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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Bureaukratie einen zweiten Mann auszuweisen hat, der in gründlich wissenschaft¬
licher Vorbildung jeder Branche dem Grafen Leo Thun gleich kommt, wenige ha¬
ben, wie er, uuter der frühern Regierung sich bemüht, sich in allen Zweigen
des öffentlichen Geschäftslebens, im Richteramt, in der Verwaltung wie in kame-
ralistischer Branche praktisch auszubilden, nur eines hat Leo Graf Thun nicht
praktisch, sondern nur theoretisch kennen lernen: das Leben! Theorie ist vom
Leben abstrahirt, sie ist nichts ohne Leben.

Leo Graf Thun ist ein ehrlicher, edler, ja ein humaner Charakter, er paart
Edelmuth und Humanität mit einer Festigkeit des Willens, die vielleicht eben so
fest ist bis zum Fehler. Er hat seine Ansicht über das Wesen und die Pflichten
des Menschen gebildet nach seinem innersten Selbst, er hat das Leben nur in
der Erhabenheit großer Individualitäten studirt, uicht aber auf der vielbegangenen
Heerstraße, nicht in dem Gewühle des Verkehrs, in welchem jene Menschenklasse
ohne große Tugend wie ohne eigentliche Laster, mit guten und schlechten Eigen¬
schaften gleichmäßig begabt, die ungeheuere Mehrheit bildet, und diese Mehrheit
ist es doch, welche eigentlich geleitet und regiert werden muß im Staate, auf sie
ist das Gesetz zunächst berechnet. Der Tugendhcld lebt dem innern Sittengesetze
nach, den Verbrecher sperrt man ein, aber der Masse dient Gesetz und Regierung
als Stab und Geländer auf ihrem Weg, diese Masse aber muß man kennen
in ihren Nuancen, um sie regieren zu helfe". Leo GrafThun ist, wie seine, einem Bronce-
guß ähnelnde Außenseite, stets ernst und düster, stets in sein Inneres gekehrt, und in
hohen Idealen lebend; wir zweifeln, ob er jemals, selbst als Kind, gelächelt, oder
gar gelacht hat. Stets mit ernsten Studien beschäftigt, echt ritterlich, mit dem
Unterdrückten sympathisirend, für das Ideal der Gerechtigkeit schwärmend, hat Leo
Graf Thun, obwohl deutsch von Geburt, in deutscher Gegend Böhmens durch seine
Familie ansässig, dem seit Jahren sich vorbereitenden Aufschwung des böhmisch-
slavischen Nationalbewußtseins, das mit der Weißenberger Schlacht ertödtet, unter
Kaiser Josephs obwohl liberaler Germanisirnngstendenz neuerlich niedergedrückt
gewesen, seine Sympathien uicht versagen können. Er hat sich die böhmische
Sprache mit viel Beharrlichkeit eigen zu machen gesucht, was ihm mehr für die
Schrift gelang als für das Leben, er stand mit nationalen Literaten in freund¬
lichem Verkehr, und brachte pekuniäre Opfer, um eine böhmische Unterrichtsanstalt
dnrch Ankauf eines eigens diesem Zwecke gewidmeten Hauses zu gründen.

Lange vor dem März galt er für einen warmen Anhänger der nationalen
Richtung, während er in verschiedenen Nmtszweigen sich verwendete und die Re¬
gierung auf dieses Talent um so aufmerksamer wurde, da der hohe Adel Böhmens
zwar sehr viele Bewerber um einträgliche Aemter, aber beinahe gar keine Talente
und noch weniger unterrichtete Kapacitäten lieferte; die Regierung, welche in der
nationalen Regung einige Gefahr für das alte System gewittert haben mochte, weil
in den nationalen das Demvkratenthum aufzutauchen schien, entfernte Grafen


Bureaukratie einen zweiten Mann auszuweisen hat, der in gründlich wissenschaft¬
licher Vorbildung jeder Branche dem Grafen Leo Thun gleich kommt, wenige ha¬
ben, wie er, uuter der frühern Regierung sich bemüht, sich in allen Zweigen
des öffentlichen Geschäftslebens, im Richteramt, in der Verwaltung wie in kame-
ralistischer Branche praktisch auszubilden, nur eines hat Leo Graf Thun nicht
praktisch, sondern nur theoretisch kennen lernen: das Leben! Theorie ist vom
Leben abstrahirt, sie ist nichts ohne Leben.

