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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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"wir theilen die Ansichten des Herrn von Radowitz keineswegs, aber jedenfalls
ist er einer der größten Geister unserer Zeit." Als Originalcorrespondenz macht
dieses Referat und die daran geliebte Bemerkung die Runde durch alle tausend
Zeitungen, und 500 Korrespondenten der zweiten Hand spinnen sie den folgenden
Tag zu einer weitläufigen Schildern.g aus, bis die Größe des Herrn von Rado-
witz zu einem Dogma wird. -- Weiter. Nadowitz will sprechen: er ist als Jesuit,
als Absolutist, als Fürstendiener verschrieen, man erwartet das Schrecklichste. Er
aber hält einen ruhigen Vortrag, einen Vortrag, in welchem er nicht nur das
"mir" mit dem "mich" nie verwechselt, wie es doch dem preußischen General ziemt,
sondern sogar eleganter stylisirt, als irgend ein anderer Redner; in welchem er
nicht nur die Demagogen, die Republik, der Socialisten und die Freigeisterei nicht
lästert, sondern nie verfehlt, einige Phrasen einzuflechten, in welchen man bei eini¬
gem Wohlwollen leicht einen gewissen Anflug von Liberalismus, Freidenkern u. s. w.
finden mag.

Für ein deutsches Gemüth ist eine derartige Ueberraschung erdrückend. Entweder
ist man entzückt -- so einen Mann habe ich verkannt! wie hat man diesen auf¬
geklärten, geistvollen Sprecher verlästern können! Oder, wo das Mißtrauen vor¬
waltet: der Jesuit spricht logisch; das ist irgend eine teuflische Verrätherei! Er
muß über einen entsetzlich tiefen Plan brüten, um so seine innere Ueberzeugnng
verhehlen zu können. Denn daß diese vorhanden sei, daran zweifelt der Deutsche
nicht. Und nun fragt man nicht weiter, ob in jeuer verständigen Rede auch wirk¬
licher Verstand, d. h. ob der Gesichtspunkt, von dem aus der Redner das Sach¬
verhältniß richtig betrachtet, auch der richtige sei; Radowitz hat ja gesagt, ich will
einen ganz bestimmten Standpunkt einnehmen, z. B. in der italienischen Frage den
militärischen. Ob aber auf die Entscheidung über die Fortdauer der östreichischen
Herrschaft in Italien die strategische Bedeutung der Minciolinie irgend einen Ein¬
fluß habe, das zu erörtern, ist der Redner so weit entfernt, daß er die Noth¬
wendigkeit dieser Vertheidigungslinie für Deutsch land annimmt, ohne einmal
zu untersuchen, ob denn"Oestreich wirklich zu Deutschland gehöre; eine Untersu¬
chung, die für den Verfasser des Bündnisses vom 26. Mai, wenn er wirklich ein
cousequenter Staatsmann war, denn doch sehr nahe liegen mußte.

Und so hat sich denn das Publikum durch den guten Styl seines Helden so
übertäuben lassen, daß es sich gar nicht um seine praktischen Erfolge gekümmert
hat. Der Erfolg ist nicht Alles, aber auch hier gibt es eine gewisse Grenze.
Nadowitz erfindet ein Preßgesetz; es wird von allen Betheiligten verworfen. Er
geht nach Wien, um durch eine Intervention den Sonderbundskrug zu verhin-
dern; in dem Augenblick ist der Sonderbundskrieg zu Ende. Er bestimmt Gri-
,zod, den Minister einer Dynastie, die ihm fester zu stehn scheint als je, zu einer
nachträglichen Intervention; in dem Augenblick stürzt Guizot und mit ihm die
Dynastie. Er bestimmt Metternich zu einer Bundesrevision; Metternich wird ver-


„wir theilen die Ansichten des Herrn von Radowitz keineswegs, aber jedenfalls
ist er einer der größten Geister unserer Zeit." Als Originalcorrespondenz macht
dieses Referat und die daran geliebte Bemerkung die Runde durch alle tausend
Zeitungen, und 500 Korrespondenten der zweiten Hand spinnen sie den folgenden
Tag zu einer weitläufigen Schildern.g aus, bis die Größe des Herrn von Rado-
witz zu einem Dogma wird. — Weiter. Nadowitz will sprechen: er ist als Jesuit,
als Absolutist, als Fürstendiener verschrieen, man erwartet das Schrecklichste. Er
aber hält einen ruhigen Vortrag, einen Vortrag, in welchem er nicht nur das
„mir" mit dem „mich" nie verwechselt, wie es doch dem preußischen General ziemt,
sondern sogar eleganter stylisirt, als irgend ein anderer Redner; in welchem er
nicht nur die Demagogen, die Republik, der Socialisten und die Freigeisterei nicht
lästert, sondern nie verfehlt, einige Phrasen einzuflechten, in welchen man bei eini¬
gem Wohlwollen leicht einen gewissen Anflug von Liberalismus, Freidenkern u. s. w.
finden mag.

