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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Das geheime Bewachungswesen in Polen.
Zweites Kapitel.



In einer Galanteriewaarenhandlung der Methstraße in Warschau besaß man
Vorräthe von bleiernen Soldaten. Einige Sorten dieser Soldaten waren mit
Farben überstrichen, welche in ihrer Montur einige unleugbare Aehnlichkeit mit
der alten Tracht der polnischen Nationalarmee vor der Revolution hatten. Dies
wurde der Behörde hinterbracht, die bleiernen Soldaten wurden confiscire und der
Kaufmann mußte vor Gericht erscheinen. Allein man hatte in ihm einen Mann
gefunden, der sich zu wehren verstand, durch mancherlei Geschäfte und Geschenke
war ihm die Freundschaft einiger Hochangestellten Generale geworden. Sein aus¬
führlicher Beweis, daß die Montur der bleiernen Soldaten nicht mit dem Costüm
der ehemaligen polnischen Nationalarmee übereinstimme, wurde durchaus uicht
beachtet, denn schon eine geringe Aehnlichkeit war ein politischer Casus; allein die'
Freundschaft der erwähnten Generale half ihm. Der Mann wurde schnell frei- '
gelassen und erhielt die unschuldigen Soldaten zurück. Jetzt aber war das Publi¬
kum auf die Soldaten aufmerksam gemacht worden, und ein finsteres Schicksal
schwebte über ihre kleinen platten Köpfe herauf. Denn einer der Ladenburschen
machte es sich zum Vergnügen, im Schaufenster ein Manöver oder eine Schlacht
von bleiernen Soldaten auszustellen und zwar so, daß diejenigen Bleikrieger,
welche den gegenwärtigen russischen Soldaten am ähnlichsten sahen, solchen den
Rücken kehrten, welche bereits das Unglück gehabt hatten für Copien der ehema¬
ligen polnischen Helden gehalten zu werden. Diese Schlacht hatte kaum einige
Stunden gestanden, als sie von der Polizei mit Entsetzen gesehen wurde. Es
erschien eine Art Commission, ein Polizeicontroleur und zwei andere Personen.
Die Schlacht wurde genau besichtigt und, wenn ich nicht irre, anch protvkollirt;
die Sache war richtig: Russen wurden hier von Polen geschlagen, die Russen
flüchteten! -- Der Kaufherr sowohl, als der kleine rothbäckige Lenker der Schlacht,
ein junger Deutscher, wurden vorgefordert, und namentlich Letzterer scharf in's
Verhör genommen. Beiden drohete ein böses Schicksal, dem Diener die Auswei-
sung ans den russischen Grenzen. Zwar half auch diesmal die gute Bekanntschaft
des Kaufmanns; allein die pvlenähnlichen Bleisoldaten waren nicht mehr zu ret¬
ten. Sie mußten ausgeliefert werden, der Himmel weiß, was aus ihnen gewor¬
den ist. Der Redakteur eines kleinen Journals gab sich große Mühe diese Ge¬
schichte dem glücklichen Polen durch sein Blatt zu verkünden, und war so rück¬
sichtsvoll die Sache so darzustellen, als ob die Geschichte in einem andern Lande
passirt sei; allein die russische Censur war zu sicher überzeugt, daß eine solche Ge-


Das geheime Bewachungswesen in Polen.
Zweites Kapitel.



