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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Eine Religion ohne ein verneinendes, kriegerisches Moment ist todt für die Welt¬
geschichte. Aber auch sür einen andern Glauben, der ihr einen neuen Inhalt
böte, hat die alternde Welt keinen Raum mehr. Es ist umsonst, ihr eine künst¬
liche Jugend anzudichten. Nur der unreife Jüngling empfindet, wonach er sich
sehnen kann, als Totalität; die gereifte Bildung, die sich concentrirt, sondert
und scheidet.

Es haben darum auch die practischen Versuche der neuen Zeit, entweder durch
eine Reform des Christenthums oder durch die Vermittelung einer neuen Idee ein
freies Religionswesen zu beleben, nicht gedeihen wollen. Die sogenannten freien
Gemeinden waren kein Erzeugniß religiösen Dranges. Entweder waren sie einfach
eine Flucht ans der alten Kirche -- und dann hätten ihre Mitglieder es viel ein¬
facher gehabt, wenn sie gar nicht hineingegangen wären; oder sie gingen aus einer
sehr künstlichen Reflexion hervor. Rüge und Fröbel haben mir öfters auseinan¬
dergesetzt, daß wie bei den Hellenen, Staat, Wissenschaft, Kunst, Familienleben,
Arbeit und Spiel sich wieder identificiren müssen. In der Kirche müsse zugleich
das Theater gespielt werden, es müsse die Bildergallerie der Gemeinde darin aus¬
gestellt sein; in den Festtagen müsse das Gedächtniß ehrenwerther Republikaner
gefeiert werden. Die Bürger müssen die Komödien schreiben und aufführen, es
dürfe keinen besondern Dichter- und Schauspielerstand geben. Die Malerei, die
Kunst überhaupt, sollte dadurch einen neuen Schwung erhalten, daß sie die Symbolik des
neuen Evangeliums auszuführen bestimmt war. In diesem freien Gemeindeleben
-- das nur leider bei uns Nordländern nicht wie bei den Griechen unter freiem
Himmel ausgeübt werden könnte -- sollte alles persönliche, egoistische Interesse,
so wie die Gemüthlichkeit der Privatliebe aufgehn.

Das sind Combinationen des Witzes, die nur eine große Unkenntniß der
verschiedenen Künste und Wissenschaften verrathen. Kunst und Wissenschaft sind
der Meistersängerei entwachsen; wer gute Musik hören will, geht lieber in ein
wirkliches Concert, als in die Gemeinderessource. Jedenfalls ist es eine sehr
wohlfeile, aber wenig befriedigende Auskunft, in der gleichen Localität die Ver¬
einigung der verschiedenen Ideale zu finden, und die Theilung der Arbeit, aus
welcher allein die Höhe unserer Cultur entspringt, dadurch auszugleichen, daß
man sie in dem nämlichen Saale betreibt.

Woher kommt es denn, daß der bei Weitem größere Theil der Gebildeten e"
vermeidet, in die Kirche zu gehn? -- Nicht allein wegen des Inhalts, der ihm
dort entgegengebracht ward; ob die Orthodoxen oder Lichtfreunde predigen, es
wird sich ziemlich gleich bleiben, das Verhältniß des Predigens und der damit
correspondirende Zustand der Erbauung ist sür ein gebildetes Gemüth unerträglich.
Es ist der Mangel eines bestimmten Zwecks, der das Gefühl des Unbehagens
hervorbringt. Vom Katheder aus will man belehren, von der Tribüne überreden;
die Kanzel dagegen hat gemischte Bildungsstufen vor sich, es kann nicht daran ge-


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Eine Religion ohne ein verneinendes, kriegerisches Moment ist todt für die Welt¬
geschichte. Aber auch sür einen andern Glauben, der ihr einen neuen Inhalt
böte, hat die alternde Welt keinen Raum mehr. Es ist umsonst, ihr eine künst¬
liche Jugend anzudichten. Nur der unreife Jüngling empfindet, wonach er sich
sehnen kann, als Totalität; die gereifte Bildung, die sich concentrirt, sondert
und scheidet.

Es haben darum auch die practischen Versuche der neuen Zeit, entweder durch
eine Reform des Christenthums oder durch die Vermittelung einer neuen Idee ein
freies Religionswesen zu beleben, nicht gedeihen wollen. Die sogenannten freien
Gemeinden waren kein Erzeugniß religiösen Dranges. Entweder waren sie einfach
eine Flucht ans der alten Kirche — und dann hätten ihre Mitglieder es viel ein¬
facher gehabt, wenn sie gar nicht hineingegangen wären; oder sie gingen aus einer
sehr künstlichen Reflexion hervor. Rüge und Fröbel haben mir öfters auseinan¬
dergesetzt, daß wie bei den Hellenen, Staat, Wissenschaft, Kunst, Familienleben,
Arbeit und Spiel sich wieder identificiren müssen. In der Kirche müsse zugleich
das Theater gespielt werden, es müsse die Bildergallerie der Gemeinde darin aus¬
gestellt sein; in den Festtagen müsse das Gedächtniß ehrenwerther Republikaner
gefeiert werden. Die Bürger müssen die Komödien schreiben und aufführen, es
dürfe keinen besondern Dichter- und Schauspielerstand geben. Die Malerei, die
Kunst überhaupt, sollte dadurch einen neuen Schwung erhalten, daß sie die Symbolik des
neuen Evangeliums auszuführen bestimmt war. In diesem freien Gemeindeleben
— das nur leider bei uns Nordländern nicht wie bei den Griechen unter freiem
Himmel ausgeübt werden könnte — sollte alles persönliche, egoistische Interesse,
so wie die Gemüthlichkeit der Privatliebe aufgehn.

