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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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den. In die Wohnung eines angesehenen Kaufmanns drängte sich ein solcher Spion,
der die Uniform eines Tscherkessenhauptmanns trug. Nachdem er sich bis 1 Uhr
des Nachts ein Geschäft daraus gemacht, die kaiserliche Regierung mit Schimpf
zu bedecken, die übrigen Anwesenden um ihre Meinung zu frage" und den Ein¬
druck zu beobachten, den seine Schmähungen hervorbrachten, bat er um die Er¬
laubniß bei dem Hausherrn, dessen Bekanntschaft er an. Abend erst gemacht hatte,
übernachten zu dürfen. -- Ein anderer solcher Spion, der ein litthauischer Grund¬
besitzer zu sein vorgab und darüber ganz unverdächtige Beweise vorlegte, trieb es
vor einigen Jahren so weit, sich mit der Schwester eines Herrn v. E., welcher
zwei Dörfer in Podlachien und ein stattliches Hans in Warschau besitzt, zu ver¬
loben; ein Beweis, wie sehr er sich das Vertrauen der Familie zu erflehten ge¬
wußt. Aber statt der Hochzeit des Fräuleins von E. erfolgte die Verhaftung ihres
Bruders, der sich jedoch durch Bestechungen, die beinahe sein Vermögen ruinirt ha¬
ben, wieder zu befreien wußte. Der Spion war nun natürlich für immer aus dem
Hause des Dupirten verschwunden, zu gleicher Zeit aber auch einige wichtige
Briefe. --

Ueber die Spione im Ausland noch eine Bemerkung. Während meines
Aufenthalts in Warschau kannte man in dem Kreise der Eingeweihten etwa
zwölf. Es ist mir peinlich, mittheilen zu müssen, daß sich in dieser Klasse auch
Deutsche befinden. Ein Herr S., aus Berlin gebürtig, der die russischen Sitten
sich so sehr zu eigen gemacht hatte, daß er seine Gemahlin, auch ein Kind Ber¬
lins, alle Tage einige Mal halb todt schlug, hat sich mir als besonders nennens-
werth bewiesen. In dem geheimen Bewachungsdienste hatte er sich bis zu dem
Grade eines Obersten emporgeschwungen und dadurch den russischen Adel erwor¬
ben, auf den er so großen Werth legte, daß er alle, auch die inneren Thüren
seiner Wohnung mit seinem Namen schmückte. Seinen Orden hatte er in unedlem
Metall mehrere Male copiren lassen und unter Glas an die Wände gehängt u.
s. w. Er war bis zum Chef einer Abtheilung des Paßbureaus aufgestiegen und
als solcher besaß er die vortrefflichsten Hilfsmittel. Alljährlich wurde er nach den
deutschen und böhmischen Badeorten ausgesendet, wo er controlirte. Nachdem jedoch
die Regierung dahin gekommen ist, fast gar keine Pässe nach dem Auslande aus¬
zustellen, ist wahrscheinlich die Zahl der vornehmen reisenden Spione beschränkt
worden und Herr von S. hat seit zwei Jahren Töplitz, Karlsbad u. s. w. nicht
mehr untersucht. -- Was ich Ihnen hier erzählt habe, wird manchem Ihrer Leser
wie eine Fabel klingen. Es ist aber das sehr unvollständige Bild einer sehr kläg¬
lichen Wirklichkeit.




den. In die Wohnung eines angesehenen Kaufmanns drängte sich ein solcher Spion,
der die Uniform eines Tscherkessenhauptmanns trug. Nachdem er sich bis 1 Uhr
des Nachts ein Geschäft daraus gemacht, die kaiserliche Regierung mit Schimpf
zu bedecken, die übrigen Anwesenden um ihre Meinung zu frage« und den Ein¬
druck zu beobachten, den seine Schmähungen hervorbrachten, bat er um die Er¬
laubniß bei dem Hausherrn, dessen Bekanntschaft er an. Abend erst gemacht hatte,
übernachten zu dürfen. — Ein anderer solcher Spion, der ein litthauischer Grund¬
besitzer zu sein vorgab und darüber ganz unverdächtige Beweise vorlegte, trieb es
vor einigen Jahren so weit, sich mit der Schwester eines Herrn v. E., welcher
zwei Dörfer in Podlachien und ein stattliches Hans in Warschau besitzt, zu ver¬
loben; ein Beweis, wie sehr er sich das Vertrauen der Familie zu erflehten ge¬
wußt. Aber statt der Hochzeit des Fräuleins von E. erfolgte die Verhaftung ihres
Bruders, der sich jedoch durch Bestechungen, die beinahe sein Vermögen ruinirt ha¬
ben, wieder zu befreien wußte. Der Spion war nun natürlich für immer aus dem
Hause des Dupirten verschwunden, zu gleicher Zeit aber auch einige wichtige
Briefe. —

