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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Jeder sich bemüht, ihnen artig zu sein. Ah, beide Damen sind bei vortrefflicher
Laune, sie scherzen und lachen und agaciren die Herren auf jede mögliche Weise.
Die lebhafte Unterhaltung dauert etwa ein halbes Stündchen, dann erheben sie
sich und lenken ihre Schritte dem Kursaal zu, die Mehrzahl der Herren folgt
ihnen auf dem Fuße. Sie kommen in unsere Nähe, nehmt die Lorgnette und be¬
trachtet sie genauer. -- Es sind zwei Schönheiten, wie man sie selten neben ein¬
ander sieht, und man weiß nicht, welcher von Beiden man den Preis zugestehen
soll. Sie habe" die Absicht in den Spielsaal zu gehen, um dort ihr Glück zu
versuchen. Sie sprechen das reinste Französisch, man muß sie für Französinnen
halten. Sollte mau nicht glauben, daß sie zur Crome der Gesellschaft gehören?
Tragen sie doch einen vornehmen Namen, und habe" die allernobelsten Manieren.
Die Größere, jene junonische Gestalt, stolz und majestätisch einherschreitend, mit
den dunkelblauen Augen und dem schwärmerischen Blick, nennt sich Gräfin de
Senneterre; und die Kleine, reizend und anmuthig, dahinschwebend wie eine Syl¬
phide, tragt den Namen eiues Fräuleins von Se. Lierre. Seit etwa drei Wochen
sind sie hier, man erzählt, sie seien von Paris hierher gekommen. Im Anfang
freilich war das Verhältniß der Damen anders: die Frau Gräfin lebte hier auf
einem sehr vornehmen Fuße, als xrimclö llamo, sie hatte eigne Equipage, zwei
männliche Domestiken, eine Kammerzofe, und bewohnte eins der elegantesten Hü-
tels. Doch der Schimmer war von kurzer Dauer, sie hatte gewagt, sich in einen
Kampf einzulassen mit der anonymen Gesellschaft; acht Tage hatte sie muthig ge¬
stritten ; aber wer vermag aus die Länge der Zauberkraft des Alles verschlingenden
Zero zu widerstehen? Auch sie erlitt eine vollkommene Niederlage, und ihr letzter
Napoleon rollte in den Orkus des grünen Tisches. Jetzt nahm Alles eine andere
Gestalt an: Die beiden Diener wurden entlasse", die Gesellschafterin, die man bis
dahin nur in dem hübschen kleidsamen Costüm eines Kammermädchens gesehen hatte,
erschien mit einemmale als vornehmes Fräulein in der elegantesten Toilette, und
wurde als Fräulein von Se. Lierre präsentirt. Diese Beiden lebten von da in Har¬
monie und Vertraulichkeit, mau sah sie unzertrennlich Arm in Arm. Die Herren¬
welt ward aufmerksam auf das reizende Paar, mau sprach mir von den beiden
bildschönen Pariserinnen, vornehme alte und junge Sünder umflatterten sie und
buhlten um ihre Gunst. Anfangs ward die Wahl schwer, sie schwankten längere
Zeit; aber sie wußten mit anerzogenen Takt die beiden Rechten, das heißt die
Reichsten ausfindig zu machen. Die Gräfin erkor sich zu ihrem Ritter einen jun¬
gen, steinreichen Lord, und die clävvant Kammerzofe entschied sich für einen alten
russischen Grafen.

Es ist zwar außerdem noch eine Menge andrer sehr respektabler junger und
alter Herren, welche die Hoffnung uoch nicht ausgegeben hat, den Einen oder
Andern der beiden Glücklichen aus dem Felde zu schlagen, doch es wird ihnen


Grenzbot-n. l. igso. 50

Jeder sich bemüht, ihnen artig zu sein. Ah, beide Damen sind bei vortrefflicher
Laune, sie scherzen und lachen und agaciren die Herren auf jede mögliche Weise.
Die lebhafte Unterhaltung dauert etwa ein halbes Stündchen, dann erheben sie
sich und lenken ihre Schritte dem Kursaal zu, die Mehrzahl der Herren folgt
ihnen auf dem Fuße. Sie kommen in unsere Nähe, nehmt die Lorgnette und be¬
trachtet sie genauer. — Es sind zwei Schönheiten, wie man sie selten neben ein¬
ander sieht, und man weiß nicht, welcher von Beiden man den Preis zugestehen
soll. Sie habe» die Absicht in den Spielsaal zu gehen, um dort ihr Glück zu
versuchen. Sie sprechen das reinste Französisch, man muß sie für Französinnen
halten. Sollte mau nicht glauben, daß sie zur Crome der Gesellschaft gehören?
Tragen sie doch einen vornehmen Namen, und habe» die allernobelsten Manieren.
Die Größere, jene junonische Gestalt, stolz und majestätisch einherschreitend, mit
den dunkelblauen Augen und dem schwärmerischen Blick, nennt sich Gräfin de
Senneterre; und die Kleine, reizend und anmuthig, dahinschwebend wie eine Syl¬
phide, tragt den Namen eiues Fräuleins von Se. Lierre. Seit etwa drei Wochen
sind sie hier, man erzählt, sie seien von Paris hierher gekommen. Im Anfang
freilich war das Verhältniß der Damen anders: die Frau Gräfin lebte hier auf
einem sehr vornehmen Fuße, als xrimclö llamo, sie hatte eigne Equipage, zwei
männliche Domestiken, eine Kammerzofe, und bewohnte eins der elegantesten Hü-
tels. Doch der Schimmer war von kurzer Dauer, sie hatte gewagt, sich in einen
Kampf einzulassen mit der anonymen Gesellschaft; acht Tage hatte sie muthig ge¬
stritten ; aber wer vermag aus die Länge der Zauberkraft des Alles verschlingenden
Zero zu widerstehen? Auch sie erlitt eine vollkommene Niederlage, und ihr letzter
Napoleon rollte in den Orkus des grünen Tisches. Jetzt nahm Alles eine andere
Gestalt an: Die beiden Diener wurden entlasse», die Gesellschafterin, die man bis
dahin nur in dem hübschen kleidsamen Costüm eines Kammermädchens gesehen hatte,
erschien mit einemmale als vornehmes Fräulein in der elegantesten Toilette, und
wurde als Fräulein von Se. Lierre präsentirt. Diese Beiden lebten von da in Har¬
monie und Vertraulichkeit, mau sah sie unzertrennlich Arm in Arm. Die Herren¬
welt ward aufmerksam auf das reizende Paar, mau sprach mir von den beiden
bildschönen Pariserinnen, vornehme alte und junge Sünder umflatterten sie und
buhlten um ihre Gunst. Anfangs ward die Wahl schwer, sie schwankten längere
Zeit; aber sie wußten mit anerzogenen Takt die beiden Rechten, das heißt die
Reichsten ausfindig zu machen. Die Gräfin erkor sich zu ihrem Ritter einen jun¬
gen, steinreichen Lord, und die clävvant Kammerzofe entschied sich für einen alten
russischen Grafen.

