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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Jp. einem närrischen Buch des bekannten pietistischen Schneiders und Schul¬
meisters Jung-Stilliug, Geisterkunde genannt, das ziemlich in die nämliche Zeit
fällt, finden sich ähnliche Bilder vom Paradiese; der Unterschied der Bildung ist
wenig zu merken. -- Diese höllischen und himmlischen Mächte mischen sich bestän¬
dig in die Handlung auf der Erde, ganz wie im Birgil, nur werden die Göt¬
ter des Meeres n. s. w. durch Engel des Meeres ersetzt. Marie sendet den
Gabriel mit ihren Aufträgen an diese verschiedenen Engel; in dem Umgange un¬
ter denselben wird immer die pünktlichste Höflichkeit beobachtet. Wenn die dreige-
staltige Gottheit zürnt, so wendet sie sich an ihren Sohn: iVI-n-le monte vers
son eilf, eile entre alios I-l reAiou on l'^Kneim i-eAno im milieu it"8 24 plen-
um-ils (Apokalypse), eile 8'itvance ^ju8<^u' iwx pivtls "l'^mitiiuel, et s'iucliniliit äv-
vsot. lit secenile Lssence increee (wie Napoleons Mutter, die dem Kaiser die
Hand küßte): ki^a voix cle Raie ne pone-elle rien cliiMAer a In rigneur c>evv8
conseils? -- Wer kann da widerstehen! -- Mas die irdischen Gestalten betrifft,
so sind auf der einen Seite die Christen, die nicht allein alle sehr tugendhaft, son¬
dern anch sehr altklug sind, die vor Gericht staatskluge Reden halten mit den Ci-
ceronianischen Eingangsformeln der Bescheidenheit und der Eintheilung >in rei'u-
tittio, ilrg-umvllt-illo u. s. w.; von denen ein aufgeklärter Heide sagt: mir scheint,
daß die Sprache der Christen eine Art Poesie der Vernunft ist, und die auch Hel-
dengesänge haben, so gut wie die Homerischen. -- Auf der andern Seite die grie¬
chischen Heiden, die in einem wunderlich übertriebenen Homerischen polytheistischen
Jargon reden, und vollkommen überzeugt zu sein scheinen, daß die Götter schaa-
renweise aus der Erde herumziehen; druidische Priester, altgläubige Juden; am
schlimmsten kommen die römischen atheistischen Philosophen weg; dem einen ruft
Gott persönlich mit einer Donnerstimme zu: ^e 8u,8 Leim an est! fort mit dir
aus ewig in die Hölle! -- Das Gedicht spielt in allen Weltgegenden; alle histo¬
rischen Personen, die ungefähr in dieselbe Zeit gehören, finden darin ihre Stelle;
Schlachten, Martern aller Arten, Staatsgespräche, Irrfahrten n In Ulysses, alles
ist darin. -- Der Anfang, wie sich gebührt: Ich will erzählen n. s. w. Nu8v,
äkÜAiiez in'en in8trune. Zum Schluß wird sich bei der Muse bedankt.

Ist uun in diesem Gewebe eine Spur - ich will nicht sagen, von Men¬
schenverstand, sondern vou natürlichem religiösem Gefühl? Und das ist der neumo¬
dische Katholicismus! -- Und dann wagt so ein Franzose, uns Deutschen unsere
Mystik vorzuwerfen! "Deutschland, sagt er in seinen Studien, ist das Land der
Biederkeit, des Genius und der Träume; je unverständlicher die kalten Abstrac-
tionen ihrer Nebelgeister sind, desto größeren Enthusiasmus erregen sie unter die¬
sen Träumern, die sich einbilden, sie zu verstehn." --

An die Märtyrer knüpfe ich die Uebersetzung Miltons an. Sie hat Cha-
teaubriand einige dreißig Jahre beschäftigt, und wesentlich auf seinen Styl wie
auf seine Anschauungsweise eingewirkt. Seine Neuerungen in der französischen


