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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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meisten Edelleute, derartige Domestiken in Dienst zu nehmen. Sie fürchten jetzt
alle Fremden als Verräther und nehmen ihre Domestiken aus der Bewohnerschaft
ihrer Dörfer. Ein Bauer, der häufig noch seine Schafpelzmütze und lange kittel¬
artige Sukmana trägt, kleidet den Edelmann an, kocht ihm den Thee, servirt die
Tafel, präsentirt, schmilzt die Zahnstocher und thut alles, was vou einem Kammer¬
diener in Polen verlangt wird; ein Bauer kocht unter dem Beistande der gnädigen
Frau oder deren Wirthschaften", die ebenfalls aus dem Bauernstande genommen
und sorgfältig eingelernt ist; ein Bauer fährt den Herrn; die Wirthschaftsinspec¬
toren und Verwalter, die Wald- und Feldwächter sind einheimische Bauern und
.der Herr läßt sich herab, seine zum Glück sehr einfache patriarchalische Buchfüh¬
rung selbst zu besorgen oder durch den Sohn oder Fräulein Tochter besorgen zu
lassen, was übrigens für ihn und seine Finanzen vom größten Segen ist.

Aber nicht nur die Spione werden darauf einstudirt, sich als Dome¬
stiken in die Häuser des Adels einzustehlen, auch die Domestiken zieht die
Polizeibehörde an sich und macht sie zu Spionen. Dies bewirkt sie durch das
niedrigste Personal gewisser Aemter. Die Expeditionsdiener und Boten der
Zirkel- und Obwodschaftscommissariate sind stets damit beschäftigt, sich mit La¬
kaien , Kammerdienern, Köchinnen und Stubenmädchen zu befreunden. Sie führen
dieselben den rechten Personen von der gefährlichen geheimen Bewachnngsbehörde
zu und gewöhnlich wird es nicht schwer, die ungebildeten Leute gegen einen ge¬
wissen Sold mit gewissen Pflichten zu belegen. So gibt es, wie mir von sehr
kundigen Leuten mitgetheilt wurde, selbst Köchinnen und Kindermädchen, welche
Spionlöhnnng erhalten. Dieses Verhältniß zu begünstigen, hat die Regierung
ein besonders Amt für Dienstboten eingerichtet. Nur durch dieses können Dienst¬
boten Dienste und Herrschaften Dienstboten erhalten. Dieses Versorgungsamt, ein
Theil des Municipalgerichtes ist zugleich ein Gerichtsamt, nimmt Klagen der Dienst¬
personen und Herrschaften an und hat die Macht diese und jene zu strafen. Durch
dieses Amt hat die Polizeibehörde eine Controle, durch welche sie geuau weiß,
welche Dienstpersonen sich bei dieser und jener Herrschaft befinden; sie hat dadurch
auch die Macht, sich die Dienstboten pflichteifrig zu mache" und die dienstwilligen
gerade zu den Herrschaften zu bringen, deren geheimes Verhalten ihr interessant
ist. Viele Dienstboten männlichen und weiblichen Geschlechtes erhalten, so lange
sie außer Dienst sind, täglich einen polnischen Gulden Wartegeld. Dies siud die
Verpflichteten, andere dagegen erhalten nichts:'die unbrauchbaren.

Die Angst vor Denunciationen und Verwickelungen mit der russischen Polizei¬
behörde ist daher auch in den Palästen auf dem Lande sehr groß, und das Mi߬
trauen, welches man in jede fremde Person , selbst in Bekannte, sogar in Ver¬
wandte setzt, gradezu fürchterlich. Man hat hundertfältig bittere Erfahrungen ge¬
habt und dies hat eine solche Stimmung allgemein gemacht > aber die Demorali¬
sation, welche dadurch bewirkt wird, ist doch sehr traurig. Man behandelt Jeden


meisten Edelleute, derartige Domestiken in Dienst zu nehmen. Sie fürchten jetzt
alle Fremden als Verräther und nehmen ihre Domestiken aus der Bewohnerschaft
ihrer Dörfer. Ein Bauer, der häufig noch seine Schafpelzmütze und lange kittel¬
artige Sukmana trägt, kleidet den Edelmann an, kocht ihm den Thee, servirt die
Tafel, präsentirt, schmilzt die Zahnstocher und thut alles, was vou einem Kammer¬
diener in Polen verlangt wird; ein Bauer kocht unter dem Beistande der gnädigen
Frau oder deren Wirthschaften», die ebenfalls aus dem Bauernstande genommen
und sorgfältig eingelernt ist; ein Bauer fährt den Herrn; die Wirthschaftsinspec¬
toren und Verwalter, die Wald- und Feldwächter sind einheimische Bauern und
.der Herr läßt sich herab, seine zum Glück sehr einfache patriarchalische Buchfüh¬
rung selbst zu besorgen oder durch den Sohn oder Fräulein Tochter besorgen zu
lassen, was übrigens für ihn und seine Finanzen vom größten Segen ist.

