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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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schichte außerhalb Rußlands nicht passtren könne, sie verweigerte dk Druckerlaubnis.
Es ist natürlich, daß man in anderen Handelsgeschäften noch weit mehr und
wichtigere Entdeckungen macht. Kunsthandlungen sind schlimm daran, und eine
fleißige Dame würde lange nach den Stickmustern zu arbeiten haben, welche in
Warschau seit 1831 als politisch gefährlich von der Behörde in Beschlag genom¬
men sind. Allerdings sind auch Stickmuster Gegenstände, welche der Censur unter¬
liegen.

Arbeiten und Verzierungen durch Lithographie, Mal- und Zeichuenkuust setzen
manchen seltsamen Gegenstand in die Gefahr, ein Feind Rußlands zu sein, und
Titel oder Aufschriften vernichten -oft ein ganzes harmloses Werk. So erhielt ein
Walzer unter dem Titel "Duellwalzer" die Debiterlaubniß nicht, auch ein "Schwert¬
walzer" von Lipiuski durfte nicht ausgegeben werden. Dagegen aber hatte die
politisch so feinfühlende Censurcommission gegen die Herausgabe einer "Peter-
fllienpolonaise" (ein Titel, der, wie man annahm, eine kleine Bosheit enthalten
sollte) von demselben Komponisten nichts einzuwenden.

Diese Ueberwachung des Gefährliche" geht wirklich über alle deutschen Be¬
griffe. Die Polizei steckt ihre Fühlhörner auf Handlungen, in Kammer, Küche
und Keller, und macht die harmlosesten Dinge zu Gegenständen ihres Bedenkens.
Jedes Bildchen, was ein Ladendiener gedankenlos auf die Ecke seines Papierblat¬
tes zeichnet, kann Veranlassung geben, daß er vor dem Polizeiamt erscheinen muß.
Unter vielen Anderem haßte die Polizei alle Erinnerungen an Napoleon. Dem
armen Deklamator Kiesewetter erlaubte man nicht, das Gedicht vom "Mann mit
dem kleinen Hütchen" vorzutragen, er that es einmal doch, da mußte er schleu¬
nigst flüchten; und an deu Bierflaschen einer Schenke auf der "neuen Welt" glaubte
man auch etwas wie die Gestalt Napoleons zu finden. Sogleich wurden sie durch
das Zirkelkommissariat abgeholt. Seitdem heißt das Bier dieses Schenkwirthes,
sonst ein reizloses Getränk, Napoleonbier, und wurde natürlich eine Zeit lang eif¬
rig getrunken.

Doch diese bevormundende Behandlung des Volkes geht uicht immer aus
politischer Engherzigkeit hervor, man ist auch in anderer Beziehung besorgt, zufrie¬
dene Staatsbürger zu erhalten. Nur der Sittlichkeit vergönnt man so weite
Schranken, daß sie zur Unsittlichkeit werden kann. Die Censur gibt Büchern das
Imprimatur, welche widerlich lasciv, ja so schamlos schmutzig sind, daß sie die
erotische Winkelliteratur der Franzosen -- wenigstens an Gemeinheit -- übertreffen.
Die kaiserliche Theaterdirection läßt Produkte in Scene gehen, die in Deutschland
auf keinem Vorstadttheater gegeben werden könnten; und die Polizei gestattet, daß
die Stadt mit dreihundert "Kaffeestubeu" erfüllt ist, in denen der. unerfahrene
Fremde nicht selten durch nackte Dirnen überfallen und mit ungöttlicher Frechheit
förmlich gezwungen wird, die größten Gemeinheiten anzusehen, der Venus Opfer
zu zollen; aber einem armen Teufel, der die Erfindung gemacht hatte, mit Blei-


schichte außerhalb Rußlands nicht passtren könne, sie verweigerte dk Druckerlaubnis.
Es ist natürlich, daß man in anderen Handelsgeschäften noch weit mehr und
wichtigere Entdeckungen macht. Kunsthandlungen sind schlimm daran, und eine
fleißige Dame würde lange nach den Stickmustern zu arbeiten haben, welche in
Warschau seit 1831 als politisch gefährlich von der Behörde in Beschlag genom¬
men sind. Allerdings sind auch Stickmuster Gegenstände, welche der Censur unter¬
liegen.

Arbeiten und Verzierungen durch Lithographie, Mal- und Zeichuenkuust setzen
manchen seltsamen Gegenstand in die Gefahr, ein Feind Rußlands zu sein, und
Titel oder Aufschriften vernichten -oft ein ganzes harmloses Werk. So erhielt ein
Walzer unter dem Titel „Duellwalzer" die Debiterlaubniß nicht, auch ein „Schwert¬
walzer" von Lipiuski durfte nicht ausgegeben werden. Dagegen aber hatte die
politisch so feinfühlende Censurcommission gegen die Herausgabe einer „Peter-
fllienpolonaise" (ein Titel, der, wie man annahm, eine kleine Bosheit enthalten
sollte) von demselben Komponisten nichts einzuwenden.

Diese Ueberwachung des Gefährliche» geht wirklich über alle deutschen Be¬
griffe. Die Polizei steckt ihre Fühlhörner auf Handlungen, in Kammer, Küche
und Keller, und macht die harmlosesten Dinge zu Gegenständen ihres Bedenkens.
Jedes Bildchen, was ein Ladendiener gedankenlos auf die Ecke seines Papierblat¬
tes zeichnet, kann Veranlassung geben, daß er vor dem Polizeiamt erscheinen muß.
Unter vielen Anderem haßte die Polizei alle Erinnerungen an Napoleon. Dem
armen Deklamator Kiesewetter erlaubte man nicht, das Gedicht vom „Mann mit
dem kleinen Hütchen" vorzutragen, er that es einmal doch, da mußte er schleu¬
nigst flüchten; und an deu Bierflaschen einer Schenke auf der „neuen Welt" glaubte
man auch etwas wie die Gestalt Napoleons zu finden. Sogleich wurden sie durch
das Zirkelkommissariat abgeholt. Seitdem heißt das Bier dieses Schenkwirthes,
sonst ein reizloses Getränk, Napoleonbier, und wurde natürlich eine Zeit lang eif¬
rig getrunken.

Doch diese bevormundende Behandlung des Volkes geht uicht immer aus
politischer Engherzigkeit hervor, man ist auch in anderer Beziehung besorgt, zufrie¬
dene Staatsbürger zu erhalten. Nur der Sittlichkeit vergönnt man so weite
Schranken, daß sie zur Unsittlichkeit werden kann. Die Censur gibt Büchern das
Imprimatur, welche widerlich lasciv, ja so schamlos schmutzig sind, daß sie die
erotische Winkelliteratur der Franzosen — wenigstens an Gemeinheit — übertreffen.
Die kaiserliche Theaterdirection läßt Produkte in Scene gehen, die in Deutschland
auf keinem Vorstadttheater gegeben werden könnten; und die Polizei gestattet, daß
die Stadt mit dreihundert „Kaffeestubeu" erfüllt ist, in denen der. unerfahrene
Fremde nicht selten durch nackte Dirnen überfallen und mit ungöttlicher Frechheit
förmlich gezwungen wird, die größten Gemeinheiten anzusehen, der Venus Opfer
zu zollen; aber einem armen Teufel, der die Erfindung gemacht hatte, mit Blei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/343>, abgerufen am 21.06.2024.