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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Deutsche Staatsmänner.
1. Joseph von Nadowitz.



Die pikante Darstellung des General Nadowitz in Laube's Denkwürdigkeiten
aus der Paulskirche hat durch die authentische Biographie, welche seitdem erschie¬
nen ist, eine Berichtigung erfahren. Radowitz ist nicht der ewige Jude, nicht der
Graf Se. Germain, und in seinem Lebenslauf liegt nichts übertrieben Mystisches.
Ehe wir an die Charakteristik dieses Staatsmanns gehen, dessen Bedeutung für
die politische Entwicklung Deutschlands von Tage zu Tage größer erscheint, geben
wir einen kurzen Abriß seines Lebens nach Anleitung jener authentischen Bio¬
graphie.

Radowitz' Familie stammt aus Ungarn, aber schon sein Großvater zog nach
Deutschland in der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Sein Vater lebte als braun-
schwcigscher Titularrath in Altenburg, und betheiligte sich später an den Geschäf¬
ten einer Weinhandlung, bei welchen er sein Vermögen einbüßte. Er starb 1819.

Joseph war 1797 geboren. Als einziges Kind einer gemischten Ehe stand er
zunächst unter der Leitung seiner protestantischen Mutter, und wurde bis zum
14. Jahr auf den protestantischen Schulen in dieser Konfession erzogen. Von
dieser Zeit an übernahm sein Vater die Anordnung seiner religiösen Erziehung,
so daß er seit 1812 tu der katholischen Kirche aufwuchs. -- Schon früh für den
westphälischen Militärdienst bestimmt, schickte ihn sein Vater zur Erlernung der
französischen Sprache nach Frankreich., Auf französischen und westphälischen Schu¬
len empfing er seine kriegöwisseuschaftliche Vorbildung, bestand glänzende Prüfun¬
gen, avancirte im December 1812 zum westphälischen Artillerieoffizier, erhielt
den Orden der Ehrenlegion, und wurde in der Schlacht bei Leipzig, wo er eine
westphälische Batterie kommandirte (gegen Deutschland), verwundet und gefangen.

Nach Auflösung des Königreichs Westphaleu trat er in kurhesstsche Dienste,,
und machte den Feldzug gegen Frankreich mit. 1815 wurde er erster Lehrer der
Mathematik und Kriegswissenschaft im Kadettencorps zu Kassel, 1817 Haupt¬
mann im Generalstab und Lehrer des Kurprinzen. Umfassende Studien, auch im Ge¬
neralbaß. Als er die Parthie der Kurfürstin (Schwester des Königs von Preu-


Grenzbotm. i. 1850. 51
Deutsche Staatsmänner.
1. Joseph von Nadowitz.



Die pikante Darstellung des General Nadowitz in Laube's Denkwürdigkeiten
aus der Paulskirche hat durch die authentische Biographie, welche seitdem erschie¬
nen ist, eine Berichtigung erfahren. Radowitz ist nicht der ewige Jude, nicht der
Graf Se. Germain, und in seinem Lebenslauf liegt nichts übertrieben Mystisches.
Ehe wir an die Charakteristik dieses Staatsmanns gehen, dessen Bedeutung für
die politische Entwicklung Deutschlands von Tage zu Tage größer erscheint, geben
wir einen kurzen Abriß seines Lebens nach Anleitung jener authentischen Bio¬
graphie.

Radowitz' Familie stammt aus Ungarn, aber schon sein Großvater zog nach
Deutschland in der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Sein Vater lebte als braun-
schwcigscher Titularrath in Altenburg, und betheiligte sich später an den Geschäf¬
ten einer Weinhandlung, bei welchen er sein Vermögen einbüßte. Er starb 1819.

