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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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revision zu denken. Er genehmigte (20. November) einen ihm von Radowitz vor¬
gelegten Entwurf, ans dessen Inhalt wir später zurückkommen, und schickte ihn nach
Wien, zugleich, um die Schweizer Angelegenheiten zu ordnen. Das letzte war
die Hauptsache. Radowitz, der neben seiner militärischen Stellung auch den Ge-
saudteupvsten in Karlsruhe bekleidete, hatte schon im Juni ans eine europäische
Intervention zu Gunsten des Sonderbundes angetragen. Englands Widerspruch
hielt die Ausführung auf; Radowitz kam mit seiner Reise zu spät, der Krieg war
bereits entschieden. Doch reisteer am 15. December nach Paris, und veranlaßte die
bekannte Note der drei Mächte (18. Januar 1848): die Eidgenossenschaft beruhe
auf der Souveränität der 22 Cantone; ohne die einhellige Zustimmung derselben
dürfe keinerlei Umwandlung des Bundesvertrags vorgenommen werden, und durch
die Besetzung der Sonderbundscantone habe die Schweiz ihre Neutralität ver¬
wirkt. -- Der entschieden ablehnenden Antwort (15 Februar) sollte eine Interven¬
tion folgen, da wurde die Regierung in Frankreich gestürzt.

In Folge dieser Ereignisse wurde Radowitz -- der die Julidynastie sestgc-
grnndet wie Eisen gefunden hatte -- deu 2. März nach Wien abgeordnet, theils
um für deu nöthigen Fall militärische Maßregel" zu verabreden, theils um auf
Grundlage der oben erwähnten Denkschrift eine Bundesrevision anzubahnen. Den
10. März schloß er die Uebereinkunft ab, nach welcher noch in demselben Monat
ein Kongreß in Dresden zusammentreten sollte. Im Bundestag wurde der Ent¬
wurf (19. März) genehmigt. Der Aufstand in Wien und Berlin vereitelte auch
diesen Plan.

Im April 1848 nahm Radowitz in Folge der Berliner Revolution seinen
Abschied ans preußischen Diensten -- er war seit 1845 Generalmajor -- trat
im Mai als Abgeordneter für Arnsberg in Westphalen in die deutsche Na¬
tionalversammlung ein, und bildete mit den Ultramontanen die Partei des "stei¬
nernen Hauses." Seine Hauptreden sind bekannt genug, ich komme noch darauf
zurück. Nach der Abstimmung, in welcher der König von Preußen zum deutschen
Kaiser ausgerufen wurde -- ein Act, an dem er Theil nahm mit der Verwah¬
rung, "daß er der Versammlung nicht das Recht zuerkenne, die Verfassung des
Reichs endgiltig zu beschließen und dessen Krone zu vergeben, sondern daß die
Rechtsbeständigkeit dieser Handlungen von der freien Zustimmung der Regierungen
abhängig sei," -- wurde Nadvwch nach Berlin berufen (23. April), und ihm mit
dem Rang eines Generallieutenants die Führung der deutschen Angelegenheiten
-übertragen. Das Ministerium des Auswärtigen, welches man ihm anbot, lehnte
er ab. Die Unterhandlungen, welche den 28. April begannen, führten zum Bünd-
niß vom 26. Mai. Am 25. August hielt Radowitz als Regierungscommissär in
der zweiten Kammer die bekannte Rede, in welcher er die Politik der Negierung
zu rechtfertigen suchte. Zum zweiten Mal nahm er das Wort am 24. Oktober;
das Interim sowie die Einberufung zum Reichstag sollte gerechtfertigt werden.


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revision zu denken. Er genehmigte (20. November) einen ihm von Radowitz vor¬
gelegten Entwurf, ans dessen Inhalt wir später zurückkommen, und schickte ihn nach
Wien, zugleich, um die Schweizer Angelegenheiten zu ordnen. Das letzte war
die Hauptsache. Radowitz, der neben seiner militärischen Stellung auch den Ge-
saudteupvsten in Karlsruhe bekleidete, hatte schon im Juni ans eine europäische
Intervention zu Gunsten des Sonderbundes angetragen. Englands Widerspruch
hielt die Ausführung auf; Radowitz kam mit seiner Reise zu spät, der Krieg war
bereits entschieden. Doch reisteer am 15. December nach Paris, und veranlaßte die
bekannte Note der drei Mächte (18. Januar 1848): die Eidgenossenschaft beruhe
auf der Souveränität der 22 Cantone; ohne die einhellige Zustimmung derselben
dürfe keinerlei Umwandlung des Bundesvertrags vorgenommen werden, und durch
die Besetzung der Sonderbundscantone habe die Schweiz ihre Neutralität ver¬
wirkt. — Der entschieden ablehnenden Antwort (15 Februar) sollte eine Interven¬
tion folgen, da wurde die Regierung in Frankreich gestürzt.

In Folge dieser Ereignisse wurde Radowitz — der die Julidynastie sestgc-
grnndet wie Eisen gefunden hatte — deu 2. März nach Wien abgeordnet, theils
um für deu nöthigen Fall militärische Maßregel« zu verabreden, theils um auf
Grundlage der oben erwähnten Denkschrift eine Bundesrevision anzubahnen. Den
10. März schloß er die Uebereinkunft ab, nach welcher noch in demselben Monat
ein Kongreß in Dresden zusammentreten sollte. Im Bundestag wurde der Ent¬
wurf (19. März) genehmigt. Der Aufstand in Wien und Berlin vereitelte auch
diesen Plan.

