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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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nicht gelingen, denn Jenen können sie's nicht gleichthun. Man kann begreifen, daß
die Frau Gräfin und ihre Freundin sich jetzt sehr wohl befinden, daß sie sogar
im Stande sind, mit der anonymen Gesellschaft von Zeit zu Zeit einen
kleinen Kampf zu bestehen. Uebrigens ist dergleichen hier etwas so Gewöhnliches,
daß es gar nicht auffällt. -- "Gehen wir, unser Ziel sei der Spielsaal, dort
treffen wir andre interessante Figuren." Es wurde Roulette gespielt, es war
Al'-miZ jeu, Alles drängte sich zur grünen Tafel und die Croupiers verdienten hente
ihr Brot im Schweiße ihres Angesichts. Der größte Theil der Spielenden
pointirte sehr niedrig, Einige dagegen wagten enorme Summen. Es war ein in¬
teressantes Schauspiel. Allerlei bekannte Spielerphystognomien kamen hier zum
Vorschein. Die stieren, scheuen Blicke, die Stirnen gefurcht von Kummer und
Verzweiflung, Gesichter, auf denen die Geschichte eines ganzen unglücklichen Le¬
bens zu lesen war! Und alle diese verschiedenartigen Menschen, die man hier bei¬
sammen sah, hatten ein und dasselbe Ziel vor Augen, reich zu werden in wenigen
Stunden, ohne Arbeit, ohne Mühe, durch ein kurzes Wagniß. Vor Anderm
zeichnete sich ein junger Engländer durch sein hohes Spiel ans. Zuerst setzte er
jedes Mal eine kleine Geldrolle von fünfzig Napoleon, als das Gold verschwun¬
den war, zog er eine Brieftasche hervor und fing an, mit Banknoten zu spielen.
Ich sah, wie er in kurzer Zeit eine beträchtliche Anzahl davon verlor, mein Nach¬
bar schlug seinen Verlust auf mindestens 5000 Thaler an. Er ist allein des Spiels
halber hergekommen, und man behauptet, er habe in kurzer Zeit -- er mochte
etwa sechs Wochen dort sein -- schon eine Summe von 40--50,000 Thalern ver¬
loren. Im Uebrigen gilt dieser junge Mann für einen der ärgsten Knicker, man
erzählte sich davon Unglaubliches, ich sah, wie derselbe mit einer armen Frau,
die ihm Obst zum Verkauf anbot, um einige wenige Kreuzer lange Zeit gehandelt
und zuletzt nicht einmal etwas gekauft hat. Dicht neben dem Briten sitzt ein
Frankfurter Wirth, der tiesverschuldete Besitzer eines Hotels, der Mann spielt
mit einer großen Zaghaftigkeit, man sieht, er hat nicht viel mehr zu verlieren,
sein Muth ist schon gebrochen, von Zeit zu Zeit wirft er verzweiflungsvolle Blicke
umher, er flößt Mitleid ein. Als er das letzte Goldstück verloren hatte, seufzte
er tief ans, wischte sich mit dem Tuche den Angstschweiß von der Stirn, blieb noch
einige Augenblicke wie betäubt auf seinem Platze und schlich dann langsam zur
Thür hinaus. Dem Unglücklichen mag schlecht zu Muthe sein auf der Heimfahrt! --
Auch ein deutscher Baron brachte sein Scherflein dar, ein blutjunger Mensch,
der gar keinen Begriff vom Spiel hatte, er verstand es nicht einmal, sein Glück
zu benutzen, was bekanntlich leichter sein soll, als im Unglück sich zu beherrschen.
