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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Schacherer, deutsche Handwerker, als Künstler, ja selbst in der Uniform der Per¬
ser und Tscherkessenabtheilung. Zum Glück können sie den jüdischen Dialekt, der
in ihr Polnisch, eben so wie in ihr Deutsch und Russisch hineinklingt, nicht zu
Hause lassen und dieser pflegt sie zu verrathen.

In den Theatern und Concerten findet man diese Leute haufenweis. Sie
sind vertheilt und je zwei haben stets eine gewisse Parzelle. Ein Gensd'armerie-
offizier ist stets zugleich anwesend, und in ihm erkennt man sehr leicht ihren Jn-
structor. Der oberste Vorgesetzte dieser für diese Orte verwendeten Spione ist der
Generaldirector der Theater, der stets ein General ist. Bei dem Generaldirector der
Theater haben auch Künstler jeder Art die Erlaubniß zu öffentlichen Vorstellungen
nachzusuchen; ja selbst wenn sie in den beiden Privatgesellschaften, den kaufmänni¬
schen Ressourcen, auftreten wollen, bedürfen sie seine Erlaubniß. Dem Gesuch
muß eine Bescheinigung der Censurcommisston darüber beiliegen, daß die darzu¬
stellenden Stoffe nicht politisch gefährlich sind, dann aber hat auch der Künstler
eine vollkommene Vorstellung vor dein Theaterdirector zu halten, und dann erst
bekommt er den Erlaubnißschein unter der Bedingung, daß er eine Anzahl von
Procenten seiner Einnahme, gewöhnlich 10, an die Theaterkasse abliefere, und dem
General einen Tag vor der Vorstellung eine bestimmte Anzahl von Freibilleten
übergebe. Diese Freibillette werden an die Spione vertheilt, und mancher be¬
rühmte Virtuos hat die Ehre, sich vor einer Versammlung zu produciren, die zu
großem Theil nichts davon versteht und an seiner Kunst gar keinen Antheil nimmt,
aber auch eines Genusses nicht würdig ist. Die Spione sind die Wächter der
Zuschauer, unterhalten sich, scherzen mit ihnen, und benutzen die heitere Stimmung
und selige Harmlosigkeit, welche der Vortrag des Künstlers erzeugt, zu ihren
Forschungen.

Eine Menge von Spionen, welche geborene Polen sind und daher nicht so
leicht erkannt werden, Pflegen sich als Domestiken in die Häuser derjenigen Edel¬
leute zu schleichen, bei welchen die Polizeibehörde politische Geheimnisse wittert.
Sie sind sast nur ans den Adel berechnet und haben ihren Wirkungskreis außer¬
halb Warschau. Man sieht in Polen viele Leute, welche sich, ein Päckchen unter
dem Arme, auf der Wanderschaft zu befinden scheinen. Fragt man, wer sie sind,
so heißt es: "ein brotloser dienstsuchender Kammerdiener." Verfolgt man ihre
Spur, so findet man, daß sie die Städte vermeiden und solche Dörfer, in wel¬
chen eine Grundherrschaft wohnt, aussuchen. Vor 1832 wußte Polen von reisen¬
den Kammerdienern und dergl. nichts und noch um das Jahr 1840 sah man deren
wenige. Allein die Erfolge dieser Anstalt haben die Behörden veranlaßt, die Zahl
dienstsuchender Kutscher, Köche, Jäger und Kammerdiener stark zu vermehren und
jetzt sieht man ihrer fast so viele als in Deutschland Handwerksburschen. Doch es
ist allmälig bekannt geworden, wer diese Leute sind, und jetzt hüten sich schou die


Grenzboten, i. 18S0. 43

Schacherer, deutsche Handwerker, als Künstler, ja selbst in der Uniform der Per¬
ser und Tscherkessenabtheilung. Zum Glück können sie den jüdischen Dialekt, der
in ihr Polnisch, eben so wie in ihr Deutsch und Russisch hineinklingt, nicht zu
Hause lassen und dieser pflegt sie zu verrathen.

In den Theatern und Concerten findet man diese Leute haufenweis. Sie
sind vertheilt und je zwei haben stets eine gewisse Parzelle. Ein Gensd'armerie-
offizier ist stets zugleich anwesend, und in ihm erkennt man sehr leicht ihren Jn-
structor. Der oberste Vorgesetzte dieser für diese Orte verwendeten Spione ist der
Generaldirector der Theater, der stets ein General ist. Bei dem Generaldirector der
Theater haben auch Künstler jeder Art die Erlaubniß zu öffentlichen Vorstellungen
nachzusuchen; ja selbst wenn sie in den beiden Privatgesellschaften, den kaufmänni¬
schen Ressourcen, auftreten wollen, bedürfen sie seine Erlaubniß. Dem Gesuch
muß eine Bescheinigung der Censurcommisston darüber beiliegen, daß die darzu¬
stellenden Stoffe nicht politisch gefährlich sind, dann aber hat auch der Künstler
eine vollkommene Vorstellung vor dein Theaterdirector zu halten, und dann erst
bekommt er den Erlaubnißschein unter der Bedingung, daß er eine Anzahl von
Procenten seiner Einnahme, gewöhnlich 10, an die Theaterkasse abliefere, und dem
General einen Tag vor der Vorstellung eine bestimmte Anzahl von Freibilleten
übergebe. Diese Freibillette werden an die Spione vertheilt, und mancher be¬
rühmte Virtuos hat die Ehre, sich vor einer Versammlung zu produciren, die zu
großem Theil nichts davon versteht und an seiner Kunst gar keinen Antheil nimmt,
aber auch eines Genusses nicht würdig ist. Die Spione sind die Wächter der
Zuschauer, unterhalten sich, scherzen mit ihnen, und benutzen die heitere Stimmung
und selige Harmlosigkeit, welche der Vortrag des Künstlers erzeugt, zu ihren
Forschungen.