Im April 1848 nahm Radowitz in Folge der Berliner Revolution seinen
Abschied ans preußischen Diensten — er war seit 1845 Generalmajor — trat
im Mai als Abgeordneter für Arnsberg in Westphalen in die deutsche Na¬
tionalversammlung ein, und bildete mit den Ultramontanen die Partei des „stei¬
nernen Hauses." Seine Hauptreden sind bekannt genug, ich komme noch darauf
zurück. Nach der Abstimmung, in welcher der König von Preußen zum deutschen
Kaiser ausgerufen wurde — ein Act, an dem er Theil nahm mit der Verwah¬
rung, „daß er der Versammlung nicht das Recht zuerkenne, die Verfassung des
Reichs endgiltig zu beschließen und dessen Krone zu vergeben, sondern daß die
Rechtsbeständigkeit dieser Handlungen von der freien Zustimmung der Regierungen
abhängig sei," — wurde Nadvwch nach Berlin berufen (23. April), und ihm mit
dem Rang eines Generallieutenants die Führung der deutschen Angelegenheiten
-übertragen. Das Ministerium des Auswärtigen, welches man ihm anbot, lehnte
er ab. Die Unterhandlungen, welche den 28. April begannen, führten zum Bünd-
niß vom 26. Mai. Am 25. August hielt Radowitz als Regierungscommissär in
der zweiten Kammer die bekannte Rede, in welcher er die Politik der Negierung
zu rechtfertigen suchte. Zum zweiten Mal nahm er das Wort am 24. Oktober;
das Interim sowie die Einberufung zum Reichstag sollte gerechtfertigt werden.


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[0411] revision zu denken. Er genehmigte (20. November) einen ihm von Radowitz vor¬ gelegten Entwurf, ans dessen Inhalt wir später zurückkommen, und schickte ihn nach Wien, zugleich, um die Schweizer Angelegenheiten zu ordnen. Das letzte war die Hauptsache. Radowitz, der neben seiner militärischen Stellung auch den Ge- saudteupvsten in Karlsruhe bekleidete, hatte schon im Juni ans eine europäische Intervention zu Gunsten des Sonderbundes angetragen. Englands Widerspruch hielt die Ausführung auf; Radowitz kam mit seiner Reise zu spät, der Krieg war bereits entschieden. Doch reisteer am 15. December nach Paris, und veranlaßte die bekannte Note der drei Mächte (18. Januar 1848): die Eidgenossenschaft beruhe auf der Souveränität der 22 Cantone; ohne die einhellige Zustimmung derselben dürfe keinerlei Umwandlung des Bundesvertrags vorgenommen werden, und durch die Besetzung der Sonderbundscantone habe die Schweiz ihre Neutralität ver¬ wirkt. — Der entschieden ablehnenden Antwort (15 Februar) sollte eine Interven¬ tion folgen, da wurde die Regierung in Frankreich gestürzt. In Folge dieser Ereignisse wurde Radowitz — der die Julidynastie sestgc- grnndet wie Eisen gefunden hatte — deu 2. März nach Wien abgeordnet, theils um für deu nöthigen Fall militärische Maßregel« zu verabreden, theils um auf Grundlage der oben erwähnten Denkschrift eine Bundesrevision anzubahnen. Den 10. März schloß er die Uebereinkunft ab, nach welcher noch in demselben Monat ein Kongreß in Dresden zusammentreten sollte. Im Bundestag wurde der Ent¬ wurf (19. März) genehmigt. Der Aufstand in Wien und Berlin vereitelte auch diesen Plan. Im April 1848 nahm Radowitz in Folge der Berliner Revolution seinen Abschied ans preußischen Diensten — er war seit 1845 Generalmajor — trat im Mai als Abgeordneter für Arnsberg in Westphalen in die deutsche Na¬ tionalversammlung ein, und bildete mit den Ultramontanen die Partei des „stei¬ nernen Hauses." Seine Hauptreden sind bekannt genug, ich komme noch darauf zurück. Nach der Abstimmung, in welcher der König von Preußen zum deutschen Kaiser ausgerufen wurde — ein Act, an dem er Theil nahm mit der Verwah¬ rung, „daß er der Versammlung nicht das Recht zuerkenne, die Verfassung des Reichs endgiltig zu beschließen und dessen Krone zu vergeben, sondern daß die Rechtsbeständigkeit dieser Handlungen von der freien Zustimmung der Regierungen abhängig sei," — wurde Nadvwch nach Berlin berufen (23. April), und ihm mit dem Rang eines Generallieutenants die Führung der deutschen Angelegenheiten -übertragen. Das Ministerium des Auswärtigen, welches man ihm anbot, lehnte er ab. Die Unterhandlungen, welche den 28. April begannen, führten zum Bünd- niß vom 26. Mai. Am 25. August hielt Radowitz als Regierungscommissär in der zweiten Kammer die bekannte Rede, in welcher er die Politik der Negierung zu rechtfertigen suchte. Zum zweiten Mal nahm er das Wort am 24. Oktober; das Interim sowie die Einberufung zum Reichstag sollte gerechtfertigt werden. 51*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/411>, abgerufen am 21.06.2024.