Aber nicht nur die Spione werden darauf einstudirt, sich als Dome¬
stiken in die Häuser des Adels einzustehlen, auch die Domestiken zieht die
Polizeibehörde an sich und macht sie zu Spionen. Dies bewirkt sie durch das
niedrigste Personal gewisser Aemter. Die Expeditionsdiener und Boten der
Zirkel- und Obwodschaftscommissariate sind stets damit beschäftigt, sich mit La¬
kaien , Kammerdienern, Köchinnen und Stubenmädchen zu befreunden. Sie führen
dieselben den rechten Personen von der gefährlichen geheimen Bewachnngsbehörde
zu und gewöhnlich wird es nicht schwer, die ungebildeten Leute gegen einen ge¬
wissen Sold mit gewissen Pflichten zu belegen. So gibt es, wie mir von sehr
kundigen Leuten mitgetheilt wurde, selbst Köchinnen und Kindermädchen, welche
Spionlöhnnng erhalten. Dieses Verhältniß zu begünstigen, hat die Regierung
ein besonders Amt für Dienstboten eingerichtet. Nur durch dieses können Dienst¬
boten Dienste und Herrschaften Dienstboten erhalten. Dieses Versorgungsamt, ein
Theil des Municipalgerichtes ist zugleich ein Gerichtsamt, nimmt Klagen der Dienst¬
personen und Herrschaften an und hat die Macht diese und jene zu strafen. Durch
dieses Amt hat die Polizeibehörde eine Controle, durch welche sie geuau weiß,
welche Dienstpersonen sich bei dieser und jener Herrschaft befinden; sie hat dadurch
auch die Macht, sich die Dienstboten pflichteifrig zu mache» und die dienstwilligen
gerade zu den Herrschaften zu bringen, deren geheimes Verhalten ihr interessant
ist. Viele Dienstboten männlichen und weiblichen Geschlechtes erhalten, so lange
sie außer Dienst sind, täglich einen polnischen Gulden Wartegeld. Dies siud die
Verpflichteten, andere dagegen erhalten nichts:'die unbrauchbaren.

Die Angst vor Denunciationen und Verwickelungen mit der russischen Polizei¬
behörde ist daher auch in den Palästen auf dem Lande sehr groß, und das Mi߬
trauen, welches man in jede fremde Person , selbst in Bekannte, sogar in Ver¬
wandte setzt, gradezu fürchterlich. Man hat hundertfältig bittere Erfahrungen ge¬
habt und dies hat eine solche Stimmung allgemein gemacht > aber die Demorali¬
sation, welche dadurch bewirkt wird, ist doch sehr traurig. Man behandelt Jeden


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[0346] meisten Edelleute, derartige Domestiken in Dienst zu nehmen. Sie fürchten jetzt alle Fremden als Verräther und nehmen ihre Domestiken aus der Bewohnerschaft ihrer Dörfer. Ein Bauer, der häufig noch seine Schafpelzmütze und lange kittel¬ artige Sukmana trägt, kleidet den Edelmann an, kocht ihm den Thee, servirt die Tafel, präsentirt, schmilzt die Zahnstocher und thut alles, was vou einem Kammer¬ diener in Polen verlangt wird; ein Bauer kocht unter dem Beistande der gnädigen Frau oder deren Wirthschaften», die ebenfalls aus dem Bauernstande genommen und sorgfältig eingelernt ist; ein Bauer fährt den Herrn; die Wirthschaftsinspec¬ toren und Verwalter, die Wald- und Feldwächter sind einheimische Bauern und .der Herr läßt sich herab, seine zum Glück sehr einfache patriarchalische Buchfüh¬ rung selbst zu besorgen oder durch den Sohn oder Fräulein Tochter besorgen zu lassen, was übrigens für ihn und seine Finanzen vom größten Segen ist. Aber nicht nur die Spione werden darauf einstudirt, sich als Dome¬ stiken in die Häuser des Adels einzustehlen, auch die Domestiken zieht die Polizeibehörde an sich und macht sie zu Spionen. Dies bewirkt sie durch das niedrigste Personal gewisser Aemter. Die Expeditionsdiener und Boten der Zirkel- und Obwodschaftscommissariate sind stets damit beschäftigt, sich mit La¬ kaien , Kammerdienern, Köchinnen und Stubenmädchen zu befreunden. Sie führen dieselben den rechten Personen von der gefährlichen geheimen Bewachnngsbehörde zu und gewöhnlich wird es nicht schwer, die ungebildeten Leute gegen einen ge¬ wissen Sold mit gewissen Pflichten zu belegen. So gibt es, wie mir von sehr kundigen Leuten mitgetheilt wurde, selbst Köchinnen und Kindermädchen, welche Spionlöhnnng erhalten. Dieses Verhältniß zu begünstigen, hat die Regierung ein besonders Amt für Dienstboten eingerichtet. Nur durch dieses können Dienst¬ boten Dienste und Herrschaften Dienstboten erhalten. Dieses Versorgungsamt, ein Theil des Municipalgerichtes ist zugleich ein Gerichtsamt, nimmt Klagen der Dienst¬ personen und Herrschaften an und hat die Macht diese und jene zu strafen. Durch dieses Amt hat die Polizeibehörde eine Controle, durch welche sie geuau weiß, welche Dienstpersonen sich bei dieser und jener Herrschaft befinden; sie hat dadurch auch die Macht, sich die Dienstboten pflichteifrig zu mache» und die dienstwilligen gerade zu den Herrschaften zu bringen, deren geheimes Verhalten ihr interessant ist. Viele Dienstboten männlichen und weiblichen Geschlechtes erhalten, so lange sie außer Dienst sind, täglich einen polnischen Gulden Wartegeld. Dies siud die Verpflichteten, andere dagegen erhalten nichts:'die unbrauchbaren. Die Angst vor Denunciationen und Verwickelungen mit der russischen Polizei¬ behörde ist daher auch in den Palästen auf dem Lande sehr groß, und das Mi߬ trauen, welches man in jede fremde Person , selbst in Bekannte, sogar in Ver¬ wandte setzt, gradezu fürchterlich. Man hat hundertfältig bittere Erfahrungen ge¬ habt und dies hat eine solche Stimmung allgemein gemacht > aber die Demorali¬ sation, welche dadurch bewirkt wird, ist doch sehr traurig. Man behandelt Jeden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/346>, abgerufen am 21.06.2024.