Jp. einem närrischen Buch des bekannten pietistischen Schneiders und Schul¬
meisters Jung-Stilliug, Geisterkunde genannt, das ziemlich in die nämliche Zeit
fällt, finden sich ähnliche Bilder vom Paradiese; der Unterschied der Bildung ist
wenig zu merken. — Diese höllischen und himmlischen Mächte mischen sich bestän¬
dig in die Handlung auf der Erde, ganz wie im Birgil, nur werden die Göt¬
ter des Meeres n. s. w. durch Engel des Meeres ersetzt. Marie sendet den
Gabriel mit ihren Aufträgen an diese verschiedenen Engel; in dem Umgange un¬
ter denselben wird immer die pünktlichste Höflichkeit beobachtet. Wenn die dreige-
staltige Gottheit zürnt, so wendet sie sich an ihren Sohn: iVI-n-le monte vers
son eilf, eile entre alios I-l reAiou on l'^Kneim i-eAno im milieu it«8 24 plen-
um-ils (Apokalypse), eile 8'itvance ^ju8<^u' iwx pivtls «l'^mitiiuel, et s'iucliniliit äv-
vsot. lit secenile Lssence increee (wie Napoleons Mutter, die dem Kaiser die
Hand küßte): ki^a voix cle Raie ne pone-elle rien cliiMAer a In rigneur c>evv8
conseils? — Wer kann da widerstehen! — Mas die irdischen Gestalten betrifft,
so sind auf der einen Seite die Christen, die nicht allein alle sehr tugendhaft, son¬
dern anch sehr altklug sind, die vor Gericht staatskluge Reden halten mit den Ci-
ceronianischen Eingangsformeln der Bescheidenheit und der Eintheilung >in rei'u-
tittio, ilrg-umvllt-illo u. s. w.; von denen ein aufgeklärter Heide sagt: mir scheint,
daß die Sprache der Christen eine Art Poesie der Vernunft ist, und die auch Hel-
dengesänge haben, so gut wie die Homerischen. — Auf der andern Seite die grie¬
chischen Heiden, die in einem wunderlich übertriebenen Homerischen polytheistischen
Jargon reden, und vollkommen überzeugt zu sein scheinen, daß die Götter schaa-
renweise aus der Erde herumziehen; druidische Priester, altgläubige Juden; am
schlimmsten kommen die römischen atheistischen Philosophen weg; dem einen ruft
Gott persönlich mit einer Donnerstimme zu: ^e 8u,8 Leim an est! fort mit dir
aus ewig in die Hölle! — Das Gedicht spielt in allen Weltgegenden; alle histo¬
rischen Personen, die ungefähr in dieselbe Zeit gehören, finden darin ihre Stelle;
Schlachten, Martern aller Arten, Staatsgespräche, Irrfahrten n In Ulysses, alles
ist darin. — Der Anfang, wie sich gebührt: Ich will erzählen n. s. w. Nu8v,
äkÜAiiez in'en in8trune. Zum Schluß wird sich bei der Muse bedankt.

Ist uun in diesem Gewebe eine Spur - ich will nicht sagen, von Men¬
schenverstand, sondern vou natürlichem religiösem Gefühl? Und das ist der neumo¬
dische Katholicismus! — Und dann wagt so ein Franzose, uns Deutschen unsere
Mystik vorzuwerfen! „Deutschland, sagt er in seinen Studien, ist das Land der
Biederkeit, des Genius und der Träume; je unverständlicher die kalten Abstrac-
tionen ihrer Nebelgeister sind, desto größeren Enthusiasmus erregen sie unter die¬
sen Träumern, die sich einbilden, sie zu verstehn." —

An die Märtyrer knüpfe ich die Uebersetzung Miltons an. Sie hat Cha-
teaubriand einige dreißig Jahre beschäftigt, und wesentlich auf seinen Styl wie
auf seine Anschauungsweise eingewirkt. Seine Neuerungen in der französischen


