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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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ßer) gegen die Mätresse des Kurfürsten, Emilie Ortlepp, nahm, wurde er verab¬
schiedet (1823), ging nach Berlin, wo er schon 182 !, als er im Auftrage seines
Hoff über eine Militärconventivn unterhandelte, vom Kronprinzen ausgezeichnet
war, und trat in preußische Dienste. -- Hier ward er Hauptmann im Generalstabe
und Lehrer des Prinzen Albrecht, in Folge einiger mathematischen Schriften Mit¬
glied der obersten Militärstndienbehörde, Major (1828) und Chef des General-
stabs der Artillerie (1830), Oberstlieutenant (1839), Oberst (1840).

Die persönliche Freundschaft mit dem Kronprinzen knüpfte sich enger seit dem
Anfenthalt in Sanssouci. Damals bildete sich jene legitimistisch-romantische Salon-
coterie, die unter dem Namen der Politiker der Wilhelmstraße bekannt ist -- die
Gerlach, Voß, Brandenburg, Gröden n. s. w. von denen die Gründung des
Berliner politischen Wochenblatts (1831) unter Jarcke's Leitung und unter Pro-
tection des Kronprinzen ausging, und die Radowitz in seinen "Gesprächen aus
der Gegenwart über Staat und Kirche" charakterisirt hat. Radowitz gehörte zu
den geistreichsten Mitgliedern dieses Kreises, er heirathete aus demselben die Toch¬
ter des Gesandten Graf Boß (1828), schrieb eine Reihe leitender Artikel in das
Wochenblatt, und später (1839) in demselben Sinn eine Schrift über die spanische
Snccesfiousfrage. Auch die "Ikonographie der Heiligen, ein Beitrag zur Kunst¬
geschichte" (geschrieben 1829, veröffentlicht 1839) gehört dahin.

1836 wurde Radowitz zum preußischen Militärbevvllmächtigten am Bundes¬
tage ernannt. Bei der drohenden Kriegsgefahr 1840 wurde er mit General Grol-
mann nach Wien gesandt, um die Uebereinkunft wegen der Vertheidigung Deutsch¬
lands zu schließen. Durch ihn und den östreichischen General Heß wurden die
nöthigen Schritte am Bundestag vereinbart, und die Erweiterung und Verschär¬
fung der Kriegsverfassung durchgesetzt. Jeder Staat mußte von nun an 1'/< Pre.
seiner Bevölkerung als Contingent, Ersatz und Reserve bereit halten; innerhalb
vier Wochen sollte diese Truppenstärke stets marschfertig sein. Damit aber diese
Anordnungen nicht wieder in Verfall geriethen, wurde festgestellt, daß Commis¬
sionen, aus Generalen aller Bundesstaaten bestehend, sämmtliche Contingente in
gewissen Zeitabschnitten inspiciren und darüber berichten sollten. Im folgenden
Jahre betrieb er die Ergänzung des fortisicatorischen Systems durch den Bau
von Ulm und.Rastatt.

Gleichzeitig hatte Radowitz den Auftrag, ans eine Revision der Bundesver¬
fassung überhaupt anzutragen. Er stattet in seiner Schrift "Deutschland und
Friedrich Wilhelm IV." (1848) darüber Bericht ab. Die Unterhandlungen blieben
ohne Resultate. Ein Preßgesetzentwurf, von Radowitz verfaßt, scheiterte an dem
Widerstand des preußischen Ministerraths (Februar 1843); ein neuer Entwurf,
von Preußen dem Bundestage vorgelegt (Juli 1846), der in manchen Beziehun¬
gen schlimmer war . als die Censur, wurde gleichfalls -ra act-r gelegt. Nach dem
Schluß des Vereinigten Landtags beschloß der König, ernstlicher an die Bundes-


ßer) gegen die Mätresse des Kurfürsten, Emilie Ortlepp, nahm, wurde er verab¬
schiedet (1823), ging nach Berlin, wo er schon 182 !, als er im Auftrage seines
Hoff über eine Militärconventivn unterhandelte, vom Kronprinzen ausgezeichnet
war, und trat in preußische Dienste. — Hier ward er Hauptmann im Generalstabe
und Lehrer des Prinzen Albrecht, in Folge einiger mathematischen Schriften Mit¬
glied der obersten Militärstndienbehörde, Major (1828) und Chef des General-
stabs der Artillerie (1830), Oberstlieutenant (1839), Oberst (1840).

Die persönliche Freundschaft mit dem Kronprinzen knüpfte sich enger seit dem
Anfenthalt in Sanssouci. Damals bildete sich jene legitimistisch-romantische Salon-
coterie, die unter dem Namen der Politiker der Wilhelmstraße bekannt ist — die
Gerlach, Voß, Brandenburg, Gröden n. s. w. von denen die Gründung des
Berliner politischen Wochenblatts (1831) unter Jarcke's Leitung und unter Pro-
tection des Kronprinzen ausging, und die Radowitz in seinen „Gesprächen aus
der Gegenwart über Staat und Kirche" charakterisirt hat. Radowitz gehörte zu
den geistreichsten Mitgliedern dieses Kreises, er heirathete aus demselben die Toch¬
ter des Gesandten Graf Boß (1828), schrieb eine Reihe leitender Artikel in das
Wochenblatt, und später (1839) in demselben Sinn eine Schrift über die spanische
Snccesfiousfrage. Auch die „Ikonographie der Heiligen, ein Beitrag zur Kunst¬
geschichte" (geschrieben 1829, veröffentlicht 1839) gehört dahin.

1836 wurde Radowitz zum preußischen Militärbevvllmächtigten am Bundes¬
tage ernannt. Bei der drohenden Kriegsgefahr 1840 wurde er mit General Grol-
mann nach Wien gesandt, um die Uebereinkunft wegen der Vertheidigung Deutsch¬
lands zu schließen. Durch ihn und den östreichischen General Heß wurden die
nöthigen Schritte am Bundestag vereinbart, und die Erweiterung und Verschär¬
fung der Kriegsverfassung durchgesetzt. Jeder Staat mußte von nun an 1'/< Pre.
seiner Bevölkerung als Contingent, Ersatz und Reserve bereit halten; innerhalb
vier Wochen sollte diese Truppenstärke stets marschfertig sein. Damit aber diese
Anordnungen nicht wieder in Verfall geriethen, wurde festgestellt, daß Commis¬
sionen, aus Generalen aller Bundesstaaten bestehend, sämmtliche Contingente in
gewissen Zeitabschnitten inspiciren und darüber berichten sollten. Im folgenden
Jahre betrieb er die Ergänzung des fortisicatorischen Systems durch den Bau
von Ulm und.Rastatt.

Gleichzeitig hatte Radowitz den Auftrag, ans eine Revision der Bundesver¬
fassung überhaupt anzutragen. Er stattet in seiner Schrift „Deutschland und
Friedrich Wilhelm IV." (1848) darüber Bericht ab. Die Unterhandlungen blieben
ohne Resultate. Ein Preßgesetzentwurf, von Radowitz verfaßt, scheiterte an dem
Widerstand des preußischen Ministerraths (Februar 1843); ein neuer Entwurf,
von Preußen dem Bundestage vorgelegt (Juli 1846), der in manchen Beziehun¬
gen schlimmer war . als die Censur, wurde gleichfalls -ra act-r gelegt. Nach dem
Schluß des Vereinigten Landtags beschloß der König, ernstlicher an die Bundes-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/410>, abgerufen am 21.06.2024.