Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Versuchung geführt, die ihm sehr theuer zu stehen kam, obschon die Tafeln wie
die Kirche, welche der Lüge die göttliche Weihe schenkt, kaum vier Jahre alt sind.
Ich warne jeden Fremden vor diesen Tafeln.

Die Hotelfactoren, die stets einige Gehilfen unter sich haben, sind auch Spione,
welche zur geheimen Verfolgung der Fremden gebraucht werden, daher man sie
oft auf den Postämtern und in den Postwagen findet. Sie genießen den Vorzug
unentgeltlich zu reisen.

Auch die kaiserl. Postämter des Königreichs haben Theil an der geheimen Ueber-
wachung, und ihreBerechtigung reicht weiter, als sie reichen könnte bei einem höher
gebildeten Staatswesen. Von einem Briesgcheimniß ist in Polen nicht die Rede.
Jedes Postamt hat das Recht Briefe zu öffnen, welche im Geringsten politisch
verdächtig erscheinen und der Akt der Oessnung wird mit einer stolzen Ungenirt-
heit ausgeführt. Hat der Brief ein Couvert,, so wird dieses so aufgeschnitten,
daß immer noch eine überschlagende Klappe bleibt. Findet man den Brief harm¬
los, so wird er wieder in das Couvert geschoben und die Klappe desselben mit
dem Poststempel festgestellt. Manche Postämter nehmen sich nicht einmal diese
Mühe, sondern lassen den Brief offen an seinen Bestimmungsort gehen. Findet
das Postamt, daß der Brief wichtige politische Aufschlüsse gibt, oder zu Entdeckun-
gen führen kauu, so geht derselbe an das geheime Bureau des Polizeimeisters in
, Warschau. Es ist oft der Fall gewesen, daß Personen den mit Schmerzen erwar¬
teten Brief erst beim Polizeimeister vor die Augen bekommen haben, nachdem sie
bereits verhaftet waren.

Nach dem Auslande addressirte Briefe werden viel seltener geöffnet, und we¬
nigstens erst dann, wenn sich dringender Verdacht gegen den Inhalt erhebt. Zur
Zeit, da der Cartelvertrag mit Preußen abgelaufen und nicht erneuert war, machte
man auch mit diesen Briefen wenig Komplimente und öffnete He zum größten
Theil. Dadurch wurden sehr viele Pläne, nach Preußen auszuwandern, vereitelt.
Viele junge Leute, welche sich brieflich ihren Verwandten und Bekannten ange¬
meldet hatten, wurden auf dem Postamts, viele Andere in ihren Wohnungen und
Manche selbst ans Privatfuhren während der Reise verhaftet. Die Gefängnisse in
Warschau waren von solchen Verbrechern überfüllt. Es wurde sehr streng gegen
diese Personen, besonders wenn sie militärpflichtig waren, verfahren, Viele wurden
nach Sibirien geschickt, andere in russische Regimenter gesteckt und noch Andere
büßten in den Kasematten der polnischen Festungen ihren Wunsch, sich dem schreck¬
lichen Vaterlande zu entziehen. Die - nach dem Auslande addressirten Briefe,
welche geöffnet worden, pflegen die Postämter nicht weiter gehen zu lassen,
sondern zu vernichten. Daher bei uns oft Personen über die Saumseligkeit
in Polen klagen und mit Sehnsucht auf Nachrichten warten, die nie eingehen.
Durch ein solches Verhältniß ist auch die Korrespondenz für die Zeitungen unmög¬
lich geworden. Kein Mensch in Polen kann es wagen Berichte zu liefern, die in


Versuchung geführt, die ihm sehr theuer zu stehen kam, obschon die Tafeln wie
die Kirche, welche der Lüge die göttliche Weihe schenkt, kaum vier Jahre alt sind.
Ich warne jeden Fremden vor diesen Tafeln.

Die Hotelfactoren, die stets einige Gehilfen unter sich haben, sind auch Spione,
welche zur geheimen Verfolgung der Fremden gebraucht werden, daher man sie
oft auf den Postämtern und in den Postwagen findet. Sie genießen den Vorzug
unentgeltlich zu reisen.

Auch die kaiserl. Postämter des Königreichs haben Theil an der geheimen Ueber-
wachung, und ihreBerechtigung reicht weiter, als sie reichen könnte bei einem höher
gebildeten Staatswesen. Von einem Briesgcheimniß ist in Polen nicht die Rede.
Jedes Postamt hat das Recht Briefe zu öffnen, welche im Geringsten politisch
verdächtig erscheinen und der Akt der Oessnung wird mit einer stolzen Ungenirt-
heit ausgeführt. Hat der Brief ein Couvert,, so wird dieses so aufgeschnitten,
daß immer noch eine überschlagende Klappe bleibt. Findet man den Brief harm¬
los, so wird er wieder in das Couvert geschoben und die Klappe desselben mit
dem Poststempel festgestellt. Manche Postämter nehmen sich nicht einmal diese
Mühe, sondern lassen den Brief offen an seinen Bestimmungsort gehen. Findet
das Postamt, daß der Brief wichtige politische Aufschlüsse gibt, oder zu Entdeckun-
gen führen kauu, so geht derselbe an das geheime Bureau des Polizeimeisters in
, Warschau. Es ist oft der Fall gewesen, daß Personen den mit Schmerzen erwar¬
teten Brief erst beim Polizeimeister vor die Augen bekommen haben, nachdem sie
bereits verhaftet waren.

