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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Thun von Prag, und wies ihm einen Dienstposten in Wien, früher bei der Lan¬
desregierung, später bei der obersten Verwaltungsbehörde zu und attachirte ihn
später nach den galizischen Wirren dem Grafen Rudolph Stadion, welcher in seiner
kurzen Wirksamkeit in Galizien wenig entsprach, im Jahre 48 aber in Prag seine
entschiedene Unfähigkeit bedauerlich bethätigte.

Nicht ohne Einwirkung der im April 48 nach Wien abgegangenen, gleichsam
revolutionären zweiten Deputation Prags, wurde der noch immer in Galizien
weilende Leo Graf Thun an die Stelle des durchaus abgenutzten indolenten Grafen
Rudolph Stadion zum Landespräsidenten Böhmens ernannt. Jene Deputation
hatte sich ihn als eifrigen Unterstützer der Nativnalsache gedacht, und erwartete in
ihm als Landespräsidenten eine kräftige Stütze zu finden, obwohl kurz zuvor Graf
Thun in Galizien wegen zu starren und terroristischen Auftretens gezwungen ge¬
wesen war, sich durch einen kühnen Sprung dnrch ein Fenster vor thätlichen In¬
sulten zu bewahre".

Graf Thun trat sein Amt in Prag zu einer Zeit an, als durch die unbe¬
greiflichste Feigheit und Lethargie des Grafen Rudolph Stadion und seines Sekre¬
tärs, welcher nächstens Kreispräsident werden soll, weil er Graf ist, der Boden
tief aufgewühlt, die Massen erregt und anarchischen Zustände angebrochen, die Ge¬
müther besonders dadurch tief ergrimmt waren, daß man den verhaßten Fürsten
Windischgrätz, gegen welchen die Wiener Protest eingelegt hatten, den Böhmen
dennoch wieder als Militärchef zugesendet hatte, gegen welchen ausschlie¬
ßend allein die Prager Junibewegung gerichtet gewesen.

Der halbrevolutionäre, obwohl von der Wiener Regierung halb anerkannte
Nationalausschuß war unter dem Scheinpräsidium Stations zwar zur Macht
gelangt, stand jedoch unter dem Einflüsse der Straße und der ganz indisciplinirlen
Galerie, welche ungezügelt durch Beifalls - und Mißfallensäußerung den Beschlüssen
die Richtung gab, welche ihr zusagte.

Die Straße war erregt, die Emeuten drängten sich, von der Nationalgarde von
Tag zu Tag mühsamer unterdrückt und im Zaume gehalten, den Juden war der
Krieg erklärt, alle Behörden waren lahm, -- in diesem Zustande übernahm Graf
Thun aus den behandschuhten, parfümirten Händen Stations die Zügel der Re¬
gierung. Das Volk erhielt Kenntniß von dem Amtsantritte des Grafen Thun
durch einen von diesem unterzeichneten öffentlichen Anschlag, welcher diese anb¬
recht s verbarg ung in unmittelbare Aussicht stellte; natürlich konnte dieser erste
Regierungsakt die Gemüther nur feindlich stimmen.

Bei der Uebernahme des Präsidiums im Nationalausschusse unterließ es Graf
Thun, dem leider die Gabe fließender Rede auch in deutscher Sprache nicht eigen
ist, die Gemüther durch eine passende Eingangsrede zu gewinnen; in jenen Tagen
war die Macht der Rede die allein wirksame.

Graf Thun prästdirte mit einer gewissen Barschheit und Einsylbigkeit, die


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Thun von Prag, und wies ihm einen Dienstposten in Wien, früher bei der Lan¬
desregierung, später bei der obersten Verwaltungsbehörde zu und attachirte ihn
später nach den galizischen Wirren dem Grafen Rudolph Stadion, welcher in seiner
kurzen Wirksamkeit in Galizien wenig entsprach, im Jahre 48 aber in Prag seine
entschiedene Unfähigkeit bedauerlich bethätigte.

Nicht ohne Einwirkung der im April 48 nach Wien abgegangenen, gleichsam
revolutionären zweiten Deputation Prags, wurde der noch immer in Galizien
weilende Leo Graf Thun an die Stelle des durchaus abgenutzten indolenten Grafen
Rudolph Stadion zum Landespräsidenten Böhmens ernannt. Jene Deputation
hatte sich ihn als eifrigen Unterstützer der Nativnalsache gedacht, und erwartete in
ihm als Landespräsidenten eine kräftige Stütze zu finden, obwohl kurz zuvor Graf
Thun in Galizien wegen zu starren und terroristischen Auftretens gezwungen ge¬
wesen war, sich durch einen kühnen Sprung dnrch ein Fenster vor thätlichen In¬
sulten zu bewahre».

Graf Thun trat sein Amt in Prag zu einer Zeit an, als durch die unbe¬
greiflichste Feigheit und Lethargie des Grafen Rudolph Stadion und seines Sekre¬
tärs, welcher nächstens Kreispräsident werden soll, weil er Graf ist, der Boden
tief aufgewühlt, die Massen erregt und anarchischen Zustände angebrochen, die Ge¬
müther besonders dadurch tief ergrimmt waren, daß man den verhaßten Fürsten
Windischgrätz, gegen welchen die Wiener Protest eingelegt hatten, den Böhmen
dennoch wieder als Militärchef zugesendet hatte, gegen welchen ausschlie¬
ßend allein die Prager Junibewegung gerichtet gewesen.

