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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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das Gebiet der Politik eingreifen. Wollte sich Jemand einer Redaction als Cor-
respondent verpflichten, er würde fürchten müssen, bei den ersten Sendungen schon
durch das Postamt entdeckt zu sein, und würde sich, berichtet er Wahrheit, unge¬
heurer Gefahr aussetzen.

Selbst in die Kinderwelt sendet man Spione und der Herr Procurator des Schul¬
wesens, wieder ein General, kann sich rühmen, eine wunderliche Schaar zu dirigiren, arme
Lehrer der Schreib- und Zeichnenkunst, des Klavierspicls, Klavierstimmer, und ähnliche
Herren. Die Knaben der Gymnasien umschleicht selbst in dem elterlichen Hause die
Spionerie. Zusammenkünfte außerhalb der Klasse von mehr als fünf sind streng verbo¬
ten. Der Gesang eines politischen Liedes, der Besitz der Poesien von Mickiewicz und
Ähnliches bringen den Knaben in die höchste Gefahr;, denn man muß uicht meinen,
daß die stärkste Strafe der Carcer sei; der Knabe ist ein politischer Verbrecher
ebenso wie irgend ein Gutsbesitzer oder Offizier, der sich an einer Verschwörung
beteiligt hat. Man bringt ihn in die Citadelle, die Kasematten, schickt ihn, wie
jeden andern politischen Verbrecher, nach Sibirien oder steckt ihn in eine russische
Militärschule, in welcher er für einen fünfundzwanzigjährigen gemeinen Soldaten-
dienst vorbereitet wird. Diese Tyrannei steigt ins Unglaubliche und ich glaube,
ich müßte hier die Biographie jenes berüchtigten Spions aus der Zeit vor der
Revolution, des Staatsrath Nowosilzow erzählen, um diesen Mittheilungen Gläu¬
bige zu werben. Welche Behandlung den unglücklichen Knaben während ihrer
Strafzeit zu Theil wurde, läßt sich nicht leicht beschreiben, theils weil sich das
Herz des Schreibenden empört, theils weil man nichts als Ahnungen und Muth¬
maßungen hat, denn als letzter Straftheil pflegt den Bestraften noch ein Still¬
schweigen auferlegt zu werden, welches für den schweigenden, dessen Seele gewiß
sehr voll ist, fürchterlich sein muß. Als die Entdeckung einer Schülerverbindung
im verflossenen Jahrzehnt bewirkte, daß eine ganze Menge vou Knaben nach Si¬
birien geschickt und zum gemeinen Soldatenstande verdammt wurde, gelang es
einem Freunde Ihres Korrespondenten, dem Baurath S., seinen Sohn, einen harm¬
losen liebenswürdigen Knaben von etwa siebzehn Jahren, von dem zweiten Theile
seiner Verdammniß zu befreien. Nach fünf Jahren kam der junge Mensch aus
Sibirien zurück. Alles umringte ihn, Alles frug: "wie ist es dir gegangen, was
hast du erlebt?" "Gut ist es mir gegangen," war seine ewige unveränderte Ant¬
wort. Aber man sah es seinem verdorbenen Körper an, daß sein Schweigen Hä߬
liches verhüllte. Nur Mit Mühe war es seiner Mutter gelungen, soviel aus ihm
herauszubringen, daß er in der letzten Zeit Schreiber des Gouverneurs gewesen
und daß sich von da ab wirklich sein Leben habe ertragen lassen. Als man später
heftiger in ihn gedrungen, hat ihn der Widerstand, den er seinen Freunden und
Verwandten entgegenzusetzen gezwungen war, in eine finstere Melancholie versetzt.
Man sah den jungen Mann selten und immer schleichend und scheuen Blickes wie
ein Irrsinniger umhergehen. Auf Alles antwortete er: "gut, sehr gut," selbst die


das Gebiet der Politik eingreifen. Wollte sich Jemand einer Redaction als Cor-
respondent verpflichten, er würde fürchten müssen, bei den ersten Sendungen schon
durch das Postamt entdeckt zu sein, und würde sich, berichtet er Wahrheit, unge¬
heurer Gefahr aussetzen.