Nach dem Auslande addressirte Briefe werden viel seltener geöffnet, und we¬
nigstens erst dann, wenn sich dringender Verdacht gegen den Inhalt erhebt. Zur
Zeit, da der Cartelvertrag mit Preußen abgelaufen und nicht erneuert war, machte
man auch mit diesen Briefen wenig Komplimente und öffnete He zum größten
Theil. Dadurch wurden sehr viele Pläne, nach Preußen auszuwandern, vereitelt.
Viele junge Leute, welche sich brieflich ihren Verwandten und Bekannten ange¬
meldet hatten, wurden auf dem Postamts, viele Andere in ihren Wohnungen und
Manche selbst ans Privatfuhren während der Reise verhaftet. Die Gefängnisse in
Warschau waren von solchen Verbrechern überfüllt. Es wurde sehr streng gegen
diese Personen, besonders wenn sie militärpflichtig waren, verfahren, Viele wurden
nach Sibirien geschickt, andere in russische Regimenter gesteckt und noch Andere
büßten in den Kasematten der polnischen Festungen ihren Wunsch, sich dem schreck¬
lichen Vaterlande zu entziehen. Die - nach dem Auslande addressirten Briefe,
welche geöffnet worden, pflegen die Postämter nicht weiter gehen zu lassen,
sondern zu vernichten. Daher bei uns oft Personen über die Saumseligkeit
in Polen klagen und mit Sehnsucht auf Nachrichten warten, die nie eingehen.
Durch ein solches Verhältniß ist auch die Korrespondenz für die Zeitungen unmög¬
lich geworden. Kein Mensch in Polen kann es wagen Berichte zu liefern, die in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0348" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93171"/>
            <p xml:id="ID_1196" prev="#ID_1195"> Versuchung geführt, die ihm sehr theuer zu stehen kam, obschon die Tafeln wie<lb/>
die Kirche, welche der Lüge die göttliche Weihe schenkt, kaum vier Jahre alt sind.<lb/>
Ich warne jeden Fremden vor diesen Tafeln.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1197"> Die Hotelfactoren, die stets einige Gehilfen unter sich haben, sind auch Spione,<lb/>
welche zur geheimen Verfolgung der Fremden gebraucht werden, daher man sie<lb/>
oft auf den Postämtern und in den Postwagen findet. Sie genießen den Vorzug<lb/>
unentgeltlich zu reisen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1198"> Auch die kaiserl. Postämter des Königreichs haben Theil an der geheimen Ueber-<lb/>
wachung, und ihreBerechtigung reicht weiter, als sie reichen könnte bei einem höher<lb/>
gebildeten Staatswesen. Von einem Briesgcheimniß ist in Polen nicht die Rede.<lb/>
Jedes Postamt hat das Recht Briefe zu öffnen, welche im Geringsten politisch<lb/>
verdächtig erscheinen und der Akt der Oessnung wird mit einer stolzen Ungenirt-<lb/>
heit ausgeführt. Hat der Brief ein Couvert,, so wird dieses so aufgeschnitten,<lb/>
daß immer noch eine überschlagende Klappe bleibt. Findet man den Brief harm¬<lb/>
los, so wird er wieder in das Couvert geschoben und die Klappe desselben mit<lb/>
dem Poststempel festgestellt. Manche Postämter nehmen sich nicht einmal diese<lb/>
Mühe, sondern lassen den Brief offen an seinen Bestimmungsort gehen. Findet<lb/>
das Postamt, daß der Brief wichtige politische Aufschlüsse gibt, oder zu Entdeckun-<lb/>
gen führen kauu, so geht derselbe an das geheime Bureau des Polizeimeisters in<lb/>
, Warschau. Es ist oft der Fall gewesen, daß Personen den mit Schmerzen erwar¬<lb/>
teten Brief erst beim Polizeimeister vor die Augen bekommen haben, nachdem sie<lb/>
bereits verhaftet waren.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1199" next="#ID_1200"> Nach dem Auslande addressirte Briefe werden viel seltener geöffnet, und we¬<lb/>
nigstens erst dann, wenn sich dringender Verdacht gegen den Inhalt erhebt. Zur<lb/>
Zeit, da der Cartelvertrag mit Preußen abgelaufen und nicht erneuert war, machte<lb/>
man auch mit diesen Briefen wenig Komplimente und öffnete He zum größten<lb/>
Theil. Dadurch wurden sehr viele Pläne, nach Preußen auszuwandern, vereitelt.<lb/>
Viele junge Leute, welche sich brieflich ihren Verwandten und Bekannten ange¬<lb/>
meldet hatten, wurden auf dem Postamts, viele Andere in ihren Wohnungen und<lb/>
