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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Grüße erwiederte er mit diesen Worten. Seine Verbannung hatte ihm Geist und
Leib entmannt.

Die Furcht der Freigelassenen, das Gebot der Verschwiegenheit zu verletzen,
ist genügend morivirt, denn Niemand wird so von Spionen geprüft, versucht und
beobachtet als sie. Ueberall lauert man ihnen auf, schleicht ihnen nach und sucht
ihnen mit Worten beizukommen, sie in Gespräche zu ziehen, ihre Schweigsamkeit
zu prüfen, ihren Gemüthszustand und ihre Ideen zu erforschen. Freilich hat es
von der Polizeibehörde einigen Grund, zu glauben, daß diese unglücklichen Men¬
schen an Herzensempörung leiden und mit verzweifelten Racheplänen umgehen,
wenn ihnen nämlich die Kraft geblieben ist, überhaupt etwas Ernstes zu wollen.

Die gefährlichste Klasse der russischen Spione im Königreich Polen ist übri¬
gens wohl die, welche in den höhern Klassen der Gesellschaft hernmschleicht. Sie
gehören größeren Theils dem Offizier- und Beamtenstande an und sind besonders
darum gefährlich, weil ihnen alle Mittel zu Gebote stehn, sich in engere Familien¬
zirkel einzuschleichen. In Weinkellern, Theatern und Concerten, beim Promeniren
im sächsischen und krasinskischen Garten u. s. w. hängen sie sich an, wenn man
den Anstrich eines Gentleman hat, drängen sich, fest an einem hängend, mit in
Haus und Wohnung, beweisen sich beim ersten Abend vertraut, zugethan, freund¬
schaftlich, laden sich für den nächsten Abend selbst ein und kommen am dritten
und vierten Abende uneingeladen. Bei dem allgemeinen Mißtrauen, welches ge¬
genwärtig wie ein stinkender Molch auf dem Leben der Polen kriecht, sind na¬
türlich solche Gäste stets die Verderber der Gesellschaft, obgleich sie mit gesell¬
schaftlichen Talenten nicht schlecht ausgestattet sind und gute Gesellschafter abgeben.
Sie sprechen meist gleich gut russisch, polnisch, deutsch und französisch, sind zuwei¬
len gute Sänger oder Klavierspieler, wissen stets viel von großen Erlebnissen zu
erzählen und tragen im Kopfe vorzügliche Anecdotenvorräthe. Demungeachtet pflegt
alles zu schweigen und sich zurückzuziehen, wo ein solcher Gast sich eindrängt. Bei
einem reichen Fabrikanten, mit dem ich in Verbindung stand, wurde einst der Fa-
milienball zur Weihnacht, obschon bereits derselbe begonnen hatte-, aus einen an-
, dem Tag verschoben, weil ein solcher Spion erschienen war. Alles ging ausein¬
ander und wir glaubten, daß sich nun auch der Spion entfernen werde. Allein
er blieb bis zwei Uhr des Morgens zur größten Last derer, die in die Familie
gehörten. Wie sehr man ihm auch bewies, daß er ein ungern gesehener Gast sei,
so spielte er doch mit der größten Uugenirtheit und Aufdringlichkeit die Rolle des
Ratte-s elf plaisir fort. Da er den Tag des verschobenen Weihnachtsballes beim
Fabrikwächter erkundschaftet hatte und auch bei dem spätern Feste erschien, so wurde
derselbe abermals abgebrochen und für unbestimmte Zeit aufgeschoben.

Man hat in Deutschland keinen Begriff von der Zudringlichkeit dieser Spione.
Wollte man ihnen geradezu sagen, daß sie als ungebetene Gäste die Gesellschaft
stören und sich deshalb entscvncn möchten, so würden sie Ja sagen und doch blei-


Grüße erwiederte er mit diesen Worten. Seine Verbannung hatte ihm Geist und
Leib entmannt.

Die Furcht der Freigelassenen, das Gebot der Verschwiegenheit zu verletzen,
ist genügend morivirt, denn Niemand wird so von Spionen geprüft, versucht und
beobachtet als sie. Ueberall lauert man ihnen auf, schleicht ihnen nach und sucht
ihnen mit Worten beizukommen, sie in Gespräche zu ziehen, ihre Schweigsamkeit
zu prüfen, ihren Gemüthszustand und ihre Ideen zu erforschen. Freilich hat es
von der Polizeibehörde einigen Grund, zu glauben, daß diese unglücklichen Men¬
schen an Herzensempörung leiden und mit verzweifelten Racheplänen umgehen,
wenn ihnen nämlich die Kraft geblieben ist, überhaupt etwas Ernstes zu wollen.

