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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Revue wurden die Kanonen in alle Stadtviertel vertheilt, und die Bevölkerung
auf feindliche Absichten aufmerksam gemacht, die Studentenschaft von Agitatoren
Wiens zu dem trotzigen Verlangen nach Kanonen aufgestachelt. Ueberall lag der
Zündstoff des Hasses, der Erbitterung, der infamen Verdächtigung des Volkes
in Massen angehäuft, ein Funke nur, und aufloderte die Flamme. Man verstand
es, für diesen Funken zu sorgen, und der Juuibrand war los, die Leidenschaften
waren entfesselt, das Soldatenthum im Momente zur wilde" Bestie umgestaltet. Wir
unterlassen es, die Schauerseenen zu erzählen, sie sind durch die Mordscenen Wiens
und so vieler anderen unglücklichen Städte Oestreichs überboten; doch in Mailand
und Prag begann der Bürgerkrieg, der in seinen Nachwehen Oestreich zu Grunde
zu richten-droht, läßt man nicht ab von dem System der Gewalt. Graf Thun
war all den Vorgängen fremd, in seiner inkarnirten Loyalität, in seiner Nachsichts-
losigkeit für menschliche Leidenschaft und Schwäche, war das Ereigniß ihm ein
Greuel, ein Volksverbrechen; Graf Thun dachte wohl nicht an die Möglichkeit
der Provocation, er ahnte nicht, was wir heute zu wissen glauben, daß in
der Armee der Plan gewaltsamer Unterdrückung, selbst gegen kaiserlichen Willen,
seit lange gehegt, und zur Reife gekommen war. Graf Thun eilte muthig, allein,
ohne Begleitung nach dem Platze, wo der Kampf eben begonnen; von Proleta¬
riern erkannt und insultirt, wurde er durch einen Studenten geschützt und in das
Clementinum geführt, wo die Studentenschaft sich verbarrikadirend, den Grafen
zum Gefangenen machte, um in seinem Besitze Garantie für die eigene Sicherheit
und den gütlichen Ausgang des Kampfes zu finden. Fürst Windischgrätz aber ließ
munter gegen die Barrikaden kanoniren. Man brachte dem Grafen schußwarme
Kanonenkugeln, und drang in ihn, aus der Gefangenschaft Sistirnng des Kam¬
pfes zu diktiren; Graf Thun verweigerte jedes Zugeständniß mit eiserner Stand-
haftigkeit auch dann, als das Clementinum sich mit bewaffneten Arbeitern füllte;
er betheuerte fest, so lange er Gefangener sei, nehme er keinen Einfluß auf die
Sache, man möge ihn morden, er werde seiner Pflicht willig zum Opfer fallen.
Thun's Festigkeit imponirte den jungen Leuten, die ihn bewachten und zugleich
beschützten. Franz Palacky, der stille Gelehrte, hatte den Muth, unter die erregte
Masse zu treten , er bewies den Studenten die Fruchtlosigkeit fernerer Gefangen-
haltung, das Herannahen der auf sich selbst gewiesenen Militärübermacht, seine
Rede hatte Erfolg; an Palacky's Arm verließ Graf Thun seine Haft, und rief
starr und düster den Studenten zu: "ich gehe, doch ohne Bedingung, ohne irgend
eine Verpflichtung, ich mache durchaus kein Zugeständniß;" -- Palacky rief ihm
erbittert zu: "die jungen Leute haben auch nichts von Ihnen verlangt, ich aber
erwarte von Ihnen, daß Sie sich nicht rächen werden." -- "Ich räche mich niemals,"
war Thun's kalte Antwort. Doch er hat Wort gehalten, und das rühmen wir
ihm ehrlich nach.

Mitten durch das erbitterte Volk, von bewaffneten Proletariern geleitet, ging


Revue wurden die Kanonen in alle Stadtviertel vertheilt, und die Bevölkerung
auf feindliche Absichten aufmerksam gemacht, die Studentenschaft von Agitatoren
Wiens zu dem trotzigen Verlangen nach Kanonen aufgestachelt. Ueberall lag der
Zündstoff des Hasses, der Erbitterung, der infamen Verdächtigung des Volkes
in Massen angehäuft, ein Funke nur, und aufloderte die Flamme. Man verstand
es, für diesen Funken zu sorgen, und der Juuibrand war los, die Leidenschaften
waren entfesselt, das Soldatenthum im Momente zur wilde» Bestie umgestaltet. Wir
unterlassen es, die Schauerseenen zu erzählen, sie sind durch die Mordscenen Wiens
und so vieler anderen unglücklichen Städte Oestreichs überboten; doch in Mailand
und Prag begann der Bürgerkrieg, der in seinen Nachwehen Oestreich zu Grunde
zu richten-droht, läßt man nicht ab von dem System der Gewalt. Graf Thun
war all den Vorgängen fremd, in seiner inkarnirten Loyalität, in seiner Nachsichts-
losigkeit für menschliche Leidenschaft und Schwäche, war das Ereigniß ihm ein
Greuel, ein Volksverbrechen; Graf Thun dachte wohl nicht an die Möglichkeit
der Provocation, er ahnte nicht, was wir heute zu wissen glauben, daß in
der Armee der Plan gewaltsamer Unterdrückung, selbst gegen kaiserlichen Willen,
seit lange gehegt, und zur Reife gekommen war. Graf Thun eilte muthig, allein,
ohne Begleitung nach dem Platze, wo der Kampf eben begonnen; von Proleta¬
riern erkannt und insultirt, wurde er durch einen Studenten geschützt und in das
Clementinum geführt, wo die Studentenschaft sich verbarrikadirend, den Grafen
zum Gefangenen machte, um in seinem Besitze Garantie für die eigene Sicherheit
und den gütlichen Ausgang des Kampfes zu finden. Fürst Windischgrätz aber ließ
munter gegen die Barrikaden kanoniren. Man brachte dem Grafen schußwarme
Kanonenkugeln, und drang in ihn, aus der Gefangenschaft Sistirnng des Kam¬
pfes zu diktiren; Graf Thun verweigerte jedes Zugeständniß mit eiserner Stand-
haftigkeit auch dann, als das Clementinum sich mit bewaffneten Arbeitern füllte;
er betheuerte fest, so lange er Gefangener sei, nehme er keinen Einfluß auf die
Sache, man möge ihn morden, er werde seiner Pflicht willig zum Opfer fallen.
Thun's Festigkeit imponirte den jungen Leuten, die ihn bewachten und zugleich
beschützten. Franz Palacky, der stille Gelehrte, hatte den Muth, unter die erregte
Masse zu treten , er bewies den Studenten die Fruchtlosigkeit fernerer Gefangen-
haltung, das Herannahen der auf sich selbst gewiesenen Militärübermacht, seine
Rede hatte Erfolg; an Palacky's Arm verließ Graf Thun seine Haft, und rief
starr und düster den Studenten zu: „ich gehe, doch ohne Bedingung, ohne irgend
eine Verpflichtung, ich mache durchaus kein Zugeständniß;" — Palacky rief ihm
erbittert zu: „die jungen Leute haben auch nichts von Ihnen verlangt, ich aber
erwarte von Ihnen, daß Sie sich nicht rächen werden." — „Ich räche mich niemals,"
war Thun's kalte Antwort. Doch er hat Wort gehalten, und das rühmen wir
ihm ehrlich nach.

Mitten durch das erbitterte Volk, von bewaffneten Proletariern geleitet, ging


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/37>, abgerufen am 04.07.2024.