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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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dacht werden, daß dem einen Zuhörer neu ist, was dem andern, und ist die
Rede zu Ende, so sieht man kein Resultat. Man mißverstehe mich nicht, ich
zweifle nicht, daß es Bildungsstufen gibt, für welche diese Art der Unterhaltung
eben so angenehm als nützlich ist, und es wird eine Hauptaufgabe des Staats
sein, die einflußreiche Klasse der Pastoren zu dem Zwecke der Aufklärung und
der Sittlichkeit zu verwerthen. Aber ein Philosoph paßt weder als Apostel noch
als Publikum in die Gemeinde, die Masse will eine andere, stabilere Autorität
als die flüssige Macht der Dialektik, und der Philosoph müßte lügen und aus sei¬
ner Natur heraustreten, wenn er sich den Anschein dieser höheren Autorität geben wollte.

Eine Religion ist undenkbar ohne Cultus, ohne Symbolik, ohne einen Glauben, der
über dem Räsonnement steht, ohne Inspiration, kurz, ohne den Hintergrund eines
die menschliche Natur hinausgehenden und derselben unverständlichen höhern We¬
sens. Eine neue Religion ist undenkbar ohne Offenbarung. Eine Offenbarung
ist aber nur möglich in trüben, unklaren Zeiten, die in den sittliche" Verhältnissen wie
in dem Denken den Halt verloren haben. Eine solche Zeit ist die unsere nicht; seit
wir die Welt und ihre Gesetze soweit kennen, um die geheimen Kräfte der Natur
wenigstens in einen immer engeren Kreis zu zwingen, findet die Zauberei und die
Viston keine Stätte mehr am Tageslicht. Ausserdem sind die Ideen des kosmi¬
schen Naturgeistes, wie sie Danaer predigt, nicht weniger sentimental, d. h. un-
productiv, als der Feuerbach'sche Humanismus. Sei ein Mensch! sei gut! folge
der Natur! u. f. w. Das sind Lehren der Weisheit, sie sind sehr nothwendig
auszusprechen und sehr förderlich für die Bildung und das Glück des Einzelnen.
Aber es ist in diesen Ideen, nicht die Gluth, mit der man eine alte Welt an¬
zündet, um eine neue Schöpfung daraus hervorgehen zu lassen.

Viel uuheilvoller grollt von allen Seiten des Himmels das Ungewitter einer
anderen Revolution. Der Socialismus hat seine heiligen Bücher, seine Myste¬
rien, seine Propheten und seine Märtyrer wie das Christenthum. Er geht von
berechtigten Fragen aus, von Fragen, die gelöst werden müssen, aber er beantwor¬
tet sie, und darin liegt seine dämonische Kraft, auf eine visionäre, mystische Weise.
Durch einen Zauberschlag sollen die Widersprüche des Lebens gelöst werden, de¬
nen weder die Wissenschaft noch der Staat hat beikommen Minen. Ein
Wunderglaube, dessen Explosion zerstörender wirken müßte, als die Lehre vom
jüngsten Gericht, die wenigstens aus ein Jenseits wies. Sein Sieg wäre
nicht eine neue Schöpfung, sondern vorläufig nur der völlige Umsturz der
Gesellschaft, das wenigstens momentane Hereinbrechen einer allgemeinen Bar¬
barei. In Frankreich, dem am meisten bedrohten Vorposten der Gesellschaft, scheint
der Staat allein nicht mehr die Kraft in sich zu fühlen, dem Sturme zu trotzen;
er flüchtet sich in die Kirche. Aber putzt die alten Dome so bunt aus wie ihr
wollt, ihr Fundament ist unterwühlt; auf die Dauer sind sie kein Damm gegen
die Fluth der Revolution. Nur wenn es gelingt, den Staat neu zu organisiren


dacht werden, daß dem einen Zuhörer neu ist, was dem andern, und ist die
Rede zu Ende, so sieht man kein Resultat. Man mißverstehe mich nicht, ich
zweifle nicht, daß es Bildungsstufen gibt, für welche diese Art der Unterhaltung
eben so angenehm als nützlich ist, und es wird eine Hauptaufgabe des Staats
sein, die einflußreiche Klasse der Pastoren zu dem Zwecke der Aufklärung und
der Sittlichkeit zu verwerthen. Aber ein Philosoph paßt weder als Apostel noch
als Publikum in die Gemeinde, die Masse will eine andere, stabilere Autorität
als die flüssige Macht der Dialektik, und der Philosoph müßte lügen und aus sei¬
ner Natur heraustreten, wenn er sich den Anschein dieser höheren Autorität geben wollte.

Eine Religion ist undenkbar ohne Cultus, ohne Symbolik, ohne einen Glauben, der
über dem Räsonnement steht, ohne Inspiration, kurz, ohne den Hintergrund eines
die menschliche Natur hinausgehenden und derselben unverständlichen höhern We¬
sens. Eine neue Religion ist undenkbar ohne Offenbarung. Eine Offenbarung
ist aber nur möglich in trüben, unklaren Zeiten, die in den sittliche» Verhältnissen wie
in dem Denken den Halt verloren haben. Eine solche Zeit ist die unsere nicht; seit
wir die Welt und ihre Gesetze soweit kennen, um die geheimen Kräfte der Natur
wenigstens in einen immer engeren Kreis zu zwingen, findet die Zauberei und die
Viston keine Stätte mehr am Tageslicht. Ausserdem sind die Ideen des kosmi¬
schen Naturgeistes, wie sie Danaer predigt, nicht weniger sentimental, d. h. un-
productiv, als der Feuerbach'sche Humanismus. Sei ein Mensch! sei gut! folge
der Natur! u. f. w. Das sind Lehren der Weisheit, sie sind sehr nothwendig
auszusprechen und sehr förderlich für die Bildung und das Glück des Einzelnen.
Aber es ist in diesen Ideen, nicht die Gluth, mit der man eine alte Welt an¬
zündet, um eine neue Schöpfung daraus hervorgehen zu lassen.

Viel uuheilvoller grollt von allen Seiten des Himmels das Ungewitter einer
anderen Revolution. Der Socialismus hat seine heiligen Bücher, seine Myste¬
rien, seine Propheten und seine Märtyrer wie das Christenthum. Er geht von
berechtigten Fragen aus, von Fragen, die gelöst werden müssen, aber er beantwor¬
tet sie, und darin liegt seine dämonische Kraft, auf eine visionäre, mystische Weise.
Durch einen Zauberschlag sollen die Widersprüche des Lebens gelöst werden, de¬
nen weder die Wissenschaft noch der Staat hat beikommen Minen. Ein
Wunderglaube, dessen Explosion zerstörender wirken müßte, als die Lehre vom
jüngsten Gericht, die wenigstens aus ein Jenseits wies. Sein Sieg wäre
nicht eine neue Schöpfung, sondern vorläufig nur der völlige Umsturz der
Gesellschaft, das wenigstens momentane Hereinbrechen einer allgemeinen Bar¬
barei. In Frankreich, dem am meisten bedrohten Vorposten der Gesellschaft, scheint
der Staat allein nicht mehr die Kraft in sich zu fühlen, dem Sturme zu trotzen;
er flüchtet sich in die Kirche. Aber putzt die alten Dome so bunt aus wie ihr
wollt, ihr Fundament ist unterwühlt; auf die Dauer sind sie kein Damm gegen
die Fluth der Revolution. Nur wenn es gelingt, den Staat neu zu organisiren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/340>, abgerufen am 21.06.2024.