Die gefährlichste Klasse der russischen Spione im Königreich Polen ist übri¬
gens wohl die, welche in den höhern Klassen der Gesellschaft hernmschleicht. Sie
gehören größeren Theils dem Offizier- und Beamtenstande an und sind besonders
darum gefährlich, weil ihnen alle Mittel zu Gebote stehn, sich in engere Familien¬
zirkel einzuschleichen. In Weinkellern, Theatern und Concerten, beim Promeniren
im sächsischen und krasinskischen Garten u. s. w. hängen sie sich an, wenn man
den Anstrich eines Gentleman hat, drängen sich, fest an einem hängend, mit in
Haus und Wohnung, beweisen sich beim ersten Abend vertraut, zugethan, freund¬
schaftlich, laden sich für den nächsten Abend selbst ein und kommen am dritten
und vierten Abende uneingeladen. Bei dem allgemeinen Mißtrauen, welches ge¬
genwärtig wie ein stinkender Molch auf dem Leben der Polen kriecht, sind na¬
türlich solche Gäste stets die Verderber der Gesellschaft, obgleich sie mit gesell¬
schaftlichen Talenten nicht schlecht ausgestattet sind und gute Gesellschafter abgeben.
Sie sprechen meist gleich gut russisch, polnisch, deutsch und französisch, sind zuwei¬
len gute Sänger oder Klavierspieler, wissen stets viel von großen Erlebnissen zu
erzählen und tragen im Kopfe vorzügliche Anecdotenvorräthe. Demungeachtet pflegt
alles zu schweigen und sich zurückzuziehen, wo ein solcher Gast sich eindrängt. Bei
einem reichen Fabrikanten, mit dem ich in Verbindung stand, wurde einst der Fa-
milienball zur Weihnacht, obschon bereits derselbe begonnen hatte-, aus einen an-
, dem Tag verschoben, weil ein solcher Spion erschienen war. Alles ging ausein¬
ander und wir glaubten, daß sich nun auch der Spion entfernen werde. Allein
er blieb bis zwei Uhr des Morgens zur größten Last derer, die in die Familie
gehörten. Wie sehr man ihm auch bewies, daß er ein ungern gesehener Gast sei,
so spielte er doch mit der größten Uugenirtheit und Aufdringlichkeit die Rolle des
Ratte-s elf plaisir fort. Da er den Tag des verschobenen Weihnachtsballes beim
Fabrikwächter erkundschaftet hatte und auch bei dem spätern Feste erschien, so wurde
derselbe abermals abgebrochen und für unbestimmte Zeit aufgeschoben.

Man hat in Deutschland keinen Begriff von der Zudringlichkeit dieser Spione.
Wollte man ihnen geradezu sagen, daß sie als ungebetene Gäste die Gesellschaft
stören und sich deshalb entscvncn möchten, so würden sie Ja sagen und doch blei-


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[0350] Grüße erwiederte er mit diesen Worten. Seine Verbannung hatte ihm Geist und Leib entmannt. Die Furcht der Freigelassenen, das Gebot der Verschwiegenheit zu verletzen, ist genügend morivirt, denn Niemand wird so von Spionen geprüft, versucht und beobachtet als sie. Ueberall lauert man ihnen auf, schleicht ihnen nach und sucht ihnen mit Worten beizukommen, sie in Gespräche zu ziehen, ihre Schweigsamkeit zu prüfen, ihren Gemüthszustand und ihre Ideen zu erforschen. Freilich hat es von der Polizeibehörde einigen Grund, zu glauben, daß diese unglücklichen Men¬ schen an Herzensempörung leiden und mit verzweifelten Racheplänen umgehen, wenn ihnen nämlich die Kraft geblieben ist, überhaupt etwas Ernstes zu wollen. Die gefährlichste Klasse der russischen Spione im Königreich Polen ist übri¬ gens wohl die, welche in den höhern Klassen der Gesellschaft hernmschleicht. Sie gehören größeren Theils dem Offizier- und Beamtenstande an und sind besonders darum gefährlich, weil ihnen alle Mittel zu Gebote stehn, sich in engere Familien¬ zirkel einzuschleichen. In Weinkellern, Theatern und Concerten, beim Promeniren im sächsischen und krasinskischen Garten u. s. w. hängen sie sich an, wenn man den Anstrich eines Gentleman hat, drängen sich, fest an einem hängend, mit in Haus und Wohnung, beweisen sich beim ersten Abend vertraut, zugethan, freund¬ schaftlich, laden sich für den nächsten Abend selbst ein und kommen am dritten und vierten Abende uneingeladen. Bei dem allgemeinen Mißtrauen, welches ge¬ genwärtig wie ein stinkender Molch auf dem Leben der Polen kriecht, sind na¬ türlich solche Gäste stets die Verderber der Gesellschaft, obgleich sie mit gesell¬ schaftlichen Talenten nicht schlecht ausgestattet sind und gute Gesellschafter abgeben. Sie sprechen meist gleich gut russisch, polnisch, deutsch und französisch, sind zuwei¬ len gute Sänger oder Klavierspieler, wissen stets viel von großen Erlebnissen zu erzählen und tragen im Kopfe vorzügliche Anecdotenvorräthe. Demungeachtet pflegt alles zu schweigen und sich zurückzuziehen, wo ein solcher Gast sich eindrängt. Bei einem reichen Fabrikanten, mit dem ich in Verbindung stand, wurde einst der Fa- milienball zur Weihnacht, obschon bereits derselbe begonnen hatte-, aus einen an- , dem Tag verschoben, weil ein solcher Spion erschienen war. Alles ging ausein¬ ander und wir glaubten, daß sich nun auch der Spion entfernen werde. Allein er blieb bis zwei Uhr des Morgens zur größten Last derer, die in die Familie gehörten. Wie sehr man ihm auch bewies, daß er ein ungern gesehener Gast sei, so spielte er doch mit der größten Uugenirtheit und Aufdringlichkeit die Rolle des Ratte-s elf plaisir fort. Da er den Tag des verschobenen Weihnachtsballes beim Fabrikwächter erkundschaftet hatte und auch bei dem spätern Feste erschien, so wurde derselbe abermals abgebrochen und für unbestimmte Zeit aufgeschoben. Man hat in Deutschland keinen Begriff von der Zudringlichkeit dieser Spione. Wollte man ihnen geradezu sagen, daß sie als ungebetene Gäste die Gesellschaft stören und sich deshalb entscvncn möchten, so würden sie Ja sagen und doch blei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/350>, abgerufen am 21.06.2024.