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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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gen Grimm auf einander losgehn, fühlt man sich lebhast versucht, den Drit¬
ten, der mit der lächelnden Versicherung dazwischen tritt, daß man ja eigentlich
einig sei, zu ohrfeige"; denn in der Hitze des Streites verliert man die Freiheit,
dem Unbetheiligten die sehr triviale Wahrheit einzuschärfen, daß es allerdings
Punkte gibt, in denen die Gegensätze sich vermitteln, ohne daß sie darum aufhören
Gegensätze zu sein. -- In seinen "Gesprächen aus der Gegenwart" spielt Nado-
witz diese Rolle des Alles besser wissenden, alles ausgleichenden Unbetheiligten.
Er schildert seine Gesellschaft aus der Wilhelmstraße: einen pietistischen General,
einen Bureaukraten, einen liberalen Bourgeois, einen jungen Socialisten. -- Er
läßt sie alle zum Worte kommen, und widerlegt sie dann alle von seinem höhern
Standpunkt aus, der, abgesehen von der ultramontanen Schattirung, die in der
Sache selbst nichts entscheidet, ziemlich farblos ist. Aber man kann sagen, daß
in jedem Augenblick der Pietist, der Bureaukrat, der Liberale und der junge Re¬
volutionär ihm gegenüber Recht haben, obgleich er sich selber elegantere Worte in
den Mund legt, denn sie bringen ihm einen bestimmten Inhalt entgegen, dessen
Einseitigkeit dadurch keineswegs aufgehoben wird, daß man die scharfen, charakte¬
ristischen Ecken diplomatisch abglättet. Freilich hört der Contrast der Farben auf
in der süße" Dämmerungsstunde, in der alle Katzen grau sind.

Ohne Leidenschaft, ohne den Zorn einer intensiven Ueberzeugung ist kein fester
Wille möglich. Auch keine sichere Erkenntniß. Um zu unterscheiden, zu begreifen,
muß mau seiner selbst sicher sein, muß man für bestimmte Fälle hart, unbeugsam
-- einseitig fein können, wie die Leute sich ausdrücken. Mit beiden Seiten des
Schwertes zugleich zu schlagen, ist unmöglich. Wer klüger sein will als Alle,
wird von Allen dnpirt. Wer jedem Conflict ausweicht, wird von Allen überholt.
Ich kann mir Nadowitz im Interim lebhaft vorstellen, wie er den beiden Oestrei¬
chern seine höhern Standpunkte auseinandersetzt; n schätzt sie gewiß in ihrer Ein¬
seitigkeit sehr gering, und sie werden nicht versäumen, ihm ihre Komplimente im
gemüthlichen Wienerisch zu machen. Aber morgen sagen sie dasselbe, was sie ge¬
stern sagten, und seine Weisheit ist umsonst gewesen.

Dabei ist mit jener Kälte des Herzens eine gewisse Schwärmerei nicht nur
verträglich, sie hänzt sehr genau damit zusammen. Jene Kälte ist das Zeichen,
daß man unbestimmt empfindet, und dieser Dilettantismus des Gefühls ist mit
der Empfänglichkeit für unklare Vorstellung eng verbunden, wenn man auch das
Einzelne uoch so mathematisch geuau zu ordnen versteht. -- Ich komme bei dem
Ultramontanismus darauf zurück; für jetzt wende ich mich zu den Plänen, die
Nadowitz in Beziehung auf die deutsche Frage vor dem März gehabt haben will.

Sein "Deutschland und Friedrich Wilhelm IV." ist nur dem Namen nach
eine Apologie des Königs. Der König von Preußen hat viel öffentliche Reden
gehalten, die bezeichnender sind als die paar Aktenstücke, die uns jenes Buch mit-


gen Grimm auf einander losgehn, fühlt man sich lebhast versucht, den Drit¬
ten, der mit der lächelnden Versicherung dazwischen tritt, daß man ja eigentlich
einig sei, zu ohrfeige»; denn in der Hitze des Streites verliert man die Freiheit,
dem Unbetheiligten die sehr triviale Wahrheit einzuschärfen, daß es allerdings
Punkte gibt, in denen die Gegensätze sich vermitteln, ohne daß sie darum aufhören
Gegensätze zu sein. — In seinen „Gesprächen aus der Gegenwart" spielt Nado-
witz diese Rolle des Alles besser wissenden, alles ausgleichenden Unbetheiligten.
Er schildert seine Gesellschaft aus der Wilhelmstraße: einen pietistischen General,
einen Bureaukraten, einen liberalen Bourgeois, einen jungen Socialisten. — Er
läßt sie alle zum Worte kommen, und widerlegt sie dann alle von seinem höhern
Standpunkt aus, der, abgesehen von der ultramontanen Schattirung, die in der
Sache selbst nichts entscheidet, ziemlich farblos ist. Aber man kann sagen, daß
in jedem Augenblick der Pietist, der Bureaukrat, der Liberale und der junge Re¬
volutionär ihm gegenüber Recht haben, obgleich er sich selber elegantere Worte in
den Mund legt, denn sie bringen ihm einen bestimmten Inhalt entgegen, dessen
Einseitigkeit dadurch keineswegs aufgehoben wird, daß man die scharfen, charakte¬
ristischen Ecken diplomatisch abglättet. Freilich hört der Contrast der Farben auf
in der süße» Dämmerungsstunde, in der alle Katzen grau sind.