-- Der leidenschaftlichste und unglücklichste Spieler aber ist jener bleiche Mann
mit der karrirten Toilette, ein Straßburger Schneider; wie viele Millionen Na¬
delstiche mochten wohl erforderlich sein, um das Geld, was er hier in wenigen
Minuten der anonymen Gesellschaft zufließen ließ, wieder zu verdienen? -- Aber


nicht gelingen, denn Jenen können sie's nicht gleichthun. Man kann begreifen, daß
die Frau Gräfin und ihre Freundin sich jetzt sehr wohl befinden, daß sie sogar
im Stande sind, mit der anonymen Gesellschaft von Zeit zu Zeit einen
kleinen Kampf zu bestehen. Uebrigens ist dergleichen hier etwas so Gewöhnliches,
daß es gar nicht auffällt. — „Gehen wir, unser Ziel sei der Spielsaal, dort
treffen wir andre interessante Figuren." Es wurde Roulette gespielt, es war
Al'-miZ jeu, Alles drängte sich zur grünen Tafel und die Croupiers verdienten hente
ihr Brot im Schweiße ihres Angesichts. Der größte Theil der Spielenden
pointirte sehr niedrig, Einige dagegen wagten enorme Summen. Es war ein in¬
teressantes Schauspiel. Allerlei bekannte Spielerphystognomien kamen hier zum
Vorschein. Die stieren, scheuen Blicke, die Stirnen gefurcht von Kummer und
Verzweiflung, Gesichter, auf denen die Geschichte eines ganzen unglücklichen Le¬
bens zu lesen war! Und alle diese verschiedenartigen Menschen, die man hier bei¬
sammen sah, hatten ein und dasselbe Ziel vor Augen, reich zu werden in wenigen
Stunden, ohne Arbeit, ohne Mühe, durch ein kurzes Wagniß. Vor Anderm
zeichnete sich ein junger Engländer durch sein hohes Spiel ans. Zuerst setzte er
jedes Mal eine kleine Geldrolle von fünfzig Napoleon, als das Gold verschwun¬
den war, zog er eine Brieftasche hervor und fing an, mit Banknoten zu spielen.
Ich sah, wie er in kurzer Zeit eine beträchtliche Anzahl davon verlor, mein Nach¬
bar schlug seinen Verlust auf mindestens 5000 Thaler an. Er ist allein des Spiels
halber hergekommen, und man behauptet, er habe in kurzer Zeit — er mochte
etwa sechs Wochen dort sein — schon eine Summe von 40—50,000 Thalern ver¬
loren. Im Uebrigen gilt dieser junge Mann für einen der ärgsten Knicker, man
erzählte sich davon Unglaubliches, ich sah, wie derselbe mit einer armen Frau,
die ihm Obst zum Verkauf anbot, um einige wenige Kreuzer lange Zeit gehandelt
und zuletzt nicht einmal etwas gekauft hat. Dicht neben dem Briten sitzt ein
Frankfurter Wirth, der tiesverschuldete Besitzer eines Hotels, der Mann spielt
mit einer großen Zaghaftigkeit, man sieht, er hat nicht viel mehr zu verlieren,
sein Muth ist schon gebrochen, von Zeit zu Zeit wirft er verzweiflungsvolle Blicke
umher, er flößt Mitleid ein. Als er das letzte Goldstück verloren hatte, seufzte
er tief ans, wischte sich mit dem Tuche den Angstschweiß von der Stirn, blieb noch
einige Augenblicke wie betäubt auf seinem Platze und schlich dann langsam zur
Thür hinaus. Dem Unglücklichen mag schlecht zu Muthe sein auf der Heimfahrt! —
Auch ein deutscher Baron brachte sein Scherflein dar, ein blutjunger Mensch,
der gar keinen Begriff vom Spiel hatte, er verstand es nicht einmal, sein Glück
zu benutzen, was bekanntlich leichter sein soll, als im Unglück sich zu beherrschen.
— Der leidenschaftlichste und unglücklichste Spieler aber ist jener bleiche Mann
mit der karrirten Toilette, ein Straßburger Schneider; wie viele Millionen Na¬
delstiche mochten wohl erforderlich sein, um das Geld, was er hier in wenigen
Minuten der anonymen Gesellschaft zufließen ließ, wieder zu verdienen? — Aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/402>, abgerufen am 21.06.2024.