für sein späteres Wirken maßgebend war, enthält fol¬
gende Punkte. 1) Annahme der Verfassung nach dem Welcker'schen Antrag.
2) Der nächste Reichstag behält das Recht der Revision. 3) Die Regierungen
werden eingeladen, diesem Beschluß zuzustimmen und ihn in Ausführung zu brin¬
gen. 4) Mit denjenigen deutschen Staaten, welche der Reichsverfassung nicht bei¬
zutreten erklären, besteht das Bundesverhältniß fort; die durch die veränderten
Umstände gebotenen Modifikationen in derselben bleiben einer unverzüglichen Re¬
vision vorbehalten. 5) Nach eingegangener Erklärung sämmtlicher Regierungen
über ihren Beitritt wird die Wahl des NeichSoberhaupts erfolgen. --

Ein gebildeter Staatsmann, der sich selber ein klares Bild von dem Wege
gemacht hatte, auf welchem Deutschland zu regeneriren sei, mußte es als seine
wesentliche Aufgabe erkennen, der Versammlung, welcher es gar nicht an gutem
Willen, wohl aber an klarer Erkenntniß fehlte, dies Bild Tag für Tag vorzuhal¬
ten und sie zunächst daran zu gewöhnen. Nadowitz hat das nicht gethan; er ließ
sich durch den Gang der Versammlung bestimmen, auch wo er sich ablehnend ver¬
hielt; er ging ans ihre Aktionen ein (z. B. die Fiction, daß die einzelnen deut¬
schen Staaten constitutionelle wären, und durch die aus der Majorität der Kam¬
mern hervorgegangene Regierung vertreten würden); er bildete seine Partei nicht
nach einem bestimmten organischen Gedanken, sondern nach dunkeln Sympathien,
nach unfruchtbaren historischen Reminiscenzen. In seinen Reden, so geschickt sie
angelegt waren, wenn sie nur darauf berechnet sein sollten, den guten Redner zu
zeigen, und jeden Anstoß zu vermeiden, geht er nie ans das-Wesentliche der Sache
ein; sie imponiren, aber sie belehren nicht; sie beschränken künstlich den Gesichts-


deutsch. Die Nationalversammlung selbst, ein wesentlich großdeutsches Institut,
kann ich ihm nicht zur Last legen; er war nicht Schuld daran, daß sie zusammen¬
kam. Aber er scheint auch nicht erkannt zu haben, daß die Anwesenheit der östrei¬
chischen Abgeordneten in derselben eine constitutionelle Centralisation unmöglich
machte; er war es, der den Antrag stellte, die Czechen mit Gemalt zur Wahl zu
zwingen; er war es, der Italien bis zum Mincio zu einem Reichsland machen
wollte. Als die Nationalversammlung endlich auf den Gedanken kam, daß es
nothwendig sei, die Stellung Oestreichs zu dem projectirten Bundesstaat in Er¬
wägung zu ziehn, fehlte er; als dann die bisher in formalen Differenzen erstarr¬
ten Parteien sich nach organischen Gesetzen sonderten, schwankte er lange; endlich
stellte er der Weidenbuschpartei seine abenteuerliche Idee einer dreifachen Stufen¬
folge der Reichsgewalt gegenüber. Schon das war seiner Partei, der Jesuitischen,
welche Preußen mit aller Gewalt der östreichischen Herrschaft unterthan macheu
wollte, zu viel; sie fing an, ihn als einen halben Verräther anzusehn. — Bei
der Verhandlung über den Welcker'schen Antrag sprach er mit großem Ernst da¬
gegen und stellte ihn als einen für Deutschland höchst gefährlichen dar; dennoch
stimmte er einige Tage später dafür. Das Amendement, welches er am 17. März
gestellt hatte, und welches für sein späteres Wirken maßgebend war, enthält fol¬
gende Punkte. 1) Annahme der Verfassung nach dem Welcker'schen Antrag.
2) Der nächste Reichstag behält das Recht der Revision. 3) Die Regierungen
werden eingeladen, diesem Beschluß zuzustimmen und ihn in Ausführung zu brin¬
gen. 4) Mit denjenigen deutschen Staaten, welche der Reichsverfassung nicht bei¬
zutreten erklären, besteht das Bundesverhältniß fort; die durch die veränderten
Umstände gebotenen Modifikationen in derselben bleiben einer unverzüglichen Re¬
vision vorbehalten. 5) Nach eingegangener Erklärung sämmtlicher Regierungen
über ihren Beitritt wird die Wahl des NeichSoberhaupts erfolgen. —