In einer Galanteriewaarenhandlung der Methstraße in Warschau besaß man
Vorräthe von bleiernen Soldaten. Einige Sorten dieser Soldaten waren mit
Farben überstrichen, welche in ihrer Montur einige unleugbare Aehnlichkeit mit
der alten Tracht der polnischen Nationalarmee vor der Revolution hatten. Dies
wurde der Behörde hinterbracht, die bleiernen Soldaten wurden confiscire und der
Kaufmann mußte vor Gericht erscheinen. Allein man hatte in ihm einen Mann
gefunden, der sich zu wehren verstand, durch mancherlei Geschäfte und Geschenke
war ihm die Freundschaft einiger Hochangestellten Generale geworden. Sein aus¬
führlicher Beweis, daß die Montur der bleiernen Soldaten nicht mit dem Costüm
der ehemaligen polnischen Nationalarmee übereinstimme, wurde durchaus uicht
beachtet, denn schon eine geringe Aehnlichkeit war ein politischer Casus; allein die'
Freundschaft der erwähnten Generale half ihm. Der Mann wurde schnell frei- '
gelassen und erhielt die unschuldigen Soldaten zurück. Jetzt aber war das Publi¬
kum auf die Soldaten aufmerksam gemacht worden, und ein finsteres Schicksal
schwebte über ihre kleinen platten Köpfe herauf. Denn einer der Ladenburschen
machte es sich zum Vergnügen, im Schaufenster ein Manöver oder eine Schlacht
von bleiernen Soldaten auszustellen und zwar so, daß diejenigen Bleikrieger,
welche den gegenwärtigen russischen Soldaten am ähnlichsten sahen, solchen den
Rücken kehrten, welche bereits das Unglück gehabt hatten für Copien der ehema¬
ligen polnischen Helden gehalten zu werden. Diese Schlacht hatte kaum einige
Stunden gestanden, als sie von der Polizei mit Entsetzen gesehen wurde. Es
erschien eine Art Commission, ein Polizeicontroleur und zwei andere Personen.
Die Schlacht wurde genau besichtigt und, wenn ich nicht irre, anch protvkollirt;
die Sache war richtig: Russen wurden hier von Polen geschlagen, die Russen
flüchteten! — Der Kaufherr sowohl, als der kleine rothbäckige Lenker der Schlacht,
ein junger Deutscher, wurden vorgefordert, und namentlich Letzterer scharf in's
Verhör genommen. Beiden drohete ein böses Schicksal, dem Diener die Auswei-
sung ans den russischen Grenzen. Zwar half auch diesmal die gute Bekanntschaft
des Kaufmanns; allein die pvlenähnlichen Bleisoldaten waren nicht mehr zu ret¬
ten. Sie mußten ausgeliefert werden, der Himmel weiß, was aus ihnen gewor¬
den ist. Der Redakteur eines kleinen Journals gab sich große Mühe diese Ge¬
schichte dem glücklichen Polen durch sein Blatt zu verkünden, und war so rück¬
sichtsvoll die Sache so darzustellen, als ob die Geschichte in einem andern Lande
passirt sei; allein die russische Censur war zu sicher überzeugt, daß eine solche Ge-


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[0342] Das geheime Bewachungswesen in Polen. Zweites Kapitel. In einer Galanteriewaarenhandlung der Methstraße in Warschau besaß man Vorräthe von bleiernen Soldaten. Einige Sorten dieser Soldaten waren mit Farben überstrichen, welche in ihrer Montur einige unleugbare Aehnlichkeit mit der alten Tracht der polnischen Nationalarmee vor der Revolution hatten. Dies wurde der Behörde hinterbracht, die bleiernen Soldaten wurden confiscire und der Kaufmann mußte vor Gericht erscheinen. Allein man hatte in ihm einen Mann gefunden, der sich zu wehren verstand, durch mancherlei Geschäfte und Geschenke war ihm die Freundschaft einiger Hochangestellten Generale geworden. Sein aus¬ führlicher Beweis, daß die Montur der bleiernen Soldaten nicht mit dem Costüm der ehemaligen polnischen Nationalarmee übereinstimme, wurde durchaus uicht beachtet, denn schon eine geringe Aehnlichkeit war ein politischer Casus; allein die' Freundschaft der erwähnten Generale half ihm. Der Mann wurde schnell frei- ' gelassen und erhielt die unschuldigen Soldaten zurück. Jetzt aber war das Publi¬ kum auf die Soldaten aufmerksam gemacht worden, und ein finsteres Schicksal schwebte über ihre kleinen platten Köpfe herauf. Denn einer der Ladenburschen machte es sich zum Vergnügen, im Schaufenster ein Manöver oder eine Schlacht von bleiernen Soldaten auszustellen und zwar so, daß diejenigen Bleikrieger, welche den gegenwärtigen russischen Soldaten am ähnlichsten sahen, solchen den Rücken kehrten, welche bereits das Unglück gehabt hatten für Copien der ehema¬ ligen polnischen Helden gehalten zu werden. Diese Schlacht hatte kaum einige Stunden gestanden, als sie von der Polizei mit Entsetzen gesehen wurde. Es erschien eine Art Commission, ein Polizeicontroleur und zwei andere Personen. Die Schlacht wurde genau besichtigt und, wenn ich nicht irre, anch protvkollirt; die Sache war richtig: Russen wurden hier von Polen geschlagen, die Russen flüchteten! — Der Kaufherr sowohl, als der kleine rothbäckige Lenker der Schlacht, ein junger Deutscher, wurden vorgefordert, und namentlich Letzterer scharf in's Verhör genommen. Beiden drohete ein böses Schicksal, dem Diener die Auswei- sung ans den russischen Grenzen. Zwar half auch diesmal die gute Bekanntschaft des Kaufmanns; allein die pvlenähnlichen Bleisoldaten waren nicht mehr zu ret¬ ten. Sie mußten ausgeliefert werden, der Himmel weiß, was aus ihnen gewor¬ den ist. Der Redakteur eines kleinen Journals gab sich große Mühe diese Ge¬ schichte dem glücklichen Polen durch sein Blatt zu verkünden, und war so rück¬ sichtsvoll die Sache so darzustellen, als ob die Geschichte in einem andern Lande passirt sei; allein die russische Censur war zu sicher überzeugt, daß eine solche Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/342>, abgerufen am 21.06.2024.