Joseph war 1797 geboren. Als einziges Kind einer gemischten Ehe stand er
zunächst unter der Leitung seiner protestantischen Mutter, und wurde bis zum
14. Jahr auf den protestantischen Schulen in dieser Konfession erzogen. Von
dieser Zeit an übernahm sein Vater die Anordnung seiner religiösen Erziehung,
so daß er seit 1812 tu der katholischen Kirche aufwuchs. — Schon früh für den
westphälischen Militärdienst bestimmt, schickte ihn sein Vater zur Erlernung der
französischen Sprache nach Frankreich., Auf französischen und westphälischen Schu¬
len empfing er seine kriegöwisseuschaftliche Vorbildung, bestand glänzende Prüfun¬
gen, avancirte im December 1812 zum westphälischen Artillerieoffizier, erhielt
den Orden der Ehrenlegion, und wurde in der Schlacht bei Leipzig, wo er eine
westphälische Batterie kommandirte (gegen Deutschland), verwundet und gefangen.

Nach Auflösung des Königreichs Westphaleu trat er in kurhesstsche Dienste,,
und machte den Feldzug gegen Frankreich mit. 1815 wurde er erster Lehrer der
Mathematik und Kriegswissenschaft im Kadettencorps zu Kassel, 1817 Haupt¬
mann im Generalstab und Lehrer des Kurprinzen. Umfassende Studien, auch im Ge¬
neralbaß. Als er die Parthie der Kurfürstin (Schwester des Königs von Preu-


Grenzbotm. i. 1850. 51
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[0409] Deutsche Staatsmänner. 1. Joseph von Nadowitz. Die pikante Darstellung des General Nadowitz in Laube's Denkwürdigkeiten aus der Paulskirche hat durch die authentische Biographie, welche seitdem erschie¬ nen ist, eine Berichtigung erfahren. Radowitz ist nicht der ewige Jude, nicht der Graf Se. Germain, und in seinem Lebenslauf liegt nichts übertrieben Mystisches. Ehe wir an die Charakteristik dieses Staatsmanns gehen, dessen Bedeutung für die politische Entwicklung Deutschlands von Tage zu Tage größer erscheint, geben wir einen kurzen Abriß seines Lebens nach Anleitung jener authentischen Bio¬ graphie. Radowitz' Familie stammt aus Ungarn, aber schon sein Großvater zog nach Deutschland in der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Sein Vater lebte als braun- schwcigscher Titularrath in Altenburg, und betheiligte sich später an den Geschäf¬ ten einer Weinhandlung, bei welchen er sein Vermögen einbüßte. Er starb 1819. Joseph war 1797 geboren. Als einziges Kind einer gemischten Ehe stand er zunächst unter der Leitung seiner protestantischen Mutter, und wurde bis zum 14. Jahr auf den protestantischen Schulen in dieser Konfession erzogen. Von dieser Zeit an übernahm sein Vater die Anordnung seiner religiösen Erziehung, so daß er seit 1812 tu der katholischen Kirche aufwuchs. — Schon früh für den westphälischen Militärdienst bestimmt, schickte ihn sein Vater zur Erlernung der französischen Sprache nach Frankreich., Auf französischen und westphälischen Schu¬ len empfing er seine kriegöwisseuschaftliche Vorbildung, bestand glänzende Prüfun¬ gen, avancirte im December 1812 zum westphälischen Artillerieoffizier, erhielt den Orden der Ehrenlegion, und wurde in der Schlacht bei Leipzig, wo er eine westphälische Batterie kommandirte (gegen Deutschland), verwundet und gefangen. Nach Auflösung des Königreichs Westphaleu trat er in kurhesstsche Dienste,, und machte den Feldzug gegen Frankreich mit. 1815 wurde er erster Lehrer der Mathematik und Kriegswissenschaft im Kadettencorps zu Kassel, 1817 Haupt¬ mann im Generalstab und Lehrer des Kurprinzen. Umfassende Studien, auch im Ge¬ neralbaß. Als er die Parthie der Kurfürstin (Schwester des Königs von Preu- Grenzbotm. i. 1850. 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/409>, abgerufen am 21.06.2024.