Selbst in die Kinderwelt sendet man Spione und der Herr Procurator des Schul¬
wesens, wieder ein General, kann sich rühmen, eine wunderliche Schaar zu dirigiren, arme
Lehrer der Schreib- und Zeichnenkunst, des Klavierspicls, Klavierstimmer, und ähnliche
Herren. Die Knaben der Gymnasien umschleicht selbst in dem elterlichen Hause die
Spionerie. Zusammenkünfte außerhalb der Klasse von mehr als fünf sind streng verbo¬
ten. Der Gesang eines politischen Liedes, der Besitz der Poesien von Mickiewicz und
Ähnliches bringen den Knaben in die höchste Gefahr;, denn man muß uicht meinen,
daß die stärkste Strafe der Carcer sei; der Knabe ist ein politischer Verbrecher
ebenso wie irgend ein Gutsbesitzer oder Offizier, der sich an einer Verschwörung
beteiligt hat. Man bringt ihn in die Citadelle, die Kasematten, schickt ihn, wie
jeden andern politischen Verbrecher, nach Sibirien oder steckt ihn in eine russische
Militärschule, in welcher er für einen fünfundzwanzigjährigen gemeinen Soldaten-
dienst vorbereitet wird. Diese Tyrannei steigt ins Unglaubliche und ich glaube,
ich müßte hier die Biographie jenes berüchtigten Spions aus der Zeit vor der
Revolution, des Staatsrath Nowosilzow erzählen, um diesen Mittheilungen Gläu¬
bige zu werben. Welche Behandlung den unglücklichen Knaben während ihrer
Strafzeit zu Theil wurde, läßt sich nicht leicht beschreiben, theils weil sich das
Herz des Schreibenden empört, theils weil man nichts als Ahnungen und Muth¬
maßungen hat, denn als letzter Straftheil pflegt den Bestraften noch ein Still¬
schweigen auferlegt zu werden, welches für den schweigenden, dessen Seele gewiß
sehr voll ist, fürchterlich sein muß. Als die Entdeckung einer Schülerverbindung
im verflossenen Jahrzehnt bewirkte, daß eine ganze Menge vou Knaben nach Si¬
birien geschickt und zum gemeinen Soldatenstande verdammt wurde, gelang es
einem Freunde Ihres Korrespondenten, dem Baurath S., seinen Sohn, einen harm¬
losen liebenswürdigen Knaben von etwa siebzehn Jahren, von dem zweiten Theile
seiner Verdammniß zu befreien. Nach fünf Jahren kam der junge Mensch aus
Sibirien zurück. Alles umringte ihn, Alles frug: „wie ist es dir gegangen, was
hast du erlebt?" „Gut ist es mir gegangen," war seine ewige unveränderte Ant¬
wort. Aber man sah es seinem verdorbenen Körper an, daß sein Schweigen Hä߬
liches verhüllte. Nur Mit Mühe war es seiner Mutter gelungen, soviel aus ihm
herauszubringen, daß er in der letzten Zeit Schreiber des Gouverneurs gewesen
und daß sich von da ab wirklich sein Leben habe ertragen lassen. Als man später
heftiger in ihn gedrungen, hat ihn der Widerstand, den er seinen Freunden und
Verwandten entgegenzusetzen gezwungen war, in eine finstere Melancholie versetzt.
Man sah den jungen Mann selten und immer schleichend und scheuen Blickes wie
ein Irrsinniger umhergehen. Auf Alles antwortete er: „gut, sehr gut," selbst die


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[0349] das Gebiet der Politik eingreifen. Wollte sich Jemand einer Redaction als Cor- respondent verpflichten, er würde fürchten müssen, bei den ersten Sendungen schon durch das Postamt entdeckt zu sein, und würde sich, berichtet er Wahrheit, unge¬ heurer Gefahr aussetzen. Selbst in die Kinderwelt sendet man Spione und der Herr Procurator des Schul¬ wesens, wieder ein General, kann sich rühmen, eine wunderliche Schaar zu dirigiren, arme Lehrer der Schreib- und Zeichnenkunst, des Klavierspicls, Klavierstimmer, und ähnliche Herren. Die Knaben der Gymnasien umschleicht selbst in dem elterlichen Hause die Spionerie. Zusammenkünfte außerhalb der Klasse von mehr als fünf sind streng verbo¬ ten. Der Gesang eines politischen Liedes, der Besitz der Poesien von Mickiewicz und Ähnliches bringen den Knaben in die höchste Gefahr;, denn man muß uicht meinen, daß die stärkste Strafe der Carcer sei; der Knabe ist ein politischer Verbrecher ebenso wie irgend ein Gutsbesitzer oder Offizier, der sich an einer Verschwörung beteiligt hat. Man bringt ihn in die Citadelle, die Kasematten, schickt ihn, wie jeden andern politischen Verbrecher, nach Sibirien oder steckt ihn in eine russische Militärschule, in welcher er für einen fünfundzwanzigjährigen gemeinen Soldaten- dienst vorbereitet wird. Diese Tyrannei steigt ins Unglaubliche und ich glaube, ich müßte hier die Biographie jenes berüchtigten Spions aus der Zeit vor der Revolution, des Staatsrath Nowosilzow erzählen, um diesen Mittheilungen Gläu¬ bige zu werben. Welche Behandlung den unglücklichen Knaben während ihrer Strafzeit zu Theil wurde, läßt sich nicht leicht beschreiben, theils weil sich das Herz des Schreibenden empört, theils weil man nichts als Ahnungen und Muth¬ maßungen hat, denn als letzter Straftheil pflegt den Bestraften noch ein Still¬ schweigen auferlegt zu werden, welches für den schweigenden, dessen Seele gewiß sehr voll ist, fürchterlich sein muß. Als die Entdeckung einer Schülerverbindung im verflossenen Jahrzehnt bewirkte, daß eine ganze Menge vou Knaben nach Si¬ birien geschickt und zum gemeinen Soldatenstande verdammt wurde, gelang es einem Freunde Ihres Korrespondenten, dem Baurath S., seinen Sohn, einen harm¬ losen liebenswürdigen Knaben von etwa siebzehn Jahren, von dem zweiten Theile seiner Verdammniß zu befreien. Nach fünf Jahren kam der junge Mensch aus Sibirien zurück. Alles umringte ihn, Alles frug: „wie ist es dir gegangen, was hast du erlebt?" „Gut ist es mir gegangen," war seine ewige unveränderte Ant¬ wort. Aber man sah es seinem verdorbenen Körper an, daß sein Schweigen Hä߬ liches verhüllte. Nur Mit Mühe war es seiner Mutter gelungen, soviel aus ihm herauszubringen, daß er in der letzten Zeit Schreiber des Gouverneurs gewesen und daß sich von da ab wirklich sein Leben habe ertragen lassen. Als man später heftiger in ihn gedrungen, hat ihn der Widerstand, den er seinen Freunden und Verwandten entgegenzusetzen gezwungen war, in eine finstere Melancholie versetzt. Man sah den jungen Mann selten und immer schleichend und scheuen Blickes wie ein Irrsinniger umhergehen. Auf Alles antwortete er: „gut, sehr gut," selbst die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/349>, abgerufen am 21.06.2024.