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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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wir nicht verstehen, denn damit befriedigt es ein tiefgefühltes Bedürfniß der mensch¬
lichen Natur. Nicht ohne Sehnsucht kann man an die Schönheit der alten Zeiten
zurückdenken, wo die Wälder nicht still, die Grotten nicht tief genug waren für
die Gläubigen, welche darin über die göttlichen Geheimnisse nachdachten! -- In
diesen Mysterien ist um so mehr Stoff für das Empfinden, je weniger bestimmten
Inhalt sie bieten. Während die protestantische Mystik in die einzelnen Dogmen
die ganze Tiefe ihrer Speculation zu versenken sucht, spielt der reflectirte Katholi¬
cismus mit anmuthigen Bildern um dieselben herum. So mit der Idee der
Dreieinigkeit, es lohnt nicht darauf einzugehen. Am gefälligsten stellt sich die Ge¬
stalt der Muttergottes der halbstnnlichen Phantasie gegenüber: "Maria ist die
Göttin der Unschuld, der Schwäche und des Leidens." -- Wie die Mysterien der
Dogmatik, so bieten auch die Gebräuche des christlichen Cultus den Sinnen und
der Phantasie eine unerschöpfliche Fülle von anmuthigen Bildern. "Diese Ge¬
bräuche sind schon darum von der höchsten Sittlichkeit, weil--unsere Väter
sie schon geübt, weil unsere Mütter sie an unserer Wiege gesungen haben, weil sie
das Grabmal unserer Ahnen beschatteten, ihrer Asche Frieden verliehen." So
könnte freilich jeder Fetischdiener seinen Glauben rechtfertigen. -- Die Sacra-
mente beglücken und heiligen das ganze Leben (Göthe hat einmal in Wahrheit
und Dichtung eine ähnliche Darstellung versucht). Mit der Geburt die Taufe,
mit der erwachenden Pubertät die Coufirnuitivn, die Vermählung des Menschen
mit dem Schöpfer. Dann folgt die Theilung in die ehelose und die eheliche
Welt (Priesterweihe, Ehe). Das Cölibat ist auch sittlich eine sehr gute Einrichtung,
weil sonst die Bevölkerung zu sehr zunähme!! Ueberdies sei die Jungfräulichkeit die
Vollendung der Schönheit. Ein Bienenstock wird der Gesellschaft als Muster vorge¬
halten; die tugendhaften Bienen bleiben keusch, ein einzelnes weibliches Individuum
übernimmt die Last der Foripflanzung. Das göttlichste Wesen ist der freie Weise,
ein Plato in der Wüste, nur mit dem Gedanken Gottes beschäftigt. -- Beichte,
Abendmahl setzen eben das irdische Leben in beständigen Rapport mit dem hinzu-
lischen; die letzte Oelung identificirt sie.

Folgt eine Theodicee, in den bekannten Redensarten dnrch beständige Einflechtung
sentimentaler Erinnerungen aus der Nrwaldsreise gewürzt. Im Anfang hätte es
keinen Tod gegeben. Die Einwendung, daß alsdann die Erde alle die geschaffenen
Wesen nicht hätte bergen können, will Nichts sagen, "denn wahrscheinlich wäre dann
der größte Theil der Menschen in heiliger Jungfranenschaft geblieben, oder die Millio¬
nen Sterne wären uns zu köstlichem Ruhesitz angewiesen und die Engel hätten
uns lebendig hingeführt."

Gottes Existenz wird von allen Thieren anerkannt, nur uuter den Menschen
gibt es Atheisten. -- Ich wüßte freilich nicht, wie die Rinder und Schaafe zum
Atheismus kommen sollten, denn der Atheismus setzt den Gedanken Gottes vor¬
aus. -- Selbst die leblose Natur hat Augenblicke der Feier, wo sie aus allen


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wir nicht verstehen, denn damit befriedigt es ein tiefgefühltes Bedürfniß der mensch¬
lichen Natur. Nicht ohne Sehnsucht kann man an die Schönheit der alten Zeiten
zurückdenken, wo die Wälder nicht still, die Grotten nicht tief genug waren für
die Gläubigen, welche darin über die göttlichen Geheimnisse nachdachten! — In
diesen Mysterien ist um so mehr Stoff für das Empfinden, je weniger bestimmten
Inhalt sie bieten. Während die protestantische Mystik in die einzelnen Dogmen
die ganze Tiefe ihrer Speculation zu versenken sucht, spielt der reflectirte Katholi¬
cismus mit anmuthigen Bildern um dieselben herum. So mit der Idee der
Dreieinigkeit, es lohnt nicht darauf einzugehen. Am gefälligsten stellt sich die Ge¬
stalt der Muttergottes der halbstnnlichen Phantasie gegenüber: „Maria ist die
Göttin der Unschuld, der Schwäche und des Leidens." — Wie die Mysterien der
Dogmatik, so bieten auch die Gebräuche des christlichen Cultus den Sinnen und
der Phantasie eine unerschöpfliche Fülle von anmuthigen Bildern. „Diese Ge¬
bräuche sind schon darum von der höchsten Sittlichkeit, weil--unsere Väter
sie schon geübt, weil unsere Mütter sie an unserer Wiege gesungen haben, weil sie
das Grabmal unserer Ahnen beschatteten, ihrer Asche Frieden verliehen." So
könnte freilich jeder Fetischdiener seinen Glauben rechtfertigen. — Die Sacra-
mente beglücken und heiligen das ganze Leben (Göthe hat einmal in Wahrheit
und Dichtung eine ähnliche Darstellung versucht). Mit der Geburt die Taufe,
mit der erwachenden Pubertät die Coufirnuitivn, die Vermählung des Menschen
mit dem Schöpfer. Dann folgt die Theilung in die ehelose und die eheliche
Welt (Priesterweihe, Ehe). Das Cölibat ist auch sittlich eine sehr gute Einrichtung,
weil sonst die Bevölkerung zu sehr zunähme!! Ueberdies sei die Jungfräulichkeit die
Vollendung der Schönheit. Ein Bienenstock wird der Gesellschaft als Muster vorge¬
halten; die tugendhaften Bienen bleiben keusch, ein einzelnes weibliches Individuum
übernimmt die Last der Foripflanzung. Das göttlichste Wesen ist der freie Weise,
ein Plato in der Wüste, nur mit dem Gedanken Gottes beschäftigt. — Beichte,
Abendmahl setzen eben das irdische Leben in beständigen Rapport mit dem hinzu-
lischen; die letzte Oelung identificirt sie.