Das sind Combinationen des Witzes, die nur eine große Unkenntniß der
verschiedenen Künste und Wissenschaften verrathen. Kunst und Wissenschaft sind
der Meistersängerei entwachsen; wer gute Musik hören will, geht lieber in ein
wirkliches Concert, als in die Gemeinderessource. Jedenfalls ist es eine sehr
wohlfeile, aber wenig befriedigende Auskunft, in der gleichen Localität die Ver¬
einigung der verschiedenen Ideale zu finden, und die Theilung der Arbeit, aus
welcher allein die Höhe unserer Cultur entspringt, dadurch auszugleichen, daß
man sie in dem nämlichen Saale betreibt.

Woher kommt es denn, daß der bei Weitem größere Theil der Gebildeten e«
vermeidet, in die Kirche zu gehn? — Nicht allein wegen des Inhalts, der ihm
dort entgegengebracht ward; ob die Orthodoxen oder Lichtfreunde predigen, es
wird sich ziemlich gleich bleiben, das Verhältniß des Predigens und der damit
correspondirende Zustand der Erbauung ist sür ein gebildetes Gemüth unerträglich.
Es ist der Mangel eines bestimmten Zwecks, der das Gefühl des Unbehagens
hervorbringt. Vom Katheder aus will man belehren, von der Tribüne überreden;
die Kanzel dagegen hat gemischte Bildungsstufen vor sich, es kann nicht daran ge-


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[0339] Eine Religion ohne ein verneinendes, kriegerisches Moment ist todt für die Welt¬ geschichte. Aber auch sür einen andern Glauben, der ihr einen neuen Inhalt böte, hat die alternde Welt keinen Raum mehr. Es ist umsonst, ihr eine künst¬ liche Jugend anzudichten. Nur der unreife Jüngling empfindet, wonach er sich sehnen kann, als Totalität; die gereifte Bildung, die sich concentrirt, sondert und scheidet. Es haben darum auch die practischen Versuche der neuen Zeit, entweder durch eine Reform des Christenthums oder durch die Vermittelung einer neuen Idee ein freies Religionswesen zu beleben, nicht gedeihen wollen. Die sogenannten freien Gemeinden waren kein Erzeugniß religiösen Dranges. Entweder waren sie einfach eine Flucht ans der alten Kirche — und dann hätten ihre Mitglieder es viel ein¬ facher gehabt, wenn sie gar nicht hineingegangen wären; oder sie gingen aus einer sehr künstlichen Reflexion hervor. Rüge und Fröbel haben mir öfters auseinan¬ dergesetzt, daß wie bei den Hellenen, Staat, Wissenschaft, Kunst, Familienleben, Arbeit und Spiel sich wieder identificiren müssen. In der Kirche müsse zugleich das Theater gespielt werden, es müsse die Bildergallerie der Gemeinde darin aus¬ gestellt sein; in den Festtagen müsse das Gedächtniß ehrenwerther Republikaner gefeiert werden. Die Bürger müssen die Komödien schreiben und aufführen, es dürfe keinen besondern Dichter- und Schauspielerstand geben. Die Malerei, die Kunst überhaupt, sollte dadurch einen neuen Schwung erhalten, daß sie die Symbolik des neuen Evangeliums auszuführen bestimmt war. In diesem freien Gemeindeleben — das nur leider bei uns Nordländern nicht wie bei den Griechen unter freiem Himmel ausgeübt werden könnte — sollte alles persönliche, egoistische Interesse, so wie die Gemüthlichkeit der Privatliebe aufgehn. Das sind Combinationen des Witzes, die nur eine große Unkenntniß der verschiedenen Künste und Wissenschaften verrathen. Kunst und Wissenschaft sind der Meistersängerei entwachsen; wer gute Musik hören will, geht lieber in ein wirkliches Concert, als in die Gemeinderessource. Jedenfalls ist es eine sehr wohlfeile, aber wenig befriedigende Auskunft, in der gleichen Localität die Ver¬ einigung der verschiedenen Ideale zu finden, und die Theilung der Arbeit, aus welcher allein die Höhe unserer Cultur entspringt, dadurch auszugleichen, daß man sie in dem nämlichen Saale betreibt. Woher kommt es denn, daß der bei Weitem größere Theil der Gebildeten e« vermeidet, in die Kirche zu gehn? — Nicht allein wegen des Inhalts, der ihm dort entgegengebracht ward; ob die Orthodoxen oder Lichtfreunde predigen, es wird sich ziemlich gleich bleiben, das Verhältniß des Predigens und der damit correspondirende Zustand der Erbauung ist sür ein gebildetes Gemüth unerträglich. Es ist der Mangel eines bestimmten Zwecks, der das Gefühl des Unbehagens hervorbringt. Vom Katheder aus will man belehren, von der Tribüne überreden; die Kanzel dagegen hat gemischte Bildungsstufen vor sich, es kann nicht daran ge- 42*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/339>, abgerufen am 21.06.2024.