Ohne Leidenschaft, ohne den Zorn einer intensiven Ueberzeugung ist kein fester
Wille möglich. Auch keine sichere Erkenntniß. Um zu unterscheiden, zu begreifen,
muß mau seiner selbst sicher sein, muß man für bestimmte Fälle hart, unbeugsam
— einseitig fein können, wie die Leute sich ausdrücken. Mit beiden Seiten des
Schwertes zugleich zu schlagen, ist unmöglich. Wer klüger sein will als Alle,
wird von Allen dnpirt. Wer jedem Conflict ausweicht, wird von Allen überholt.
Ich kann mir Nadowitz im Interim lebhaft vorstellen, wie er den beiden Oestrei¬
chern seine höhern Standpunkte auseinandersetzt; n schätzt sie gewiß in ihrer Ein¬
seitigkeit sehr gering, und sie werden nicht versäumen, ihm ihre Komplimente im
gemüthlichen Wienerisch zu machen. Aber morgen sagen sie dasselbe, was sie ge¬
stern sagten, und seine Weisheit ist umsonst gewesen.

Dabei ist mit jener Kälte des Herzens eine gewisse Schwärmerei nicht nur
verträglich, sie hänzt sehr genau damit zusammen. Jene Kälte ist das Zeichen,
daß man unbestimmt empfindet, und dieser Dilettantismus des Gefühls ist mit
der Empfänglichkeit für unklare Vorstellung eng verbunden, wenn man auch das
Einzelne uoch so mathematisch geuau zu ordnen versteht. — Ich komme bei dem
Ultramontanismus darauf zurück; für jetzt wende ich mich zu den Plänen, die
Nadowitz in Beziehung auf die deutsche Frage vor dem März gehabt haben will.

Sein „Deutschland und Friedrich Wilhelm IV." ist nur dem Namen nach
eine Apologie des Königs. Der König von Preußen hat viel öffentliche Reden
gehalten, die bezeichnender sind als die paar Aktenstücke, die uns jenes Buch mit-


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[0415] gen Grimm auf einander losgehn, fühlt man sich lebhast versucht, den Drit¬ ten, der mit der lächelnden Versicherung dazwischen tritt, daß man ja eigentlich einig sei, zu ohrfeige»; denn in der Hitze des Streites verliert man die Freiheit, dem Unbetheiligten die sehr triviale Wahrheit einzuschärfen, daß es allerdings Punkte gibt, in denen die Gegensätze sich vermitteln, ohne daß sie darum aufhören Gegensätze zu sein. — In seinen „Gesprächen aus der Gegenwart" spielt Nado- witz diese Rolle des Alles besser wissenden, alles ausgleichenden Unbetheiligten. Er schildert seine Gesellschaft aus der Wilhelmstraße: einen pietistischen General, einen Bureaukraten, einen liberalen Bourgeois, einen jungen Socialisten. — Er läßt sie alle zum Worte kommen, und widerlegt sie dann alle von seinem höhern Standpunkt aus, der, abgesehen von der ultramontanen Schattirung, die in der Sache selbst nichts entscheidet, ziemlich farblos ist. Aber man kann sagen, daß in jedem Augenblick der Pietist, der Bureaukrat, der Liberale und der junge Re¬ volutionär ihm gegenüber Recht haben, obgleich er sich selber elegantere Worte in den Mund legt, denn sie bringen ihm einen bestimmten Inhalt entgegen, dessen Einseitigkeit dadurch keineswegs aufgehoben wird, daß man die scharfen, charakte¬ ristischen Ecken diplomatisch abglättet. Freilich hört der Contrast der Farben auf in der süße» Dämmerungsstunde, in der alle Katzen grau sind. Ohne Leidenschaft, ohne den Zorn einer intensiven Ueberzeugung ist kein fester Wille möglich. Auch keine sichere Erkenntniß. Um zu unterscheiden, zu begreifen, muß mau seiner selbst sicher sein, muß man für bestimmte Fälle hart, unbeugsam — einseitig fein können, wie die Leute sich ausdrücken. Mit beiden Seiten des Schwertes zugleich zu schlagen, ist unmöglich. Wer klüger sein will als Alle, wird von Allen dnpirt. Wer jedem Conflict ausweicht, wird von Allen überholt. Ich kann mir Nadowitz im Interim lebhaft vorstellen, wie er den beiden Oestrei¬ chern seine höhern Standpunkte auseinandersetzt; n schätzt sie gewiß in ihrer Ein¬ seitigkeit sehr gering, und sie werden nicht versäumen, ihm ihre Komplimente im gemüthlichen Wienerisch zu machen. Aber morgen sagen sie dasselbe, was sie ge¬ stern sagten, und seine Weisheit ist umsonst gewesen. Dabei ist mit jener Kälte des Herzens eine gewisse Schwärmerei nicht nur verträglich, sie hänzt sehr genau damit zusammen. Jene Kälte ist das Zeichen, daß man unbestimmt empfindet, und dieser Dilettantismus des Gefühls ist mit der Empfänglichkeit für unklare Vorstellung eng verbunden, wenn man auch das Einzelne uoch so mathematisch geuau zu ordnen versteht. — Ich komme bei dem Ultramontanismus darauf zurück; für jetzt wende ich mich zu den Plänen, die Nadowitz in Beziehung auf die deutsche Frage vor dem März gehabt haben will. Sein „Deutschland und Friedrich Wilhelm IV." ist nur dem Namen nach eine Apologie des Königs. Der König von Preußen hat viel öffentliche Reden gehalten, die bezeichnender sind als die paar Aktenstücke, die uns jenes Buch mit-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/415>, abgerufen am 21.06.2024.