Für ein deutsches Gemüth ist eine derartige Ueberraschung erdrückend. Entweder
ist man entzückt — so einen Mann habe ich verkannt! wie hat man diesen auf¬
geklärten, geistvollen Sprecher verlästern können! Oder, wo das Mißtrauen vor¬
waltet: der Jesuit spricht logisch; das ist irgend eine teuflische Verrätherei! Er
muß über einen entsetzlich tiefen Plan brüten, um so seine innere Ueberzeugnng
verhehlen zu können. Denn daß diese vorhanden sei, daran zweifelt der Deutsche
nicht. Und nun fragt man nicht weiter, ob in jeuer verständigen Rede auch wirk¬
licher Verstand, d. h. ob der Gesichtspunkt, von dem aus der Redner das Sach¬
verhältniß richtig betrachtet, auch der richtige sei; Radowitz hat ja gesagt, ich will
einen ganz bestimmten Standpunkt einnehmen, z. B. in der italienischen Frage den
militärischen. Ob aber auf die Entscheidung über die Fortdauer der östreichischen
Herrschaft in Italien die strategische Bedeutung der Minciolinie irgend einen Ein¬
fluß habe, das zu erörtern, ist der Redner so weit entfernt, daß er die Noth¬
wendigkeit dieser Vertheidigungslinie für Deutsch land annimmt, ohne einmal
zu untersuchen, ob denn"Oestreich wirklich zu Deutschland gehöre; eine Untersu¬
chung, die für den Verfasser des Bündnisses vom 26. Mai, wenn er wirklich ein
cousequenter Staatsmann war, denn doch sehr nahe liegen mußte.

Und so hat sich denn das Publikum durch den guten Styl seines Helden so
übertäuben lassen, daß es sich gar nicht um seine praktischen Erfolge gekümmert
hat. Der Erfolg ist nicht Alles, aber auch hier gibt es eine gewisse Grenze.
Nadowitz erfindet ein Preßgesetz; es wird von allen Betheiligten verworfen. Er
geht nach Wien, um durch eine Intervention den Sonderbundskrug zu verhin-
dern; in dem Augenblick ist der Sonderbundskrieg zu Ende. Er bestimmt Gri-
,zod, den Minister einer Dynastie, die ihm fester zu stehn scheint als je, zu einer
nachträglichen Intervention; in dem Augenblick stürzt Guizot und mit ihm die
Dynastie. Er bestimmt Metternich zu einer Bundesrevision; Metternich wird ver-


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[0413] „wir theilen die Ansichten des Herrn von Radowitz keineswegs, aber jedenfalls ist er einer der größten Geister unserer Zeit." Als Originalcorrespondenz macht dieses Referat und die daran geliebte Bemerkung die Runde durch alle tausend Zeitungen, und 500 Korrespondenten der zweiten Hand spinnen sie den folgenden Tag zu einer weitläufigen Schildern.g aus, bis die Größe des Herrn von Rado- witz zu einem Dogma wird. — Weiter. Nadowitz will sprechen: er ist als Jesuit, als Absolutist, als Fürstendiener verschrieen, man erwartet das Schrecklichste. Er aber hält einen ruhigen Vortrag, einen Vortrag, in welchem er nicht nur das „mir" mit dem „mich" nie verwechselt, wie es doch dem preußischen General ziemt, sondern sogar eleganter stylisirt, als irgend ein anderer Redner; in welchem er nicht nur die Demagogen, die Republik, der Socialisten und die Freigeisterei nicht lästert, sondern nie verfehlt, einige Phrasen einzuflechten, in welchen man bei eini¬ gem Wohlwollen leicht einen gewissen Anflug von Liberalismus, Freidenkern u. s. w. finden mag. Für ein deutsches Gemüth ist eine derartige Ueberraschung erdrückend. Entweder ist man entzückt — so einen Mann habe ich verkannt! wie hat man diesen auf¬ geklärten, geistvollen Sprecher verlästern können! Oder, wo das Mißtrauen vor¬ waltet: der Jesuit spricht logisch; das ist irgend eine teuflische Verrätherei! Er muß über einen entsetzlich tiefen Plan brüten, um so seine innere Ueberzeugnng verhehlen zu können. Denn daß diese vorhanden sei, daran zweifelt der Deutsche nicht. Und nun fragt man nicht weiter, ob in jeuer verständigen Rede auch wirk¬ licher Verstand, d. h. ob der Gesichtspunkt, von dem aus der Redner das Sach¬ verhältniß richtig betrachtet, auch der richtige sei; Radowitz hat ja gesagt, ich will einen ganz bestimmten Standpunkt einnehmen, z. B. in der italienischen Frage den militärischen. Ob aber auf die Entscheidung über die Fortdauer der östreichischen Herrschaft in Italien die strategische Bedeutung der Minciolinie irgend einen Ein¬ fluß habe, das zu erörtern, ist der Redner so weit entfernt, daß er die Noth¬ wendigkeit dieser Vertheidigungslinie für Deutsch land annimmt, ohne einmal zu untersuchen, ob denn"Oestreich wirklich zu Deutschland gehöre; eine Untersu¬ chung, die für den Verfasser des Bündnisses vom 26. Mai, wenn er wirklich ein cousequenter Staatsmann war, denn doch sehr nahe liegen mußte. Und so hat sich denn das Publikum durch den guten Styl seines Helden so übertäuben lassen, daß es sich gar nicht um seine praktischen Erfolge gekümmert hat. Der Erfolg ist nicht Alles, aber auch hier gibt es eine gewisse Grenze. Nadowitz erfindet ein Preßgesetz; es wird von allen Betheiligten verworfen. Er geht nach Wien, um durch eine Intervention den Sonderbundskrug zu verhin- dern; in dem Augenblick ist der Sonderbundskrieg zu Ende. Er bestimmt Gri- ,zod, den Minister einer Dynastie, die ihm fester zu stehn scheint als je, zu einer nachträglichen Intervention; in dem Augenblick stürzt Guizot und mit ihm die Dynastie. Er bestimmt Metternich zu einer Bundesrevision; Metternich wird ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/413>, abgerufen am 21.06.2024.