Es ist zwar außerdem noch eine Menge andrer sehr respektabler junger und
alter Herren, welche die Hoffnung uoch nicht ausgegeben hat, den Einen oder
Andern der beiden Glücklichen aus dem Felde zu schlagen, doch es wird ihnen


Grenzbot-n. l. igso. 50
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[0401] Jeder sich bemüht, ihnen artig zu sein. Ah, beide Damen sind bei vortrefflicher Laune, sie scherzen und lachen und agaciren die Herren auf jede mögliche Weise. Die lebhafte Unterhaltung dauert etwa ein halbes Stündchen, dann erheben sie sich und lenken ihre Schritte dem Kursaal zu, die Mehrzahl der Herren folgt ihnen auf dem Fuße. Sie kommen in unsere Nähe, nehmt die Lorgnette und be¬ trachtet sie genauer. — Es sind zwei Schönheiten, wie man sie selten neben ein¬ ander sieht, und man weiß nicht, welcher von Beiden man den Preis zugestehen soll. Sie habe» die Absicht in den Spielsaal zu gehen, um dort ihr Glück zu versuchen. Sie sprechen das reinste Französisch, man muß sie für Französinnen halten. Sollte mau nicht glauben, daß sie zur Crome der Gesellschaft gehören? Tragen sie doch einen vornehmen Namen, und habe» die allernobelsten Manieren. Die Größere, jene junonische Gestalt, stolz und majestätisch einherschreitend, mit den dunkelblauen Augen und dem schwärmerischen Blick, nennt sich Gräfin de Senneterre; und die Kleine, reizend und anmuthig, dahinschwebend wie eine Syl¬ phide, tragt den Namen eiues Fräuleins von Se. Lierre. Seit etwa drei Wochen sind sie hier, man erzählt, sie seien von Paris hierher gekommen. Im Anfang freilich war das Verhältniß der Damen anders: die Frau Gräfin lebte hier auf einem sehr vornehmen Fuße, als xrimclö llamo, sie hatte eigne Equipage, zwei männliche Domestiken, eine Kammerzofe, und bewohnte eins der elegantesten Hü- tels. Doch der Schimmer war von kurzer Dauer, sie hatte gewagt, sich in einen Kampf einzulassen mit der anonymen Gesellschaft; acht Tage hatte sie muthig ge¬ stritten ; aber wer vermag aus die Länge der Zauberkraft des Alles verschlingenden Zero zu widerstehen? Auch sie erlitt eine vollkommene Niederlage, und ihr letzter Napoleon rollte in den Orkus des grünen Tisches. Jetzt nahm Alles eine andere Gestalt an: Die beiden Diener wurden entlasse», die Gesellschafterin, die man bis dahin nur in dem hübschen kleidsamen Costüm eines Kammermädchens gesehen hatte, erschien mit einemmale als vornehmes Fräulein in der elegantesten Toilette, und wurde als Fräulein von Se. Lierre präsentirt. Diese Beiden lebten von da in Har¬ monie und Vertraulichkeit, mau sah sie unzertrennlich Arm in Arm. Die Herren¬ welt ward aufmerksam auf das reizende Paar, mau sprach mir von den beiden bildschönen Pariserinnen, vornehme alte und junge Sünder umflatterten sie und buhlten um ihre Gunst. Anfangs ward die Wahl schwer, sie schwankten längere Zeit; aber sie wußten mit anerzogenen Takt die beiden Rechten, das heißt die Reichsten ausfindig zu machen. Die Gräfin erkor sich zu ihrem Ritter einen jun¬ gen, steinreichen Lord, und die clävvant Kammerzofe entschied sich für einen alten russischen Grafen. Es ist zwar außerdem noch eine Menge andrer sehr respektabler junger und alter Herren, welche die Hoffnung uoch nicht ausgegeben hat, den Einen oder Andern der beiden Glücklichen aus dem Felde zu schlagen, doch es wird ihnen Grenzbot-n. l. igso. 50

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/401>, abgerufen am 21.06.2024.