Ein gebildeter Staatsmann, der sich selber ein klares Bild von dem Wege
gemacht hatte, auf welchem Deutschland zu regeneriren sei, mußte es als seine
wesentliche Aufgabe erkennen, der Versammlung, welcher es gar nicht an gutem
Willen, wohl aber an klarer Erkenntniß fehlte, dies Bild Tag für Tag vorzuhal¬
ten und sie zunächst daran zu gewöhnen. Nadowitz hat das nicht gethan; er ließ
sich durch den Gang der Versammlung bestimmen, auch wo er sich ablehnend ver¬
hielt; er ging ans ihre Aktionen ein (z. B. die Fiction, daß die einzelnen deut¬
schen Staaten constitutionelle wären, und durch die aus der Majorität der Kam¬
mern hervorgegangene Regierung vertreten würden); er bildete seine Partei nicht
nach einem bestimmten organischen Gedanken, sondern nach dunkeln Sympathien,
nach unfruchtbaren historischen Reminiscenzen. In seinen Reden, so geschickt sie
angelegt waren, wenn sie nur darauf berechnet sein sollten, den guten Redner zu
zeigen, und jeden Anstoß zu vermeiden, geht er nie ans das-Wesentliche der Sache
ein; sie imponiren, aber sie belehren nicht; sie beschränken künstlich den Gesichts-


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[0418] deutsch. Die Nationalversammlung selbst, ein wesentlich großdeutsches Institut, kann ich ihm nicht zur Last legen; er war nicht Schuld daran, daß sie zusammen¬ kam. Aber er scheint auch nicht erkannt zu haben, daß die Anwesenheit der östrei¬ chischen Abgeordneten in derselben eine constitutionelle Centralisation unmöglich machte; er war es, der den Antrag stellte, die Czechen mit Gemalt zur Wahl zu zwingen; er war es, der Italien bis zum Mincio zu einem Reichsland machen wollte. Als die Nationalversammlung endlich auf den Gedanken kam, daß es nothwendig sei, die Stellung Oestreichs zu dem projectirten Bundesstaat in Er¬ wägung zu ziehn, fehlte er; als dann die bisher in formalen Differenzen erstarr¬ ten Parteien sich nach organischen Gesetzen sonderten, schwankte er lange; endlich stellte er der Weidenbuschpartei seine abenteuerliche Idee einer dreifachen Stufen¬ folge der Reichsgewalt gegenüber. Schon das war seiner Partei, der Jesuitischen, welche Preußen mit aller Gewalt der östreichischen Herrschaft unterthan macheu wollte, zu viel; sie fing an, ihn als einen halben Verräther anzusehn. — Bei der Verhandlung über den Welcker'schen Antrag sprach er mit großem Ernst da¬ gegen und stellte ihn als einen für Deutschland höchst gefährlichen dar; dennoch stimmte er einige Tage später dafür. Das Amendement, welches er am 17. März gestellt hatte, und welches für sein späteres Wirken maßgebend war, enthält fol¬ gende Punkte. 1) Annahme der Verfassung nach dem Welcker'schen Antrag. 2) Der nächste Reichstag behält das Recht der Revision. 3) Die Regierungen werden eingeladen, diesem Beschluß zuzustimmen und ihn in Ausführung zu brin¬ gen. 4) Mit denjenigen deutschen Staaten, welche der Reichsverfassung nicht bei¬ zutreten erklären, besteht das Bundesverhältniß fort; die durch die veränderten Umstände gebotenen Modifikationen in derselben bleiben einer unverzüglichen Re¬ vision vorbehalten. 5) Nach eingegangener Erklärung sämmtlicher Regierungen über ihren Beitritt wird die Wahl des NeichSoberhaupts erfolgen. — Ein gebildeter Staatsmann, der sich selber ein klares Bild von dem Wege gemacht hatte, auf welchem Deutschland zu regeneriren sei, mußte es als seine wesentliche Aufgabe erkennen, der Versammlung, welcher es gar nicht an gutem Willen, wohl aber an klarer Erkenntniß fehlte, dies Bild Tag für Tag vorzuhal¬ ten und sie zunächst daran zu gewöhnen. Nadowitz hat das nicht gethan; er ließ sich durch den Gang der Versammlung bestimmen, auch wo er sich ablehnend ver¬ hielt; er ging ans ihre Aktionen ein (z. B. die Fiction, daß die einzelnen deut¬ schen Staaten constitutionelle wären, und durch die aus der Majorität der Kam¬ mern hervorgegangene Regierung vertreten würden); er bildete seine Partei nicht nach einem bestimmten organischen Gedanken, sondern nach dunkeln Sympathien, nach unfruchtbaren historischen Reminiscenzen. In seinen Reden, so geschickt sie angelegt waren, wenn sie nur darauf berechnet sein sollten, den guten Redner zu zeigen, und jeden Anstoß zu vermeiden, geht er nie ans das-Wesentliche der Sache ein; sie imponiren, aber sie belehren nicht; sie beschränken künstlich den Gesichts-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/418>, abgerufen am 21.06.2024.