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[0388] Jp. einem närrischen Buch des bekannten pietistischen Schneiders und Schul¬ meisters Jung-Stilliug, Geisterkunde genannt, das ziemlich in die nämliche Zeit fällt, finden sich ähnliche Bilder vom Paradiese; der Unterschied der Bildung ist wenig zu merken. — Diese höllischen und himmlischen Mächte mischen sich bestän¬ dig in die Handlung auf der Erde, ganz wie im Birgil, nur werden die Göt¬ ter des Meeres n. s. w. durch Engel des Meeres ersetzt. Marie sendet den Gabriel mit ihren Aufträgen an diese verschiedenen Engel; in dem Umgange un¬ ter denselben wird immer die pünktlichste Höflichkeit beobachtet. Wenn die dreige- staltige Gottheit zürnt, so wendet sie sich an ihren Sohn: iVI-n-le monte vers son eilf, eile entre alios I-l reAiou on l'^Kneim i-eAno im milieu it«8 24 plen- um-ils (Apokalypse), eile 8'itvance ^ju8<^u' iwx pivtls «l'^mitiiuel, et s'iucliniliit äv- vsot. lit secenile Lssence increee (wie Napoleons Mutter, die dem Kaiser die Hand küßte): ki^a voix cle Raie ne pone-elle rien cliiMAer a In rigneur c>evv8 conseils? — Wer kann da widerstehen! — Mas die irdischen Gestalten betrifft, so sind auf der einen Seite die Christen, die nicht allein alle sehr tugendhaft, son¬ dern anch sehr altklug sind, die vor Gericht staatskluge Reden halten mit den Ci- ceronianischen Eingangsformeln der Bescheidenheit und der Eintheilung >in rei'u- tittio, ilrg-umvllt-illo u. s. w.; von denen ein aufgeklärter Heide sagt: mir scheint, daß die Sprache der Christen eine Art Poesie der Vernunft ist, und die auch Hel- dengesänge haben, so gut wie die Homerischen. — Auf der andern Seite die grie¬ chischen Heiden, die in einem wunderlich übertriebenen Homerischen polytheistischen Jargon reden, und vollkommen überzeugt zu sein scheinen, daß die Götter schaa- renweise aus der Erde herumziehen; druidische Priester, altgläubige Juden; am schlimmsten kommen die römischen atheistischen Philosophen weg; dem einen ruft Gott persönlich mit einer Donnerstimme zu: ^e 8u,8 Leim an est! fort mit dir aus ewig in die Hölle! — Das Gedicht spielt in allen Weltgegenden; alle histo¬ rischen Personen, die ungefähr in dieselbe Zeit gehören, finden darin ihre Stelle; Schlachten, Martern aller Arten, Staatsgespräche, Irrfahrten n In Ulysses, alles ist darin. — Der Anfang, wie sich gebührt: Ich will erzählen n. s. w. Nu8v, äkÜAiiez in'en in8trune. Zum Schluß wird sich bei der Muse bedankt. Ist uun in diesem Gewebe eine Spur - ich will nicht sagen, von Men¬ schenverstand, sondern vou natürlichem religiösem Gefühl? Und das ist der neumo¬ dische Katholicismus! — Und dann wagt so ein Franzose, uns Deutschen unsere Mystik vorzuwerfen! „Deutschland, sagt er in seinen Studien, ist das Land der Biederkeit, des Genius und der Träume; je unverständlicher die kalten Abstrac- tionen ihrer Nebelgeister sind, desto größeren Enthusiasmus erregen sie unter die¬ sen Träumern, die sich einbilden, sie zu verstehn." — An die Märtyrer knüpfe ich die Uebersetzung Miltons an. Sie hat Cha- teaubriand einige dreißig Jahre beschäftigt, und wesentlich auf seinen Styl wie auf seine Anschauungsweise eingewirkt. Seine Neuerungen in der französischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/388>, abgerufen am 27.06.2024.