Manche selbst ans Privatfuhren während der Reise verhaftet. Die Gefängnisse in<lb/>
Warschau waren von solchen Verbrechern überfüllt. Es wurde sehr streng gegen<lb/>
diese Personen, besonders wenn sie militärpflichtig waren, verfahren, Viele wurden<lb/>
nach Sibirien geschickt, andere in russische Regimenter gesteckt und noch Andere<lb/>
büßten in den Kasematten der polnischen Festungen ihren Wunsch, sich dem schreck¬<lb/>
lichen Vaterlande zu entziehen. Die - nach dem Auslande addressirten Briefe,<lb/>
welche geöffnet worden, pflegen die Postämter nicht weiter gehen zu lassen,<lb/>
sondern zu vernichten. Daher bei uns oft Personen über die Saumseligkeit<lb/>
in Polen klagen und mit Sehnsucht auf Nachrichten warten, die nie eingehen.<lb/>
Durch ein solches Verhältniß ist auch die Korrespondenz für die Zeitungen unmög¬<lb/>
lich geworden. Kein Mensch in Polen kann es wagen Berichte zu liefern, die in</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0348] Versuchung geführt, die ihm sehr theuer zu stehen kam, obschon die Tafeln wie die Kirche, welche der Lüge die göttliche Weihe schenkt, kaum vier Jahre alt sind. Ich warne jeden Fremden vor diesen Tafeln. Die Hotelfactoren, die stets einige Gehilfen unter sich haben, sind auch Spione, welche zur geheimen Verfolgung der Fremden gebraucht werden, daher man sie oft auf den Postämtern und in den Postwagen findet. Sie genießen den Vorzug unentgeltlich zu reisen. Auch die kaiserl. Postämter des Königreichs haben Theil an der geheimen Ueber- wachung, und ihreBerechtigung reicht weiter, als sie reichen könnte bei einem höher gebildeten Staatswesen. Von einem Briesgcheimniß ist in Polen nicht die Rede. Jedes Postamt hat das Recht Briefe zu öffnen, welche im Geringsten politisch verdächtig erscheinen und der Akt der Oessnung wird mit einer stolzen Ungenirt- heit ausgeführt. Hat der Brief ein Couvert,, so wird dieses so aufgeschnitten, daß immer noch eine überschlagende Klappe bleibt. Findet man den Brief harm¬ los, so wird er wieder in das Couvert geschoben und die Klappe desselben mit dem Poststempel festgestellt. Manche Postämter nehmen sich nicht einmal diese Mühe, sondern lassen den Brief offen an seinen Bestimmungsort gehen. Findet das Postamt, daß der Brief wichtige politische Aufschlüsse gibt, oder zu Entdeckun- gen führen kauu, so geht derselbe an das geheime Bureau des Polizeimeisters in , Warschau. Es ist oft der Fall gewesen, daß Personen den mit Schmerzen erwar¬ teten Brief erst beim Polizeimeister vor die Augen bekommen haben, nachdem sie bereits verhaftet waren. Nach dem Auslande addressirte Briefe werden viel seltener geöffnet, und we¬ nigstens erst dann, wenn sich dringender Verdacht gegen den Inhalt erhebt. Zur Zeit, da der Cartelvertrag mit Preußen abgelaufen und nicht erneuert war, machte man auch mit diesen Briefen wenig Komplimente und öffnete He zum größten Theil. Dadurch wurden sehr viele Pläne, nach Preußen auszuwandern, vereitelt. Viele junge Leute, welche sich brieflich ihren Verwandten und Bekannten ange¬ meldet hatten, wurden auf dem Postamts, viele Andere in ihren Wohnungen und Manche selbst ans Privatfuhren während der Reise verhaftet. Die Gefängnisse in Warschau waren von solchen Verbrechern überfüllt. Es wurde sehr streng gegen diese Personen, besonders wenn sie militärpflichtig waren, verfahren, Viele wurden nach Sibirien geschickt, andere in russische Regimenter gesteckt und noch Andere büßten in den Kasematten der polnischen Festungen ihren Wunsch, sich dem schreck¬ lichen Vaterlande zu entziehen. Die - nach dem Auslande addressirten Briefe, welche geöffnet worden, pflegen die Postämter nicht weiter gehen zu lassen, sondern zu vernichten. Daher bei uns oft Personen über die Saumseligkeit in Polen klagen und mit Sehnsucht auf Nachrichten warten, die nie eingehen. Durch ein solches Verhältniß ist auch die Korrespondenz für die Zeitungen unmög¬ lich geworden. Kein Mensch in Polen kann es wagen Berichte zu liefern, die in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/348
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/348>, abgerufen am 21.06.2024.