Ueber die Spione im Ausland noch eine Bemerkung. Während meines
Aufenthalts in Warschau kannte man in dem Kreise der Eingeweihten etwa
zwölf. Es ist mir peinlich, mittheilen zu müssen, daß sich in dieser Klasse auch
Deutsche befinden. Ein Herr S., aus Berlin gebürtig, der die russischen Sitten
sich so sehr zu eigen gemacht hatte, daß er seine Gemahlin, auch ein Kind Ber¬
lins, alle Tage einige Mal halb todt schlug, hat sich mir als besonders nennens-
werth bewiesen. In dem geheimen Bewachungsdienste hatte er sich bis zu dem
Grade eines Obersten emporgeschwungen und dadurch den russischen Adel erwor¬
ben, auf den er so großen Werth legte, daß er alle, auch die inneren Thüren
seiner Wohnung mit seinem Namen schmückte. Seinen Orden hatte er in unedlem
Metall mehrere Male copiren lassen und unter Glas an die Wände gehängt u.
s. w. Er war bis zum Chef einer Abtheilung des Paßbureaus aufgestiegen und
als solcher besaß er die vortrefflichsten Hilfsmittel. Alljährlich wurde er nach den
deutschen und böhmischen Badeorten ausgesendet, wo er controlirte. Nachdem jedoch
die Regierung dahin gekommen ist, fast gar keine Pässe nach dem Auslande aus¬
zustellen, ist wahrscheinlich die Zahl der vornehmen reisenden Spione beschränkt
worden und Herr von S. hat seit zwei Jahren Töplitz, Karlsbad u. s. w. nicht
mehr untersucht. — Was ich Ihnen hier erzählt habe, wird manchem Ihrer Leser
wie eine Fabel klingen. Es ist aber das sehr unvollständige Bild einer sehr kläg¬
lichen Wirklichkeit.




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[0351] den. In die Wohnung eines angesehenen Kaufmanns drängte sich ein solcher Spion, der die Uniform eines Tscherkessenhauptmanns trug. Nachdem er sich bis 1 Uhr des Nachts ein Geschäft daraus gemacht, die kaiserliche Regierung mit Schimpf zu bedecken, die übrigen Anwesenden um ihre Meinung zu frage« und den Ein¬ druck zu beobachten, den seine Schmähungen hervorbrachten, bat er um die Er¬ laubniß bei dem Hausherrn, dessen Bekanntschaft er an. Abend erst gemacht hatte, übernachten zu dürfen. — Ein anderer solcher Spion, der ein litthauischer Grund¬ besitzer zu sein vorgab und darüber ganz unverdächtige Beweise vorlegte, trieb es vor einigen Jahren so weit, sich mit der Schwester eines Herrn v. E., welcher zwei Dörfer in Podlachien und ein stattliches Hans in Warschau besitzt, zu ver¬ loben; ein Beweis, wie sehr er sich das Vertrauen der Familie zu erflehten ge¬ wußt. Aber statt der Hochzeit des Fräuleins von E. erfolgte die Verhaftung ihres Bruders, der sich jedoch durch Bestechungen, die beinahe sein Vermögen ruinirt ha¬ ben, wieder zu befreien wußte. Der Spion war nun natürlich für immer aus dem Hause des Dupirten verschwunden, zu gleicher Zeit aber auch einige wichtige Briefe. — Ueber die Spione im Ausland noch eine Bemerkung. Während meines Aufenthalts in Warschau kannte man in dem Kreise der Eingeweihten etwa zwölf. Es ist mir peinlich, mittheilen zu müssen, daß sich in dieser Klasse auch Deutsche befinden. Ein Herr S., aus Berlin gebürtig, der die russischen Sitten sich so sehr zu eigen gemacht hatte, daß er seine Gemahlin, auch ein Kind Ber¬ lins, alle Tage einige Mal halb todt schlug, hat sich mir als besonders nennens- werth bewiesen. In dem geheimen Bewachungsdienste hatte er sich bis zu dem Grade eines Obersten emporgeschwungen und dadurch den russischen Adel erwor¬ ben, auf den er so großen Werth legte, daß er alle, auch die inneren Thüren seiner Wohnung mit seinem Namen schmückte. Seinen Orden hatte er in unedlem Metall mehrere Male copiren lassen und unter Glas an die Wände gehängt u. s. w. Er war bis zum Chef einer Abtheilung des Paßbureaus aufgestiegen und als solcher besaß er die vortrefflichsten Hilfsmittel. Alljährlich wurde er nach den deutschen und böhmischen Badeorten ausgesendet, wo er controlirte. Nachdem jedoch die Regierung dahin gekommen ist, fast gar keine Pässe nach dem Auslande aus¬ zustellen, ist wahrscheinlich die Zahl der vornehmen reisenden Spione beschränkt worden und Herr von S. hat seit zwei Jahren Töplitz, Karlsbad u. s. w. nicht mehr untersucht. — Was ich Ihnen hier erzählt habe, wird manchem Ihrer Leser wie eine Fabel klingen. Es ist aber das sehr unvollständige Bild einer sehr kläg¬ lichen Wirklichkeit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/351>, abgerufen am 24.07.2024.