Leo Graf Thun ist ein ehrlicher, edler, ja ein humaner Charakter, er paart
Edelmuth und Humanität mit einer Festigkeit des Willens, die vielleicht eben so
fest ist bis zum Fehler. Er hat seine Ansicht über das Wesen und die Pflichten
des Menschen gebildet nach seinem innersten Selbst, er hat das Leben nur in
der Erhabenheit großer Individualitäten studirt, uicht aber auf der vielbegangenen
Heerstraße, nicht in dem Gewühle des Verkehrs, in welchem jene Menschenklasse
ohne große Tugend wie ohne eigentliche Laster, mit guten und schlechten Eigen¬
schaften gleichmäßig begabt, die ungeheuere Mehrheit bildet, und diese Mehrheit
ist es doch, welche eigentlich geleitet und regiert werden muß im Staate, auf sie
ist das Gesetz zunächst berechnet. Der Tugendhcld lebt dem innern Sittengesetze
nach, den Verbrecher sperrt man ein, aber der Masse dient Gesetz und Regierung
als Stab und Geländer auf ihrem Weg, diese Masse aber muß man kennen
in ihren Nuancen, um sie regieren zu helfe». Leo GrafThun ist, wie seine, einem Bronce-
guß ähnelnde Außenseite, stets ernst und düster, stets in sein Inneres gekehrt, und in
hohen Idealen lebend; wir zweifeln, ob er jemals, selbst als Kind, gelächelt, oder
gar gelacht hat. Stets mit ernsten Studien beschäftigt, echt ritterlich, mit dem
Unterdrückten sympathisirend, für das Ideal der Gerechtigkeit schwärmend, hat Leo
Graf Thun, obwohl deutsch von Geburt, in deutscher Gegend Böhmens durch seine
Familie ansässig, dem seit Jahren sich vorbereitenden Aufschwung des böhmisch-
slavischen Nationalbewußtseins, das mit der Weißenberger Schlacht ertödtet, unter
Kaiser Josephs obwohl liberaler Germanisirnngstendenz neuerlich niedergedrückt
gewesen, seine Sympathien uicht versagen können. Er hat sich die böhmische
Sprache mit viel Beharrlichkeit eigen zu machen gesucht, was ihm mehr für die
Schrift gelang als für das Leben, er stand mit nationalen Literaten in freund¬
lichem Verkehr, und brachte pekuniäre Opfer, um eine böhmische Unterrichtsanstalt
dnrch Ankauf eines eigens diesem Zwecke gewidmeten Hauses zu gründen.

Lange vor dem März galt er für einen warmen Anhänger der nationalen
Richtung, während er in verschiedenen Nmtszweigen sich verwendete und die Re¬
gierung auf dieses Talent um so aufmerksamer wurde, da der hohe Adel Böhmens
zwar sehr viele Bewerber um einträgliche Aemter, aber beinahe gar keine Talente
und noch weniger unterrichtete Kapacitäten lieferte; die Regierung, welche in der
nationalen Regung einige Gefahr für das alte System gewittert haben mochte, weil
in den nationalen das Demvkratenthum aufzutauchen schien, entfernte Grafen


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[0034] Bureaukratie einen zweiten Mann auszuweisen hat, der in gründlich wissenschaft¬ licher Vorbildung jeder Branche dem Grafen Leo Thun gleich kommt, wenige ha¬ ben, wie er, uuter der frühern Regierung sich bemüht, sich in allen Zweigen des öffentlichen Geschäftslebens, im Richteramt, in der Verwaltung wie in kame- ralistischer Branche praktisch auszubilden, nur eines hat Leo Graf Thun nicht praktisch, sondern nur theoretisch kennen lernen: das Leben! Theorie ist vom Leben abstrahirt, sie ist nichts ohne Leben. Leo Graf Thun ist ein ehrlicher, edler, ja ein humaner Charakter, er paart Edelmuth und Humanität mit einer Festigkeit des Willens, die vielleicht eben so fest ist bis zum Fehler. Er hat seine Ansicht über das Wesen und die Pflichten des Menschen gebildet nach seinem innersten Selbst, er hat das Leben nur in der Erhabenheit großer Individualitäten studirt, uicht aber auf der vielbegangenen Heerstraße, nicht in dem Gewühle des Verkehrs, in welchem jene Menschenklasse ohne große Tugend wie ohne eigentliche Laster, mit guten und schlechten Eigen¬ schaften gleichmäßig begabt, die ungeheuere Mehrheit bildet, und diese Mehrheit ist es doch, welche eigentlich geleitet und regiert werden muß im Staate, auf sie ist das Gesetz zunächst berechnet. Der Tugendhcld lebt dem innern Sittengesetze nach, den Verbrecher sperrt man ein, aber der Masse dient Gesetz und Regierung als Stab und Geländer auf ihrem Weg, diese Masse aber muß man kennen in ihren Nuancen, um sie regieren zu helfe». Leo GrafThun ist, wie seine, einem Bronce- guß ähnelnde Außenseite, stets ernst und düster, stets in sein Inneres gekehrt, und in hohen Idealen lebend; wir zweifeln, ob er jemals, selbst als Kind, gelächelt, oder gar gelacht hat. Stets mit ernsten Studien beschäftigt, echt ritterlich, mit dem Unterdrückten sympathisirend, für das Ideal der Gerechtigkeit schwärmend, hat Leo Graf Thun, obwohl deutsch von Geburt, in deutscher Gegend Böhmens durch seine Familie ansässig, dem seit Jahren sich vorbereitenden Aufschwung des böhmisch- slavischen Nationalbewußtseins, das mit der Weißenberger Schlacht ertödtet, unter Kaiser Josephs obwohl liberaler Germanisirnngstendenz neuerlich niedergedrückt gewesen, seine Sympathien uicht versagen können. Er hat sich die böhmische Sprache mit viel Beharrlichkeit eigen zu machen gesucht, was ihm mehr für die Schrift gelang als für das Leben, er stand mit nationalen Literaten in freund¬ lichem Verkehr, und brachte pekuniäre Opfer, um eine böhmische Unterrichtsanstalt dnrch Ankauf eines eigens diesem Zwecke gewidmeten Hauses zu gründen. Lange vor dem März galt er für einen warmen Anhänger der nationalen Richtung, während er in verschiedenen Nmtszweigen sich verwendete und die Re¬ gierung auf dieses Talent um so aufmerksamer wurde, da der hohe Adel Böhmens zwar sehr viele Bewerber um einträgliche Aemter, aber beinahe gar keine Talente und noch weniger unterrichtete Kapacitäten lieferte; die Regierung, welche in der nationalen Regung einige Gefahr für das alte System gewittert haben mochte, weil in den nationalen das Demvkratenthum aufzutauchen schien, entfernte Grafen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/34>, abgerufen am 24.07.2024.