Eine Menge von Spionen, welche geborene Polen sind und daher nicht so
leicht erkannt werden, Pflegen sich als Domestiken in die Häuser derjenigen Edel¬
leute zu schleichen, bei welchen die Polizeibehörde politische Geheimnisse wittert.
Sie sind sast nur ans den Adel berechnet und haben ihren Wirkungskreis außer¬
halb Warschau. Man sieht in Polen viele Leute, welche sich, ein Päckchen unter
dem Arme, auf der Wanderschaft zu befinden scheinen. Fragt man, wer sie sind,
so heißt es: „ein brotloser dienstsuchender Kammerdiener." Verfolgt man ihre
Spur, so findet man, daß sie die Städte vermeiden und solche Dörfer, in wel¬
chen eine Grundherrschaft wohnt, aussuchen. Vor 1832 wußte Polen von reisen¬
den Kammerdienern und dergl. nichts und noch um das Jahr 1840 sah man deren
wenige. Allein die Erfolge dieser Anstalt haben die Behörden veranlaßt, die Zahl
dienstsuchender Kutscher, Köche, Jäger und Kammerdiener stark zu vermehren und
jetzt sieht man ihrer fast so viele als in Deutschland Handwerksburschen. Doch es
ist allmälig bekannt geworden, wer diese Leute sind, und jetzt hüten sich schou die


Grenzboten, i. 18S0. 43
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[0345] Schacherer, deutsche Handwerker, als Künstler, ja selbst in der Uniform der Per¬ ser und Tscherkessenabtheilung. Zum Glück können sie den jüdischen Dialekt, der in ihr Polnisch, eben so wie in ihr Deutsch und Russisch hineinklingt, nicht zu Hause lassen und dieser pflegt sie zu verrathen. In den Theatern und Concerten findet man diese Leute haufenweis. Sie sind vertheilt und je zwei haben stets eine gewisse Parzelle. Ein Gensd'armerie- offizier ist stets zugleich anwesend, und in ihm erkennt man sehr leicht ihren Jn- structor. Der oberste Vorgesetzte dieser für diese Orte verwendeten Spione ist der Generaldirector der Theater, der stets ein General ist. Bei dem Generaldirector der Theater haben auch Künstler jeder Art die Erlaubniß zu öffentlichen Vorstellungen nachzusuchen; ja selbst wenn sie in den beiden Privatgesellschaften, den kaufmänni¬ schen Ressourcen, auftreten wollen, bedürfen sie seine Erlaubniß. Dem Gesuch muß eine Bescheinigung der Censurcommisston darüber beiliegen, daß die darzu¬ stellenden Stoffe nicht politisch gefährlich sind, dann aber hat auch der Künstler eine vollkommene Vorstellung vor dein Theaterdirector zu halten, und dann erst bekommt er den Erlaubnißschein unter der Bedingung, daß er eine Anzahl von Procenten seiner Einnahme, gewöhnlich 10, an die Theaterkasse abliefere, und dem General einen Tag vor der Vorstellung eine bestimmte Anzahl von Freibilleten übergebe. Diese Freibillette werden an die Spione vertheilt, und mancher be¬ rühmte Virtuos hat die Ehre, sich vor einer Versammlung zu produciren, die zu großem Theil nichts davon versteht und an seiner Kunst gar keinen Antheil nimmt, aber auch eines Genusses nicht würdig ist. Die Spione sind die Wächter der Zuschauer, unterhalten sich, scherzen mit ihnen, und benutzen die heitere Stimmung und selige Harmlosigkeit, welche der Vortrag des Künstlers erzeugt, zu ihren Forschungen. Eine Menge von Spionen, welche geborene Polen sind und daher nicht so leicht erkannt werden, Pflegen sich als Domestiken in die Häuser derjenigen Edel¬ leute zu schleichen, bei welchen die Polizeibehörde politische Geheimnisse wittert. Sie sind sast nur ans den Adel berechnet und haben ihren Wirkungskreis außer¬ halb Warschau. Man sieht in Polen viele Leute, welche sich, ein Päckchen unter dem Arme, auf der Wanderschaft zu befinden scheinen. Fragt man, wer sie sind, so heißt es: „ein brotloser dienstsuchender Kammerdiener." Verfolgt man ihre Spur, so findet man, daß sie die Städte vermeiden und solche Dörfer, in wel¬ chen eine Grundherrschaft wohnt, aussuchen. Vor 1832 wußte Polen von reisen¬ den Kammerdienern und dergl. nichts und noch um das Jahr 1840 sah man deren wenige. Allein die Erfolge dieser Anstalt haben die Behörden veranlaßt, die Zahl dienstsuchender Kutscher, Köche, Jäger und Kammerdiener stark zu vermehren und jetzt sieht man ihrer fast so viele als in Deutschland Handwerksburschen. Doch es ist allmälig bekannt geworden, wer diese Leute sind, und jetzt hüten sich schou die Grenzboten, i. 18S0. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/345>, abgerufen am 21.06.2024.