Folgt eine Theodicee, in den bekannten Redensarten dnrch beständige Einflechtung
sentimentaler Erinnerungen aus der Nrwaldsreise gewürzt. Im Anfang hätte es
keinen Tod gegeben. Die Einwendung, daß alsdann die Erde alle die geschaffenen
Wesen nicht hätte bergen können, will Nichts sagen, „denn wahrscheinlich wäre dann
der größte Theil der Menschen in heiliger Jungfranenschaft geblieben, oder die Millio¬
nen Sterne wären uns zu köstlichem Ruhesitz angewiesen und die Engel hätten
uns lebendig hingeführt."

Gottes Existenz wird von allen Thieren anerkannt, nur uuter den Menschen
gibt es Atheisten. — Ich wüßte freilich nicht, wie die Rinder und Schaafe zum
Atheismus kommen sollten, denn der Atheismus setzt den Gedanken Gottes vor¬
aus. — Selbst die leblose Natur hat Augenblicke der Feier, wo sie aus allen


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[0379] wir nicht verstehen, denn damit befriedigt es ein tiefgefühltes Bedürfniß der mensch¬ lichen Natur. Nicht ohne Sehnsucht kann man an die Schönheit der alten Zeiten zurückdenken, wo die Wälder nicht still, die Grotten nicht tief genug waren für die Gläubigen, welche darin über die göttlichen Geheimnisse nachdachten! — In diesen Mysterien ist um so mehr Stoff für das Empfinden, je weniger bestimmten Inhalt sie bieten. Während die protestantische Mystik in die einzelnen Dogmen die ganze Tiefe ihrer Speculation zu versenken sucht, spielt der reflectirte Katholi¬ cismus mit anmuthigen Bildern um dieselben herum. So mit der Idee der Dreieinigkeit, es lohnt nicht darauf einzugehen. Am gefälligsten stellt sich die Ge¬ stalt der Muttergottes der halbstnnlichen Phantasie gegenüber: „Maria ist die Göttin der Unschuld, der Schwäche und des Leidens." — Wie die Mysterien der Dogmatik, so bieten auch die Gebräuche des christlichen Cultus den Sinnen und der Phantasie eine unerschöpfliche Fülle von anmuthigen Bildern. „Diese Ge¬ bräuche sind schon darum von der höchsten Sittlichkeit, weil--unsere Väter sie schon geübt, weil unsere Mütter sie an unserer Wiege gesungen haben, weil sie das Grabmal unserer Ahnen beschatteten, ihrer Asche Frieden verliehen." So könnte freilich jeder Fetischdiener seinen Glauben rechtfertigen. — Die Sacra- mente beglücken und heiligen das ganze Leben (Göthe hat einmal in Wahrheit und Dichtung eine ähnliche Darstellung versucht). Mit der Geburt die Taufe, mit der erwachenden Pubertät die Coufirnuitivn, die Vermählung des Menschen mit dem Schöpfer. Dann folgt die Theilung in die ehelose und die eheliche Welt (Priesterweihe, Ehe). Das Cölibat ist auch sittlich eine sehr gute Einrichtung, weil sonst die Bevölkerung zu sehr zunähme!! Ueberdies sei die Jungfräulichkeit die Vollendung der Schönheit. Ein Bienenstock wird der Gesellschaft als Muster vorge¬ halten; die tugendhaften Bienen bleiben keusch, ein einzelnes weibliches Individuum übernimmt die Last der Foripflanzung. Das göttlichste Wesen ist der freie Weise, ein Plato in der Wüste, nur mit dem Gedanken Gottes beschäftigt. — Beichte, Abendmahl setzen eben das irdische Leben in beständigen Rapport mit dem hinzu- lischen; die letzte Oelung identificirt sie. Folgt eine Theodicee, in den bekannten Redensarten dnrch beständige Einflechtung sentimentaler Erinnerungen aus der Nrwaldsreise gewürzt. Im Anfang hätte es keinen Tod gegeben. Die Einwendung, daß alsdann die Erde alle die geschaffenen Wesen nicht hätte bergen können, will Nichts sagen, „denn wahrscheinlich wäre dann der größte Theil der Menschen in heiliger Jungfranenschaft geblieben, oder die Millio¬ nen Sterne wären uns zu köstlichem Ruhesitz angewiesen und die Engel hätten uns lebendig hingeführt." Gottes Existenz wird von allen Thieren anerkannt, nur uuter den Menschen gibt es Atheisten. — Ich wüßte freilich nicht, wie die Rinder und Schaafe zum Atheismus kommen sollten, denn der Atheismus setzt den Gedanken Gottes vor¬ aus. — Selbst die leblose Natur hat Augenblicke der Feier, wo sie aus allen 47*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/379>, abgerufen am 27.06.2024.