Der halbrevolutionäre, obwohl von der Wiener Regierung halb anerkannte
Nationalausschuß war unter dem Scheinpräsidium Stations zwar zur Macht
gelangt, stand jedoch unter dem Einflüsse der Straße und der ganz indisciplinirlen
Galerie, welche ungezügelt durch Beifalls - und Mißfallensäußerung den Beschlüssen
die Richtung gab, welche ihr zusagte.

Die Straße war erregt, die Emeuten drängten sich, von der Nationalgarde von
Tag zu Tag mühsamer unterdrückt und im Zaume gehalten, den Juden war der
Krieg erklärt, alle Behörden waren lahm, — in diesem Zustande übernahm Graf
Thun aus den behandschuhten, parfümirten Händen Stations die Zügel der Re¬
gierung. Das Volk erhielt Kenntniß von dem Amtsantritte des Grafen Thun
durch einen von diesem unterzeichneten öffentlichen Anschlag, welcher diese anb¬
recht s verbarg ung in unmittelbare Aussicht stellte; natürlich konnte dieser erste
Regierungsakt die Gemüther nur feindlich stimmen.

Bei der Uebernahme des Präsidiums im Nationalausschusse unterließ es Graf
Thun, dem leider die Gabe fließender Rede auch in deutscher Sprache nicht eigen
ist, die Gemüther durch eine passende Eingangsrede zu gewinnen; in jenen Tagen
war die Macht der Rede die allein wirksame.

Graf Thun prästdirte mit einer gewissen Barschheit und Einsylbigkeit, die


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[0035] Thun von Prag, und wies ihm einen Dienstposten in Wien, früher bei der Lan¬ desregierung, später bei der obersten Verwaltungsbehörde zu und attachirte ihn später nach den galizischen Wirren dem Grafen Rudolph Stadion, welcher in seiner kurzen Wirksamkeit in Galizien wenig entsprach, im Jahre 48 aber in Prag seine entschiedene Unfähigkeit bedauerlich bethätigte. Nicht ohne Einwirkung der im April 48 nach Wien abgegangenen, gleichsam revolutionären zweiten Deputation Prags, wurde der noch immer in Galizien weilende Leo Graf Thun an die Stelle des durchaus abgenutzten indolenten Grafen Rudolph Stadion zum Landespräsidenten Böhmens ernannt. Jene Deputation hatte sich ihn als eifrigen Unterstützer der Nativnalsache gedacht, und erwartete in ihm als Landespräsidenten eine kräftige Stütze zu finden, obwohl kurz zuvor Graf Thun in Galizien wegen zu starren und terroristischen Auftretens gezwungen ge¬ wesen war, sich durch einen kühnen Sprung dnrch ein Fenster vor thätlichen In¬ sulten zu bewahre». Graf Thun trat sein Amt in Prag zu einer Zeit an, als durch die unbe¬ greiflichste Feigheit und Lethargie des Grafen Rudolph Stadion und seines Sekre¬ tärs, welcher nächstens Kreispräsident werden soll, weil er Graf ist, der Boden tief aufgewühlt, die Massen erregt und anarchischen Zustände angebrochen, die Ge¬ müther besonders dadurch tief ergrimmt waren, daß man den verhaßten Fürsten Windischgrätz, gegen welchen die Wiener Protest eingelegt hatten, den Böhmen dennoch wieder als Militärchef zugesendet hatte, gegen welchen ausschlie¬ ßend allein die Prager Junibewegung gerichtet gewesen. Der halbrevolutionäre, obwohl von der Wiener Regierung halb anerkannte Nationalausschuß war unter dem Scheinpräsidium Stations zwar zur Macht gelangt, stand jedoch unter dem Einflüsse der Straße und der ganz indisciplinirlen Galerie, welche ungezügelt durch Beifalls - und Mißfallensäußerung den Beschlüssen die Richtung gab, welche ihr zusagte. Die Straße war erregt, die Emeuten drängten sich, von der Nationalgarde von Tag zu Tag mühsamer unterdrückt und im Zaume gehalten, den Juden war der Krieg erklärt, alle Behörden waren lahm, — in diesem Zustande übernahm Graf Thun aus den behandschuhten, parfümirten Händen Stations die Zügel der Re¬ gierung. Das Volk erhielt Kenntniß von dem Amtsantritte des Grafen Thun durch einen von diesem unterzeichneten öffentlichen Anschlag, welcher diese anb¬ recht s verbarg ung in unmittelbare Aussicht stellte; natürlich konnte dieser erste Regierungsakt die Gemüther nur feindlich stimmen. Bei der Uebernahme des Präsidiums im Nationalausschusse unterließ es Graf Thun, dem leider die Gabe fließender Rede auch in deutscher Sprache nicht eigen ist, die Gemüther durch eine passende Eingangsrede zu gewinnen; in jenen Tagen war die Macht der Rede die allein wirksame. Graf Thun prästdirte mit einer gewissen Barschheit und Einsylbigkeit, die 4*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/35>, abgerufen am 20.06.2024.