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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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man als absichtlich manifestirten Widerwillen gegen den Ausschuß aufnahm. Ge¬
rüchte von beabsichtigten Demonstrationen, ja von beabsichtigter altböhmischer Ge¬
waltthätigkeit gegen Graf Thun tauchten auf, die Nationalgarde wurde entbo¬
ten, um durch ihre Anwesenheit Exzessen im Ausschusse vorzubeugen. Graf Thun
aber trotzte der Gefahr, betrat den Saal festen Schrittes und beorderte persönlich
die massenhaft ausgerückte Garde zum Abzug. Sein Muth imponirte der aller¬
dings Böses im Schilde führenden Galerie, keine Sitzung verlief ruhiger als
eben diese.

Die Flucht des Kaisers von Wien am 18. Mai wurde in Prag bekannt,
und erregte die Stadt in merkwürdiger, doch für die Dynastie höchst tröstlicher
Weise, alle Stände, alle Parteien sagten sich von Wien, von der brutalen Ge¬
waltthat los, und verdammten die Schwäche Pillersdorss, man wollte sich in Böh¬
men das Gesetz uicht diktiren lassen von einem durch die Wiener Barrikaden be¬
herrschten Ministerium.

Graf Thun, nicht in revolutionärer, uicht, -- wie ihm sehr irrsam von der
allgemeinen Augsburger Zeitung vorgeworfen wurde, in czechisch separatistischer
Tendenz, beschloß im Einverständnisse mit Erzherzog Karl Ferdinand sich mit ei¬
ner Consulta aus Männern des Volksvertranens zu umgeben, und mit dem Bei¬
rathe dieser, für die dauernde Barrikadenblokade des Ministeriums Pillersdorf, die
böhmischen Angelegenheiten selbstständig, jedoch mit Vorbehalt kaiserlicher Sanction
zu leiten; er sandte eine Deputation an den Kaiser nach Innsbruck, Graf Albert
Nostitz und Rieger waren die Deputirten, um die Sanction dieses Antrages
zu erwirken; doch traten die Männer jenes Beiraths nicht in Function, der kai¬
serliche Entschluß sollte abgewartet werden, er fiel verneinend aus.

. Dies ist die einfache Geschichte der angeblichen provisorischen Revolutions¬
regierung Böhmens, die eigentlich nur eine, vielleicht überloyale Negation des
15. Mai Wiens gewesen war, welchen Graf Thun als Beamter seines Kaisers
entschieden mißbilligte.

Daß im Nationalausschusse von einzelnen, vielleicht von vielen, die Idee sich
ebenfalls mag geltend gemacht haben, den 15. Mai zu benutzen, und eine provi¬
sorische Regierung im anderen Sinne, zu errichten, ist nicht unmöglich, jedoch
durch nichts, insbesondere dnrch keinen gestellten Antrag bewiesen, vielleicht hat
Graf Thun einem solchen Schritte eben durch seine Maßnahmen zuvorkommen
wollen.

Die Verhältnisse wurden täglich krauser, das Soldatenthum durch den ange¬
strengten Dienst, zu welchem Fürst Windischgrätz dasselbe beinahe absichtlich anhielt,
täglich erbitterter, Fürst Windischgrätz täglich verhaßter, besonders, seit er eine große
Revue veranlaßt, sich gegen die Dienstvorschrift von der Mannschaft auf gut
russisch mit Hurrah's hatte begrüßen lassen, und eine aufregende Ansprache an die
Soldaten in sehr doppelsinnigen Corporalstyl gehalten hatte. In Folge dieser


man als absichtlich manifestirten Widerwillen gegen den Ausschuß aufnahm. Ge¬
rüchte von beabsichtigten Demonstrationen, ja von beabsichtigter altböhmischer Ge¬
waltthätigkeit gegen Graf Thun tauchten auf, die Nationalgarde wurde entbo¬
ten, um durch ihre Anwesenheit Exzessen im Ausschusse vorzubeugen. Graf Thun
aber trotzte der Gefahr, betrat den Saal festen Schrittes und beorderte persönlich
die massenhaft ausgerückte Garde zum Abzug. Sein Muth imponirte der aller¬
dings Böses im Schilde führenden Galerie, keine Sitzung verlief ruhiger als
eben diese.

Die Flucht des Kaisers von Wien am 18. Mai wurde in Prag bekannt,
und erregte die Stadt in merkwürdiger, doch für die Dynastie höchst tröstlicher
Weise, alle Stände, alle Parteien sagten sich von Wien, von der brutalen Ge¬
waltthat los, und verdammten die Schwäche Pillersdorss, man wollte sich in Böh¬
men das Gesetz uicht diktiren lassen von einem durch die Wiener Barrikaden be¬
herrschten Ministerium.

Graf Thun, nicht in revolutionärer, uicht, — wie ihm sehr irrsam von der
allgemeinen Augsburger Zeitung vorgeworfen wurde, in czechisch separatistischer
Tendenz, beschloß im Einverständnisse mit Erzherzog Karl Ferdinand sich mit ei¬
ner Consulta aus Männern des Volksvertranens zu umgeben, und mit dem Bei¬
rathe dieser, für die dauernde Barrikadenblokade des Ministeriums Pillersdorf, die
böhmischen Angelegenheiten selbstständig, jedoch mit Vorbehalt kaiserlicher Sanction
zu leiten; er sandte eine Deputation an den Kaiser nach Innsbruck, Graf Albert
Nostitz und Rieger waren die Deputirten, um die Sanction dieses Antrages
zu erwirken; doch traten die Männer jenes Beiraths nicht in Function, der kai¬
serliche Entschluß sollte abgewartet werden, er fiel verneinend aus.

. Dies ist die einfache Geschichte der angeblichen provisorischen Revolutions¬
regierung Böhmens, die eigentlich nur eine, vielleicht überloyale Negation des
15. Mai Wiens gewesen war, welchen Graf Thun als Beamter seines Kaisers
entschieden mißbilligte.

Daß im Nationalausschusse von einzelnen, vielleicht von vielen, die Idee sich
ebenfalls mag geltend gemacht haben, den 15. Mai zu benutzen, und eine provi¬
sorische Regierung im anderen Sinne, zu errichten, ist nicht unmöglich, jedoch
durch nichts, insbesondere dnrch keinen gestellten Antrag bewiesen, vielleicht hat
Graf Thun einem solchen Schritte eben durch seine Maßnahmen zuvorkommen
wollen.

Die Verhältnisse wurden täglich krauser, das Soldatenthum durch den ange¬
strengten Dienst, zu welchem Fürst Windischgrätz dasselbe beinahe absichtlich anhielt,
täglich erbitterter, Fürst Windischgrätz täglich verhaßter, besonders, seit er eine große
Revue veranlaßt, sich gegen die Dienstvorschrift von der Mannschaft auf gut
russisch mit Hurrah's hatte begrüßen lassen, und eine aufregende Ansprache an die
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/36>, abgerufen am 24.07.2024.