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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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ter an und hören sie auf; Kinder und Greise sind possenhaft und grausam." ---
"Woraus geht dieser beständige Wechsel, dieser Wahnsinn, diese Hast im Zerstö¬
ren hervor? Es fehlt das Gegengewicht gegen die menschlichen Thorheiten, die
Religion." ^

-- Diesem tiefgefühlten Bedürfniß ist durch Danaer nun abgeholfen.*) --


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Die flämische Sprachbewegung und Hendrik Conseienee.



England, Frankreich und Nußland protegiren gern fremde Staaten, Deutsch¬
land protegirt fremde Literaturen. Unser jüngster Liebling war vor der Revolu¬
tion das Vlaementhum in Belgien. Die Stammverwandtschaft zwischen Flamän-
dern und Deutschen gebot und gebietet noch jetzt, der Sprachbewegnng in den
beiden Flandern, Antwerpen und Brabant einen Blick der Aufmerksamkeit zu
schenken, aber bei uns begann man damit, ans dem sanguinischsten Enthusiasmus
dafür eine nationale Pflicht zu machen; was ein ehrlicher Deutscher sein wollte,
prüfte nicht, sondern schwärmte, und es gab wenige Journale, die nicht, mit oder
ohne Verständniß, fortwährend über die Eroberungen des Deutschthums in Bel¬
gien trompeteten und darauf schwarzrotgoldene Berge bauten. Ich spreche nicht
von den Sachkundigen und Sprachforschern, wie Fallersleben u. A., sondern von
den Tagespolitikern. Unter den Letztern hat Kuranda indem Buch: "Belgien seit
seiner Revolution" deu Stand der Dinge am richtigsten und feinsten beurtheilt,
leider jedoch nicht ausführlich genug; unter den Enthusiasten blies Höslen in
der Augsburger Allgemeinen Zeitung die lauteste Posaune; aus denselben Blättern,
> wo er seine Kreuzzüge gegen die Wälschen in Brüssel unternahm, turnirten damals
zufällig Pulszky und Thun gegen einander, jener für die Hegemonie der Tschi-
kosche, dieser für die der Drathenbinder: ein Vorspiel des magyaroslavischen Racen-
krieges. Höslen ist jetzt in Wien und macht Propaganda für das Deutschthum in
Oestreich, worin er von kaiserlichen Beamten und militärischen Standrichtern wirk¬
sam unterstützt wird. Die deutsche Cultur würde auch auf friedlicheren Wegen
in Oestreich allmälig vordringen; gegen den slavischen Osten war sie stets siegreich,
gegen den romantischen Westen umgekehrt. In Oestreich lebt die deutsche Schrift¬
sprache, aus dem Stockhaus, wenn man will, aber sie lebt doch und wird die ein¬
zige Führerin zur Bildung und Freiheit bleiben: in Belgien steht ein verkümmertes



*) Das Rcisetagebuch nach dem Orient, im Vergleich mit dem von Lamartine im näch¬
sten Heft.

ter an und hören sie auf; Kinder und Greise sind possenhaft und grausam." —-
„Woraus geht dieser beständige Wechsel, dieser Wahnsinn, diese Hast im Zerstö¬
ren hervor? Es fehlt das Gegengewicht gegen die menschlichen Thorheiten, die
Religion." ^

— Diesem tiefgefühlten Bedürfniß ist durch Danaer nun abgeholfen.*) —


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Die flämische Sprachbewegung und Hendrik Conseienee.



England, Frankreich und Nußland protegiren gern fremde Staaten, Deutsch¬
land protegirt fremde Literaturen. Unser jüngster Liebling war vor der Revolu¬
tion das Vlaementhum in Belgien. Die Stammverwandtschaft zwischen Flamän-
dern und Deutschen gebot und gebietet noch jetzt, der Sprachbewegnng in den
beiden Flandern, Antwerpen und Brabant einen Blick der Aufmerksamkeit zu
schenken, aber bei uns begann man damit, ans dem sanguinischsten Enthusiasmus
dafür eine nationale Pflicht zu machen; was ein ehrlicher Deutscher sein wollte,
prüfte nicht, sondern schwärmte, und es gab wenige Journale, die nicht, mit oder
ohne Verständniß, fortwährend über die Eroberungen des Deutschthums in Bel¬
gien trompeteten und darauf schwarzrotgoldene Berge bauten. Ich spreche nicht
von den Sachkundigen und Sprachforschern, wie Fallersleben u. A., sondern von
den Tagespolitikern. Unter den Letztern hat Kuranda indem Buch: „Belgien seit
seiner Revolution" deu Stand der Dinge am richtigsten und feinsten beurtheilt,
leider jedoch nicht ausführlich genug; unter den Enthusiasten blies Höslen in
der Augsburger Allgemeinen Zeitung die lauteste Posaune; aus denselben Blättern,
> wo er seine Kreuzzüge gegen die Wälschen in Brüssel unternahm, turnirten damals
zufällig Pulszky und Thun gegen einander, jener für die Hegemonie der Tschi-
kosche, dieser für die der Drathenbinder: ein Vorspiel des magyaroslavischen Racen-
krieges. Höslen ist jetzt in Wien und macht Propaganda für das Deutschthum in
Oestreich, worin er von kaiserlichen Beamten und militärischen Standrichtern wirk¬
sam unterstützt wird. Die deutsche Cultur würde auch auf friedlicheren Wegen
in Oestreich allmälig vordringen; gegen den slavischen Osten war sie stets siegreich,
gegen den romantischen Westen umgekehrt. In Oestreich lebt die deutsche Schrift¬
sprache, aus dem Stockhaus, wenn man will, aber sie lebt doch und wird die ein¬
zige Führerin zur Bildung und Freiheit bleiben: in Belgien steht ein verkümmertes



*) Das Rcisetagebuch nach dem Orient, im Vergleich mit dem von Lamartine im näch¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/390>, abgerufen am 24.07.2024.